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Kultur: Ja, sie lieben Brahms

Zu Gast bei Freunden: Claudio Abbado, Kolja Blacher und die Berliner Philharmoniker

Sein Schritt ist schnell beim Weg auf die Bühne, er nimmt zwei Stufen auf einmal: Claudio Abbado drängt es, mit seinen Philharmonikern Musik zu machen. Vor fünf Jahren hat er das Orchester auf eigenen Wunsch verlassen, am 13. Mai 2002 fand das letzte Konzert unter seinem Chefdirigat statt. Zwei Jahre währte die Abstinenzzeit, seit 2004 kehrt er alljährlich nach Berlin zurück. Einmal pro Spielzeit. Nur. Immerhin.

Dass er heute überhaupt noch würde auftreten können, wagte um die Jahrtausendwende kaum einer zu hoffen, nach Abbados schwerer Krebskrankheit. Seine Tage haben seitdem einen neuen Rhythmus, auch diktiert vom künstlichen Magen, er probt kompakt am Nachmittag statt wie früher üblich morgens und abends – doch die Energie und die Lebensfreude, die Claudio Abbado am Freitag in der restlos ausverkauften Philharmonie ausstrahlt, berührt alle, die damals um ihn gebangt haben.

Wer Revue passieren lässt, was für ein Programm der Italiener inzwischen wieder übers Jahr absolviert, kommt erst ins Staunen, dann ins Grübeln: Da ist das Lucerne Festival Orchestra, ein Ensemble, das sich ausschließlich aus seinen Musikerfreunden zusammensetzt, und mit dem er seit 2003 nicht nur im August am Vierwaldstättersee zusammenarbeitet, sondern auch noch auf Tournee geht, 2006 nach Tokio, in diesem Oktober nach New York. Mit dem Orchestra Mozart, das er vor drei Jahren gegründet hat, tingelt er immer wieder durch die italienischen Theater. Den Winter, den er auf Anraten seiner Ärzte nicht mehr in Europa verbringen soll, nutzt er für Probenphasen mit seinem geliebten venezuelanischen Jugendorchester „Simon Bolivar“.

Regelmäßig arbeitet er außerdem mit dem Mahler Chamber Orchestra, 2008 ist eine „Fidelio“-Produktion geplant, die im April in Reggio Emilia herauskommt und später auch in Madrid und Baden-Baden gezeigt wird. Da wirkt der Berlin-Termin im Mai fast wie ein Geschenk an seine treuen Fans in der deutschen Musikmetropole, die er von der Mauer- zur Hauptstadt hat aufblühen sehen.

Auf das Werk Kurt Weills richtet sich der Fokus in dieser Philharmoniker-Spielzeit, und für Claudio Abbado, der ja die Idee programmatischer Schwerpunkte beim Orchester eingeführt hat, ist es eine Ehrensache, mit dem selten zu hörenden Violinkonzert das Seine zum Thema beizusteuern. Der heimliche Held der aktuellen Saison aber heißt: Johannes Brahms. Der Wiener aus Hamburg war der Fixstern der Abbado-Ära, vor allem mit den vier Sinfonien feierten der Chef und sein Orchester weltweit Erfolge. Simon Rattle hatte den Erzromantiker bei seinem Start 2002 darum zunächst bewusst aus dem Repertoire verbannt. Seit vergangenem Herbst aber geht nun auch der Brite auf Entdeckungsreise ins Universum des Komponisten, bis jetzt eine ziemliche Buckelpiste für Musiker wie Publikum. Vor einem Monat hat sein Interpretations-Antipode Christian Thielemann hier eine elektrisierende, wilhelminisch-bombastische „Erste“ hingewuchtet.

Wie Claudio Abbado nun Brahms’ dritte Sinfonie mit den Berlinern präsentiert, das ist – bei dem 74-jährigen Maestro darf man das ruhig so sagen – schlicht altmeisterlich. Wie aus fernen Tagen weht ein Klang des Orchesters herüber, den man nicht „deutsch“ nennen mag und der doch den Ton dieser Musik ganz genau trifft. Ungemein feinnervig, subtil im Einsatz der Mittel und gleichzeitig doch auch immer mitreißend emphatisch, ja geradezu jugendlich-leidenschaftlich glühend.

Abbado braucht keinen Takt lang, um mit Brahms warm zu werden, er steigt sofort kurz vor dem Siedepunkt ein, hält die Hitze unterschwellig auch beim scheinbar so entspannten, tänzerischen Seitenthema, kann die Stimmung darum auch jederzeit wieder hochkochen lassen. Im Andante findet er jene erdigen, sattgrünen Naturtöne, die Clara Schumann an der Sinfonie so liebte, gleitet (auch, um den vielen nervösen Hustern im Saal den Wind aus den Lungen zu nehmen) nahtlos über ins Allegretto, genießt mit den Philharmonikern, die seiner wissenden Souveränität rückhaltlos vertrauen, jedes Detail, jeden Aufschwung dieser genial gearbeiteten Partitur, bis zum überirdisch schönen Schlussakkord der Blechbläser.

Ein intellektuelles Vergnügen ist auch der Dialog mit dem Violinvirtuosen Kolja Blacher, Abbados Konzertmeister der Jahre 1993 bis ’99. Kurzfristig haben sich die beiden Künstler entschlossen, Weills „Konzert für Violine und Blasorchester“ mit Bachs d-Moll- Konzert (in reiner Streichbesetzung) zu konfrontieren: Mit minimaler Gestik sorgt Abbado im barocken Bravourstück für italienische Leichtigkeit à la Vivaldi, lässt seinem Solisten allen Raum zur Entfaltung – den Blacher für eine Rhetorik nutzt, die dem Inhalt klar den Vorzug vor der Form mit ihrem wildwucherndem ornamentalem Blendwerk gibt.

Die sensationellen Holzbläser der Philharmoniker nehmen Weills Konzert von 1924 alles Spröde. Und Kolja Blacher lässt mit klarem, direktem Ton eine goldene Zeit klanglich aufleben, als die Komponisten mit stolzgeschwellter Brust an der Spitze der Avantgarde schritten, erfüllt vom beglückenden Gefühl, auf dem richtigen Weg in die Zukunft zu sein.

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