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Kultur: Ja ja ja, nä nä nä

Theater in Zeiten der Kriegsangst: Christoph Schlingensief sucht in Berlin mit „Atta Atta“ nach dem letzten Ausweg. Und Volksbühnen-Chef Frank Castorf findet in Zürich mit Eugene O’Neills modernem amerikanischen Klassiker „Trauer muss Elektra tragen“ die hässliche Kehrseite der Weltmacht. Ein Doppelschlag

Das tote Schwein wiegt fünfzig Kilo. Es knallt aus zehn Meter Höhe auf die Bühne runter. Viel hat bei der Premiere nicht gefehlt – und das blutige Fleischpaket hätte den wunderbaren Volksbühnen-Schauspieler Herbert Fritsch erschlagen. Er trat einfach zu früh auf. Aber haarscharf daneben ist Gott sei Dank auch vorbei.

Muss man Christoph Schlingensiefs jüngste Performance „Atta Atta – Die Kunst ist ausgebrochen“ nicht genau so betrachten? Als Betriebsunfall, als Anschlag, als ungelenken Selbstverstümmelungsversuch? Satte Melancholie und anarchische Metaphysik prägen an der Volksbühne jetzt die Grundstimmung. Ob bei Frank Castorfs Dostojewski-Video-Expeditionen oder René Polleschs Prater-Séancen – eine schwer zu fassende Religiosität durchdringt die Produktionen, prägt den post-postmodernen Spielplan. Wie Johnny Cash in seinen „American Recordings“ machen sich die alten Chaoten auf die Suche nach dem own personal Jesus.

Schlingensief trägt einen schwarzen Perückenwuschel und eine große, dunkle Intellektuellenbrille. Er bekleckst eine weiße Leinwand, pinselt das Wort Frieden hin und holt die Motorsäge. Zerlegt das Bild und dann das Atelier. „Was macht er da?“, fragt Josef Bierbichler (er mimt Christophs Vater), und Irm Hermann (sie gibt die Mutter) entfährt der Stoßseufzer: „Kunst!“ Das ist beinahe eine richtige Theaterszene. Die rührend-schrecklichen Eltern hocken wie Untote auf der Couch, unterm Kruzifix, und Klein-Christoph bleibt sogleich in der Revolte stecken. Hamlet als Happening-Künstler. Gegen Ende wird er – „Mama, ich hab dich lieb“ – die arme Frau in einem Krötentümpel vergewaltigen, während der Alte sich mit einer Flinte auf die Hinterbühne verzogen hat und nur die schneeweißen Hühner in ihren Käfigen Haltung bewahren und dem Chaos trotzen.

Ja, was macht er da? Muss er sich, als 42-Jähriger, noch immerzu abnabeln? Schlingensief führt einen aussichtslosen Vielfronten-Krieg. Gegen eine bigott-katholische Herkunft – und gegen den Kulturbetrieb. Gegen das Klischee des Provokateurs. Nach diesem düster meditativen, für seine Verhältnisse fast in sich gekehrten „Atta Atta“-Abend kann man sich mit dem Gedanken anfreunden, dass Schlingensief doch kein kühl spekulierender Trash-Entertainer ist, der seine Marktnische ausfüllt, sondern ein Künstler, dessen Leiden nicht läppisch ist und der sein Heil im seligen Dilettantismus sucht.

Was soll uns überhaupt noch Kunst, in diesen Zeiten? „Atta Atta“, das erinnert an Dada-Sprache, an eine Epoche, als sich nach dem Ersten Weltkrieg jeglicher Sinn verflüchtigt hatte. „Atta Atta“ verweist gleichzeitig auf einen Piloten der Terror-Flugzeuge vom 11. September. Martialische Musik krächzt aus Lautsprechern, wie von Minaretten. Joseph Beuys’ Stimme nölt dazu wie ein Muezzin – „Ja ja ja, nä nä nä“. Nachher steht die Schlingensief-Truppe in Burka da, einer Geisterarmee gleich. Man begreift nicht viel. Aber instinktiv versteht man: Die absolute Freiheit der Kunst (und wo wäre die Kunst freier als an der Volksbühne?) stößt ins Leere. Es gibt keine Antworten auf die Fragen, die uns quälen. Nur Ausflüchte.

Sein oder nicht sein? Schwein oder nicht Schwein? Krieg? Bierbichler hackt stoisch Holz. Die Szene ist ein deutscher Campingplatz. Bierbichler, bayerischer Urtyp, weiß virtuos mit der Axt umzugehen. Natürlich ist das pure, mutwillige Verweigerung – von solch einem begnadeten Schauspieler! „Wir machen hier Versuche in Kunst, während in Amerika drüben diese Konzernmarionette, dieses fundamentalistische Führerarschloch eine Pietätlosigkeit nach der anderen seinen feigen Raketen vorausschleudert“, schäumt Bierbichler im Programmbuch.

„Atta Atta – die Kunst ist ausgebrochen“ funktioniert als Demonstration. Ein Manifest der Hilflosigkeit, die freilich jeden Moment in Arroganz und Albernheit umschlagen kann. Ähnlich geht es doch auch bei Harald Schmidt zu: Da spielt er mit seinem Kompagnon eine ganze Sendung lang Schiffeversenken und plaudert so dahin über Krieg und Frieden, als gäbe es weder Quote noch Tote.

Kunst-Terror, Terror-Kunst. Während der Vorstellung läuft ein verwackeltes SchwarzWeiß-Video, das Schlingensief dieser Tage in Berlin gedreht hat. Ein anachronistischer Zug durch die Hauptstadt. Hannelore Elsner, Hannelore Hoger, Otto Sander und Herbert Fritsch suchen Promi-Orte heim. Machen Bambule bei Borchardt und vorm Konzerthaus, attackieren das Adlon. Dieses Filmchen gehört in die Abteilung „Medien und Eitelkeit“, und Schlingensief kritisiert sich selbst in seinem schlampigen Luxus: „Die saudischen Videokünstler führen 1:0 .“

Und dann purzelt die Sau vom Himmel. „Was ist hier los“, schimpft Herbert Fritsch. Man könnte sagen: Hier wurde heute Abend die Kunst zu Grabe getragen. Zwar geschieht das auf den Bühnen dieser Stadt, dieses Landes andauernd. Doch der Unterschied ist, dass Schlingensief das weiß. Und dass er es zum Thema macht. Gnadenlos. So komisch kaputt, dass es weh tut.

Wieder am 25. und 31. Januar.

Rüdiger Schaper

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