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Das Duo "The White Stripes" ist Kult. Am Dienstag spielt Jack White in Berlin.

© dpa

Jack White von "The White Stripes": Musik ist eine Farbe

Darf ein Weißer rein in die Welt der alten schwarzen Blues-Männer? Ja, sagte sich Jack White. Aber vorsichtshalber tarnte er sich. Am Dienstag kommt er nach Berlin.

Der Beweis, dass Backwaren denken können, ist noch lange nicht erbracht, aber die Behauptung steht schon mal im Raum. Wenn sie stimmt, dann wird zwischen den Mehlmolekülen sogar außerordentlich viel gedacht, und zwar wild durcheinander und oft an Dinge, die üblicherweise im mentalen Abseits liegen.

Ein paar Beispiele: „Ich denke über meinen Türgong nach“, „über die Käfer und das Alphabet“, „ich denke, ich werde dich heiraten“, „ich denke, ich werde eine Weile dableiben“, „ich denke, es ist Zeit, dass ich weg bin“. „So viele Gedanken in meinem Kopf“, dessen Inhalt ist „wie Eierkuchenteig“.

Schöner, im Idealfall dünnflüssiger Eierkuchenteig. Man braucht Hitze, um ihm eine Form zu geben.

Der Mann, von dem all diese Nachdenkbekenntnisse stammen, ist der Rockmusiker Jack White. Er hat sie aufgeschrieben, Lieder daraus gemacht und schließlich Schallplatten. Er ist „der coolste, sonderbarste, schlauste Rockstar unserer Zeit“, steht in der „New York Times“, was natürlich auch bloß eine Behauptung ist, aber die sagenhafte Aufmerksamkeit, die diesem Mann zuteil wird, die lässt sich messen. Allein die erfolgreichste seiner vier Bands findet Google ähnlich oft im Internet wie Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart oder Johann Sebastian Bach.

An diesem Dienstag wird er aus dem Himmel der weltweiten Anteilnahme auf die Bühne des Berliner Tempodroms hinabsteigen, am Mittwoch im Kölner E-Werk auftreten und nächste Woche in Hamburg.

Kommt da also ein Heiland nach Deutschland?

Jack White zögert kurz, dann sagt er so etwas wie Ja, er nimmt einen Umweg dabei. Er singt zur Gitarre: „Was würde ich gern gewesen sein? Alles was du hasst.“ Ein Gott wider Willen demnach? Es ist die Teigvariante einer Antwort, wenn man so will, sie kann einem durch die Finger rinnen. So geht das bei ihm die ganze Zeit.

Ob man das Thema trotzdem mal vertiefen könnte? Ein Treffen?, sagen die Leute von der Plattenfirma, nein. Nein, sagt auch das Management, ausgeschlossen. Nein, auch dann und dann nicht, und dort und da genauso. Der Mann wolle seine Ruhe. Kurzes Telefongespräch geht vielleicht. Aber doch eher nicht. Ein „allgemeingültiges Interview“ immerhin stünde zur Verfügung, „generic interview“. Neueste Erfindung im Superstarwesen. Im Gespräch bleiben, ohne Gespräche zu führen, sondern nur ein einziges, und zwar mit einem der eigenen Öffentlichkeitsarbeiter, irgendwo und irgendwann, schon abgetippt.

Allzu große Publikumsnähe ist auch aus einem anderen Grund nicht in seinem Interesse. Denn White ist ein Schmuggler. Er ist darauf angewiesen, einigermaßen unerkannt zu bleiben. Im Schutze von Täuschungsmanövern schmuggelt er Botschaften aus der Vergangenheit unters Volk.

White, geboren 1975 in Detroit, sitzt in einem Holzhaus irgendwo in seinem jetzigen Wohnsitzstaat Tennessee und legt eine Schallplatte auf. Die Hülle auf dem Schoß hört er einem Mann beim Musikmachen zu. Der Mann singt mit brüchiger Stimme und klatscht dabei unrhythmisch in die Hände, ein Blues, geschrieben in den 30er Jahren. Nur eine Stimme und ein schräger Takt. „Ein Mann in einem Lied gegen den Rest der Welt“, sagt White, „mein Lieblingslied.“

Die Szene ist ungefähr vier Jahre her. Sie spielt sich vor der Kamera des Dokumentarfilmers Davis Guggenheim ab. Es ist einer der wenigen Momente, in denen sich der Nebel um White ein wenig lichtet.

Auf einmal war er gar nicht mehr so fremdartig

Er sei 18 gewesen, sagt er, aufgewachsen in einer mexikanischen Nachbarschaft, in der es außer Rap und DJ-ing keine andere Musik gegeben hatte, als er jenes Lied zum ersten Mal hörte. „Ich habe tagelang darüber nachgedacht“, sagt White, „eine neue Welt lag vor mir, und ich musste rausfinden, wie ich da reinkomme.“ Eine schiefe, rohe und unverstellte Welt. „Durfte ich denn da rein?“, habe er sich gefragt. Durfte der weiße Junge in die Welt der alten schwarzen Blues-Männer? Der Eierkuchenteig in seinem Kopf bekam zum ersten Mal eine Form.

White schien sich über sein Vorhaben nicht sicher gewesen sein. Er beschloss jedenfalls, es zu versuchen. Vorsichtshalber aber würde er sich vorher verkleiden.

Mit dem Zustandekommen jener mozartgleichen Band – The White Stripes – im Jahr 1997 begann er, weiße T-Shirts zu tragen, rote Hosen, weiße Socken, rote Zirkusdirektorenanzüge mit weißen Applikationen. Er stieg in rot-weiße Tournee-Flugzeuge, schaffte rot-weiße Instrumente an und rot-weiße Bühnentechnik, alles – auch die Plattencover – war rot-weiß mit ein bisschen Schwarz drumherum.

„Es war kindisch“, sagt White, „wir präsentierten uns wie Comicfiguren, um die Leute davon abzulenken, dass wir in Wahrheit versuchten, das hier zu spielen.“ Sein Blick senkt sich auf die alte Schallplattenhülle.

Es hat offenkundig funktioniert. Unter rot-weißer Flagge, gedeckt durch weiteren Nebensächlichkeitenklimbim wie die vergeheimnissten Antworten auf die Publikumsfrage nach seinem Verhältnis zur Bandkollegin Meg White – Schwester oder Ehefrau? –, betrieb White seine Ausgrabungsarbeiten. Die Musik der mittlerweile nicht mehr existenten White Stripes ging zwölf Millionen Mal über Verkaufstresen und durch die Bezahlschranken des Internets. Die Band sammelte Musikpreise ein. Die Fremdartigkeit dieses Mannes, die von ihm eingenommene Distanz zu seiner Zeit, schlug um. Kollegen, Kritiker, das Publikum unterstellten ihm eine im Musikgeschäft lange nicht gehörte Echtheit, und bei manchen entstand sogar der Wunsch nach Nähe zu ihm.

White trat vor Martin Scorseses Kamera als Gast bei einem Rolling-Stones-Konzert auf, das Lied zu „Ein Quantum Trost“, dem letzten James-Bond- Film stammt von ihm, er trägt akademische Würden der Philosophengesellschaft der Universität von Dublin, er kommt in Spielfilmen der Großregisseure Jim Jarmusch und Anthony Minghella vor. Der Dokumentarfilm „It might get loud“, in ihm ist die Szene mit der alten Schallplatte zu sehen, porträtiert Jack White auf Augenhöhe mit den Weltgitarristen von Led Zeppelin und U2. Die irgendwie fanfarenhafte Melodie von „Seven Nation Army“, eines seiner bekanntesten Lieder, ist spätestens seit der Fußball-WM 2006 fester Bestandteil von Fangesängen in europäischen Stadien, beim FC Bayern München läuft sie nach jedem Tor sogar vom Band, derzeit in den Stadien in der Ukraine und in Polen.

Ob White das gewollt hat?

Er singt: „Du bist in deinem kleinen Zimmer,

und du arbeitest an irgendetwas Gutem, doch wenn es wirklich gut ist,

wirst du ein größeres Zimmer brauchen,

und wenn du dann in diesem größeren Zimmer bist,

kann es sein, dass du nicht weißt, was zu tun ist.

Es kann sein, dass du daran denken musst, wie du angefangen hast, sitzend in deinem kleinen Zimmer.“

Das ist dasselbe Schicksal, das vor 50 Jahren die Rolling Stones ereilte, mit einem Unterschied. Sie sahen damals auf zu Chuck Berry und Muddy Waters, zu Leuten aus ihrer Vorgängergeneration, sind dann aber größer geworden als die. White ist extremer. Er ging noch einen Schritt in der Zeit zurück, zu den längst namenlos gewordenen Blues-Sängern aus dem Mississippidelta. Gemessen an denen ist er längst überlebensgroß. Seine Zimmer, vergleichsweise, sind es wahrscheinlich auch.

Wie echt ist er wirklich?

Manchmal warnt er die Leute davor, sie sollten sich nicht einbilden, seine Liedtexte hätten irgendetwas mit seinem Leben zu tun. Doch sollen sie ihm noch irgendetwas glauben, nach mehr als zehn Jahren Mummenschanz? Es passt jedenfalls zu schön, dass er längst zwei neue Bands geschaffen hat, The Raconteurs und The Dead Weather, die nicht annähernd die Reichweite der White Stripes haben.

Es passt wiederum nicht, wenn man sich anschaut, was mit seinem letzten Album passiert ist. „Blunderbuss“, eine im April erschienene Soloplatte, war kurz darauf die Nummer eins in der US-amerikanischen Billboard-Hitparade. Dort war White vorher noch nie.

Die Abstammung seiner Musik vom Gesang der alten, längst gestorbenen schwarzen Männer aus dem Mississippidelta ist immer noch zu hören. Ungeschlachtes Zeug, sehr einfach und hart, ohne auch nur das Geringste mit Hard Rock oder Heavy Metal zu tun zu haben.

Im britischen „Guardian“ stand danach: „Der Lionel Messi des Rock!“ Im „Rolling Stone“: „Hansdampf“. Der „Sydney Morning Herald“ zieht sich auf ein bewunderndes „Mysterium“ zurück, und die „Times of India“ kapituliert lieber gleich: „Es gibt wirklich nichts, was wir über diesen Mann sagen können.“

Die Welt pendelt zwischen handfesten Urteilen über diesen Mann und vollkommener Ratlosigkeit. Einig ist sie sich nur in seiner Wichtigkeit. Mit 36 Jahren ist er selbst schon zum Urahnen geworden. Eine ganze Welle von Bands versucht Musik so zu machen, wie er sie macht.

Vielleicht ist ja auch noch dieses klar: Rot-Weiß ist Geschichte. Die Farbe von Whites Gesicht ist in der letzten Zeit etwas ins Alabasterhafte gegangen, ansonsten dominiert Schwarz und eine Art Taubenblau. Taubenblaue Jacken, taubenblaue Gitarren, taubenblaues Scheinwerferlicht. Schwarze Hosen, schwarzes Haar, auf manchen aktuellen Fotos wirkt er wie Michael Jackson, nur gesund.

Ein bisschen künstlich ist das immer noch, aber es ist keine Verkleidung mehr. White wirkt vielmehr so wie einer, der sich ein bisschen nett anziehen, der ein hübsch eingerichtetes Wohnzimmer haben will. Er braucht die alte Art der Tarnung nicht mehr. Seine neue Tarnung ist der Ruhm.

Ist Echtheit für das, was er tut, überhaupt wichtig?, ist er mal gefragt worden, als er in Dublin vor Philosophiestudenten saß. „Ich habe keine Ahnung, ob Bob Dylan und Tom Waits so echt sind, wie ich glaube. Wahrscheinlich sind sie es nicht. Manchmal denkst du, Leute wie Britney Spears sind echter.“ Er hat nicht gelacht dabei. Vor Publikum lacht er selten.

Aber warum sollte er auch? Jack White, dem öffentlich wahrnehmbaren, dem Musiker, der Kunstfigur, geht es bei allem, was er in dieser Rolle tut, wahrscheinlich um das Heiligste was ein Mensch besitzen kann. Sich selbst.

„Es gibt einen Ort, an dem meine Seele Ruhe findet“, sagt er im Dokumentarfilm, „und diese Jungs“, die namenlosen toten Sänger aus dem Süden der USA, „haben ihn beschrieben.“ White ist nicht zu sehen dabei, nur zu hören. Im Bild ist eine von seiner blutig gespielten Hand verschmierte Gitarre. Es zeigt einen Archäologen bei der Arbeit.

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