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Kultur: Ja, ich esse meine Suppe!

Menschen, die als Kinder mit großem Appetit gegessen haben, kann man gewöhnlich an einer Hand abzählen. Menschen hingegen, die ihre Kindheit mit zusammengepressten Lippen vor dampfenden Gemüsebergen, schlibbrigen Soßen und steinharten Rindsrouladen verbrachten, gibt es viele.

Menschen, die als Kinder mit großem Appetit gegessen haben, kann man gewöhnlich an einer Hand abzählen. Menschen hingegen, die ihre Kindheit mit zusammengepressten Lippen vor dampfenden Gemüsebergen, schlibbrigen Soßen und steinharten Rindsrouladen verbrachten, gibt es viele. Unter Umständen nun zieht sich ein solches Suppenkasperdasein weit ins Erwachsenenleben hinein – emsig unterstützt von Enzympäpsten, Cholesteringurus und anderen Zivilisationswächtern. Demnach ist das Essen als lustvoller, fallweise bedenkenlos leidenschaftlicher Akt nichts anderes als fern jeder Verantwortung für Leib und Seele und also: des Teufels. Wie bitte, Sie essen noch Brot? Was, Sie nehmen Zucker in den Kaffee? Fleisch und Kartoffeln? Die Inquisition ist nichts dagegen.

Richtig schwierig aber wird’s im neuen Europa, genauer: bei Freunden im nördlichen Baltikum. Piroggen, üppigst gefüllt, als Vorspeise, dazwischen Brot, Ölig-Fischiges zum Appetitankurbeln, dazwischen Brot, Elchkeule im Speckmantel, Schweinenacken ebenso, Lachs überbacken, dazwischen Brot und dazu Kartoffeln und zum Dessert „Kama“, eine Art Getreidebrei auf Sahnebasis – Tag für Tag. Vom dringend erforderlichen Alkoholkonsum ganz zu schweigen. Irgendwann, so viel ist sicher, streckt hier jeder innere Suppenkasper die Waffen und lässt es sich ganz einfach schmecken. Herrlich und wie früher, dieses Essen, herrlich, dieser Hunger! Selbst die Waage zuhause dankt’s der Lust – und zeigt aufs Gramm genau dasselbe an als wie zuvor.

Christine Lemke-Matwey

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