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Kultur: Jahre der Prägung

Volker Ullrichs und Othmar Plöckingers Bücher über Adolf Hitlers Aufstieg.

Seit den 1930er Jahren sind zahlreiche Biografien über Adolf Hitler erschienen, von denen einige herausragen. Den deutschsprachigen Buchmarkt dominierte lange Zeit Joachim Fest. Mit über 850 000 verkauften Exemplaren zählt seine 1973 erschienene Biografie zu den einflussreichsten zeitgeschichtlichen Publikationen der Nachkriegszeit. Sie war, wie so vieles damals, geprägt vom Hitlerbild Albert Speers. Heute interessiert uns nicht mehr so sehr Hitlers „antikisch anmutende Feldherreneinsamkeit“, im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ steht vielmehr der Holocaust. 1998/2000 kam die zweibändige Biografie des britischen Historikers Ian Kershaw heraus, die bis heute Maßstäbe setzt. Kershaw folgte einem strukturalistischen Ansatz, schrieb aus gesellschaftsgeschichtlicher Absicht eine „nicht auf Hitler zentrierte Biografie Hitlers“. Diesen Ansatz kann man kritisch sehen und dennoch Kershaws große Forschungsleistung anerkennen. Volker Ullrich stellt selbst die Frage, ob es nach diesem monumentalen Werk Bedarf für eine weitere Biografie gibt.

Er verweist zu Recht darauf, dass in den 15 Jahren, die seit dem Erscheinen von Kershaws Biografie vergangen sind, eine große Fülle neuer Arbeiten zu führenden Männern der Weimarer Zeit und des „Dritten Reichs“ erschienen sind, außerdem zahlreiche Monografien zu verschiedenen Bereichen und Aspekten des NS-Systems. Man muss Volker Ullrich bescheinigen, dass er alle diese Arbeiten mit Fleiß und Akribie rezipiert hat. Seine Darstellung bewegt sich durchweg auf der Höhe des Forschungsstands, dennoch verbleibt sie im Großen und Ganzen in den bekannten Bahnen. Lediglich in einigen Detailpunkten kann er dem bekannten Bild Ergänzungen hinzufügen. So erfahren wir, dass Hitler in der Landsberger Haft nicht Rudolf Heß den Text von „Mein Kampf“ diktiert, sondern sich selbst mit zwei Fingern auf der Schreibmaschine versucht hat.

Bei seiner Arbeit konnte Ullrich aber auch auf Quellen zurückgreifen, die früheren Biografen noch nicht zur Verfügung standen, so die Nachlässe von Rudolf Heß und Rudolf Buttmann und einige Unterlagen, die Aufschluss über die wirtschaftliche Seite von Hitlers Lebensführung geben. Außerdem liegt inzwischen eine Edition der ebenso umfangreichen wie aufschlussreichen Tagebücher von Harry Graf Kessler vor und auch die Tagebücher von Joseph Goebbels sind seit einigen Jahren durch eine wissenschaftliche Edition erschlossen.

Volker Ullrichs Ehrgeiz erschöpft sich aber nicht darin, die Lebensbeschreibung des deutschen Diktators auf den neuesten Stand zu bringen. Sein Ansatz ist ein grundlegend anderer als der von Kershaw. Sein Ziel ist es, die Persönlichkeit Hitlers, die in Kershaws Darstellung „bemerkenswert blass bleiben musste“ (Ullrich), wieder in den Fokus zu rücken. Diesem Ziel dienen vier Kapitel über den Menschen Hitler, den Lebensstil des Reichskanzlers, Hitler und die Frauen und die Gesellschaft auf dem Berghof, Hitlers Landhaus am Obersalzberg. Diese Kapitel sind zuweilen etwas detailverliebt, aber sie lassen in der Tat ein lebendiges Bild des Politikers und späteren Diktators entstehen und widerlegen den populären Mythos vom rastlosen Demagogen, der als Mensch gewissermaßen eine Unperson sei. Diese Kapitel, die uns den Menschen Hitler nahebringen, stehen etwas unverbunden neben den übrigen Abschnitten, in denen die politische Geschichte der Zeit behandelt wird. Zuweilen hätte man sich eine intensivere Verschränkung des Deskriptiven und des Analytischen gewünscht.

Die eigentliche Leistung von Volker Ullrich liegt in gewisser Weise nicht offen zutage. Ian Kershaw hat zu Recht festgestellt, dass das, was Hitler in seinen unzähligen Propagandareden von sich gegeben hat, sich nicht wesentlich unterschied von den Parolen anderer nationalistischer Führer jener Tage. Entscheidend war nicht, was er sagte, sondern wie er es sagte. Ein ganz wesentliches Element seiner langen Reden war stets die sogenannte Parteierzählung, die Geschichte, wie die von Hitler geführte Partei sich aus kleinsten Anfängen unter widrigsten Umständen langsam emporgearbeitet habe. Es ging Hitler aber nicht nur um die Partei, sondern immer auch um die eigene Person. Die Deutungshoheit über die eigene Geschichte war ein wesentliches Element von Hitlers Wirkungsmacht, der Führermythos ein wichtiges Instrument auf dem Weg zur Macht.

In diesem Sinne ist auch der erste Band von „Mein Kampf“ eine sorgfältig stilisierte, mit vielen Erfindungen angereicherte Autobiografie. Hitler wollte stets Herr über seine Biografie sein, von der Legende des heroischen Frontkämpfers im Ersten Weltkriegs bis hin zum entsagungsvollen Junggesellen, der sein ganzes Leben rückhaltlos in den Dienst der Partei und der Nation stellte. Deshalb durfte Eva Braun sich in der Öffentlichkeit nie an der Seite des Geliebten zeigen. Um seine Deutungshoheit nicht in Gefahr zu bringen, neigte Hitler dazu, andere Menschen gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen. Seine stundenlangen Monologe waren gefürchtet. Der Lebensmonolog und die Parteierzählung waren komplementäre Elemente eines idiosynkratischen Gesamtkunstwerks.

In diesem Jahr ist auch ein Buch des Salzburger Historikers Othmar Plöckinger erschienen, das neues Licht auf die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wirft. Akribisch untersucht er die 17 Monate von der deutschen Kapitulation bis zu Hitlers Entlassung aus dem Heer am 31. März 1920. Seit langem beschäftigt sich die Forschung mit der Frage, wann Hitler seine entscheidende antisemitische Prägung erhalten hat. Brigitte Hamann, der wir die meisten Kenntnisse über Hitlers Wiener Zeit verdanken, hat überzeugend dargelegt, dass dies im Wien der Vorkriegsjahre noch nicht der Fall war. Thomas Weber hat gezeigt, dass Hitlers politische Identität „noch vollkommen offen und formbar“ war, als er aus dem Krieg zurückkehrte. Plöckinger belegt, dass Hitler auch nach Kriegsende, trotz der politischen Unruhen jener Zeit, fast ein Jahr lang in Passivität und Orientierungslosigkeit verharrte. Erst im Oktober 1919 wurde aus dem Soldaten ein Agitator. In jener Zeit fasste Hitler den Entschluss, Politiker zu werden und nicht schon, wie er in „Mein Kampf“ behauptet hat, im Lazarett in Pasewalk im November 1918.

Plöckinger beschreibt in seiner verdienstvollen Studie ausführlich, in welchen erschreckenden Ausmaßen der Antisemitismus in jener Zeit im Militär grassierte. Plöckinger will nicht so sehr schildern, wie Hitler damals gelebt hat, sondern welchen ideologischen Einflüssen er ausgesetzt war. Deshalb beschreibt er ausführlich das Netzwerk der völkischen, antibolschewistischen und antisemitischen Vereine und Verbände, die damals in München aktiv waren, und greift dabei auch auf eine Fülle von unveröffentlichtem Quellenmaterial zurück. Hitler, der mit 16 Jahren die Schule hatte verlassen müssen und ein allenfalls halb gebildeter Autodidakt war, erwarb in dieser Zeit, schreibt Plöckinger, „Schlüsselkompetenzen zur Steuerung einer Bewegung“. Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zu der noch immer nicht ausreichend erforschten Frühgeschichte des Nationalsozialismus.

Volker Ullrich bietet weniger neue Erkenntnisse als Othmar Plöckinger, dafür aber eine umfassende Synthese, die dem vorbehaltlos empfohlen werden kann, der angesichts des Umfangs allerdings einen langen Atem braucht, zumal ein zweiter Band folgen wird.

Volker Ullrich: Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 1084 Seiten, 28 Euro.

Othmar Plöckinger: Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Militär 1918–1920. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2013. 378 Seiten, 39 Euro.

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