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Italo Svevo: Das Zaudern ist mir eine Lust

Aus dem Leben eines Hypochonders: Italo Svevos Klassiker „Zenos Gewissen“, einer der lustigsten und zugleich traurigsten Romane des 20. Jahrhunderts, hat der Manesse Verlag neu aufgelegt.

In den Tagebüchern Italo Svevos findet sich ein herrlicher Satz, der in die Herzkammer seines Werks führt: „Ich verstehe nicht, wie mir in meinem törichten Leben etwas so Ernstes wie das Alter zustoßen kann.“ Die Verwunderung über diese Unverfrorenheit hat etwas zugleich Tieftrauriges, Komisches und vielleicht sogar Trostreiches.

Dieser Satz will nicht viel; er stellt eine Tatsache mit einer Nonchalance dar, auch wenn ihm Verblüffung eingeschrieben ist. „Melancholischer Realismus“ nannte Wilhelm Genazino das in einem Aufsatz über Svevo. Und Genazino weiß ein Lied davon zu singen; in seinen eigenen Büchern erweist er sich als später Nachfahre von Italo Svevo.

Der wurde im Dezember vor 150 Jahren unter dem Namen Ettore Schmitz in der Hafenstadt Triest geboren. Er verdingte sich als Angestellter, schrieb unter seinem Pseudonym „italienischer Schwabe“ – zwei ausgesprochen erfolglose Romane, heiratete in eine Industriellenfamilie ein, reüssierte als Geschäftsmann und fing das Geigenspiel an, um das Schreiben zu vergessen. Dass er es dann doch nicht vergaß, verdankt sich einer eigentümlichen Begegnung: Um seine Englischkenntnisse aus geschäftlichen Erwägungen zu verbessern, nahm er 1907 Unterricht bei einem jungen Iren an der „Berlitz School“. Es handelte sich um James Joyce, der mit seiner Familie nach Triest übergesiedelt war und zu jener Zeit an den „Dubliners“ arbeitete.

Es dürfte klar sein, dass es in den Unterrichtsstunden weniger um Grammatik und die korrekte Formulierung von Handelsbriefen ging als um Literatur. Svevo gestand nach einer gewissen Zeit seine Schriftstellervergangenheit ein, Joyce nahm sich die frühen Bücher seines Schülers vor, und was er las, gefiel dem strengen Lehrmeister ausgenommen gut. Eine späte Genugtuung für Svevo. Und ein Ansporn, sich noch einmal an die Arbeit zu machen. Das Ergebnis erschien 1923 unter dem Titel „La Coscienza di Zeno“, was sich sowohl mit „Zenos Gewissen“ als auch mit „Zenos Bewusstsein“ übersetzen ließe, weshalb man den Roman im Deutschen schlicht nach seiner Hauptfigur Zeno Cosini nannte.

Die erste Übertragung erschien 1929, ein Jahr nach Svevos Tod. Der Übersetzer Piero Rismondo wollte Italo Svevo, nachdem der Roman in Frankreich auch durch Vermittlung von Joyce begeistert besprochen worden war, in Deutschland bekannt machen. Und er tat das, indem er ihn ziemlich glättete: Syntaktisch wurde da einiges zurechtgerückt, semantisch vieles eingeebnet, was bei Svevo aus gutem Grunde holprig klingt.

Vor einigen Jahren erschien bei Zweitausendeins eine Neuübersetzung von Barbara Kleiner, die sich erfolgreich darum bemühte, die Eigenheiten von Svevos Stil beizubehalten und dem Text dadurch auch auf formaler Ebene eine größere Vielschichtigkeit zu verleihen. Diese Übersetzung kommt nun – nochmals überarbeitet – bei Manesse heraus, wo schon die beiden ersten Romane Svevos „Ein Leben“ und „Senilità“, ebenfalls von Barbara Kleiner ins Deutsche gebracht, erschienen sind. Die syntaktischen und semantischen Auffälligkeiten, erläutert Kleiner, haben zwei Gründe: zum einen, dass Italo Svevo sich nie ganz sicher in der italienischen Sprache bewegte. Er sprach sehr gut Deutsch (Svevo hatte in der Nähe von Würzburg ein Internat besucht). Und er sprach den Triestiner Dialekt. Das Italienische war zwar keine Fremdsprache, aber doch eine, in der er vielleicht präziser sein wollte, um Mängel zu übertünchen.

Deshalb gebrauchte er oft seltsame Bilder und Vergleiche. Gerade bei idiomatischen Wendungen, so Kleiner, kann man diese Unsicherheit registrieren. Die Besonderheiten haben aber zugleich ihren tieferen Zweck: In „Zenos Gewissen“, so heißt die Neuausgabe nun philologisch korrekter, zeigt sich schon durch die Fehlleistungen auf der Sprachebene das Unbewusste, dem Zeno ausgesetzt ist. „Zenos Gewissen“ ist nicht zuletzt eine der ersten wichtigen und ironischen literarischen Auseinandersetzungen mit Freud, den Svevo ebenfalls ein paar Jahre zuvor entdeckt und intensiv, wenn auch mit großen Zweifeln, gelesen hatte. Die Leidenschaft reichte aber so weit, dass er Freuds „Traumdeutung“ zusammen mit seinem Neffen ins Italienische übersetzte.

Die Geschichte von „Zenos Gewissen“ ließe sich so erzählen: Der Psychoanalytiker Dottore S. empfiehlt Zeno, sich über sein Leben schriftlich Rechenschaft abzulegen. Mit dem veröffentlichten Bericht will sich Zeno an seinem Analytiker rächen, und diesen autobiografischen Text haben wir nun vorliegen. Allerdings wird uns das Leben nicht chronologisch eröffnet, sondern unterteilt nach bestimmten und bestimmenden Ereignissen.

Zeno versucht sich das Rauchen abzugewöhnen; Zeno schickt sich an zu heiraten (eine der amüsantesten Szenen der Literaturgeschichte); Zeno als scheiternder Geschäftsmann, als Liebhaber, als Hypochonder. Wir lernen nach und nach die Charakterschwächen und Ängste Zenos kennen, und wie er diese immer wieder umzuwandeln versteht in Gleichmut oder sogar Vergnügen. „Das Leben ist weder hässlich noch schön, es ist originell“, lautet sein Motto.

Zeno ist wie auch die anderen Helden von Svevo – das führt Maike Albath in ihrem Nachwort schön aus – ein innerlich Zerrissener und ein Zaudernder. Aber anders als seine Vorgänger in den Romanen „Ein Leben“ und „Senilità“ scheint Zeno am Zögern Gefallen zu finden, eine gewisse Lust zu verspüren, Entscheidungen zu vertagen – oder immer wieder von Neuem eine folgenlose Entscheidung zu treffen. Fortwährend müssen solche Übereinkünfte mit sich selbst gefällt werden, aber zur Ironie des Buchs gehört eben auch, dass sie meistens keine Bedeutung haben – oder sie haben eine Bedeutung, die aber in ihrer Tragweite überschätzt wird.

Am offensichtlichsten wird das an Zenos Entschluss, mit dem Rauchen aufzuhören, den er jeden Tag und mit jeder Zigarette von Neuem fasst. Die Lust am Aufschub und die Lust am Scheitern erzeugen jene Melancholie, von der Genazino spricht. Es ist eine freundliche Melancholie, die auch dem Melancholiker auf gewisse Weise behaglich ist. Sie gegen das Unbehagen an der Welt zu kultivieren, ist die eigentliche Lebensleistung Zenos.

Eine weitere besteht darin, wie er Selbsttäuschungen als Mittel gegen Enttäuschungen einzusetzen weiß. Dass all diese Strategien nicht ohne Folgen bleiben, zeigt sich darin, dass er seine Widersprüche und Ängste somatisiert. Zeno Cosini ist eben nicht nur ein verhinderter Geschäftsmann, ein treuer Ehemann und zugleich ein Ehebrecher, ein vom Leben Begünstigter, der mit diesen Begünstigungen nicht viel anzufangen weiß; er ist überdies ein talentierter Hypochonder, der Arzt um Arzt aufsucht und immer wieder neue Krankheitsfantasien gebiert.

Auf seiner Hochzeitsreise erschließt sich Zeno und dem Leser, was hinter all diesen Gebrechen lauert: „Da befiel mich eine andere kleine Krankheit, von der ich nicht mehr genesen sollte. Eine Kleinigkeit: die Angst vor dem Älterwerden und vor allem die Angst vor dem Tod.“ Er führt das zwar auf eine spezifische Form der Eifersucht zurück – die Sorge, von Augusta betrogen zu werden, wenn er dereinst tot sein werde. Aber es steckt doch etwas anderes dahinter.

Die Angst vor dem Tod entlastet den zögerlichen und unbestimmt in den Tag hineinstolpernden Zeno von den Zumutungen des Lebens. Die gesellschaftlichen Normen und Zwänge scheint er nach außen zu erfüllen, indem er ein bürgerliches Leben führt; aber das Unbewusste torpediert eben doch immer all diese Bemühungen. Diesen Grad von komischer Todesbesessenheit hat der von jungen Jahren an selbst thanatophile Svevo nur noch in seinem letzten Text, der Novelle „Der alte Herr und das schöne Mädchen“ erreicht, in der sich ein 60-Jähriger ziemlich vergebens in eine 20-jährige Straßenbahnschaffnerin verliebt, bis ein bitterer Herztod die beiden für immer trennt. Als einer der ersten Autoren hat Italo Svevo den modernen Menschen mit all seinen Widersprüchen als literarische Figur etabliert. Und mit „Zenos Gewissen“ einen der lustigsten und zugleich traurigsten Romane des 20. Jahrhunderts geschaffen.

Italo Svevo:

Zenos Gewissen.

Roman. Aus dem

Italienischen von

Barbara Kleiner.

Manesse Verlag.

Zürich 2011.

800 Seiten, 24,95 €.

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