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"Die rote Färse" am Berliner Konzerthaus.

© gordoneszter

Iván Fischers Oper „Die Rote Färse“: Anklage: Mord

Iván Fischer erzählt mit der Oper „Die Rote Färse“ im Konzerthaus die Geschichte einer bornierten Ritualmord-Anklage im 19. Jahrhundert - und die ihrer antisemitischen Folgen.

Es ist keine Koketterie, eher Programm, wenn Iván Fischer, Chefdirigent des Konzerthausorchesters, über seine Oper mitteilt: „Der Musikstil ist eklektisch.“ Es geht ihm hier als Komponist zuvorderst darum, verstanden zu werden. Er meint eine provokative Musik à la Brecht/Weill.

„Die Rote Färse“ behandelt ein Thema, mit dem ein Ungar wie Fischer nicht objektiv umgehen kann und will. Zumal angesichts der aktuellen Entwicklungen in seiner Heimat unter der Regierung von Viktor Orbán. Die Geschichte über eine bornierte Ritualmord-Anklage im 19. Jahrhundert und ihre antisemitischen Folgen beruht auf historischem Grund. Fischer hat sie aus einem Buch von Gyula Krúdy übernommen, dem in der Oper die Rolle des Berichterstatters zugeteilt ist. Sein Vortrag erinnert an den Evangelisten bei Bach.

Eine Färse ist eine junge Kuh, nach der damals ein dörfliches Gasthaus und dessen Wirtin genannt sind: Koloratursopran (Orsolya Sáfár), eine Art Fiaker-Milli über den geilen Männern mit dem Lied „Hey jüdisches Mädchen“, dem einzigen Zitat. Die restlichen Melodien, ob jüdisch oder ungarisch, stammen von Fischer selbst. Zunächst geht es lustig zu auf der Spielfläche im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses, dahinter eine Liaison aus Fischers Budapester Festival- und dem Konzerthausorchester. Schauspielstudenten und Tänzer zelebrieren mitreißend den Csárdas, folkloristisch gekleidet, während ein Junge mit Schläfenlocken bezaubert zuschaut (Regie: Tamás Ascher, Kriszta Székely). Das ist Móric, der seinen Vater und andere Juden belasten wird, ein Mädchen ermordet zu haben zu rituellem Zweck. Als die inhaftierten Angeklagten später freigesprochen werden, rollt die Antisemitismuswelle weiter. Raffiniert ist, wie Fischer die Indoktrination des Móric mit der Falschaussage zeigt: schleimiger Song eines Mannes (János Tóth) verführt den Jungen, im Prozess die Unwahrheit wörtlich zu wiederholen, in schüchterner Rap-Manier.

Die Musik klagt, und Kossuth, Held ungarischer Unabhängigkeit, singt (Bass: Krisztián Cser): „Ich schäme mich für die antisemitische Agitation.“ Kluge Worte, kein Happyend. Aber unmittelbar wirkt das Ganze, weil Fischer seine erkennbaren Mittel beherrscht.

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