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Kultur: Jahre der Unschuld

Zwei Foto-Ausstellungen über New York in den Sechzigern

Während New York in diesen Tagen im Zeichen der Debatten um die Modelle und Bebauungspläne von Ground Zero steht, werfen zwei Berliner Ausstellungen den Blick zurück auf das New York der Sechzigerjahre. Unter dem mehrdeutigen Titel „The Age of Innocence“ präsentiert die Galerie Dittmar Arbeiten von Horst Schäfer. Der 1932 geborene Fotograf lebte zwischen 1960 und 1980 auf dem nordamerikanischen Kontinent und vorwiegend in New York.

„Bring all the GI’s home now!“, verkündet das Transparent über einer aufgewühlten Menschenmenge. Auf den Titel „Vietnam Demonstration“ könnte man eigentlich verzichten, denn längst haben sich diese Bilder ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Doch Horst Schäfer nimmt die Situation und die Jugendlichen so prägnant ins Visier, dass sein Bild über das pure historische Dokument hinausweist. Das Spruchband bringt die Zeit und das Thema eher beiläufig ins Spiel; im Zentrum stehen die Schüler, deren divergente Gefühlswelten – im Angesicht des Krieges, aber ebenso des Fotografen – Schäfer in einem einzigen Foto zum Panorama einer „Zeit der Unschuld“ bannt.

Insgesamt ist es jedoch eher der Zufall, der bei Schäfer die Historie ins Gedächtnis ruft. Das 1969 entstandene „Kai am East River“ zeigt das World Trade Center, dessen Zerstörung den Auslöser für einen drohenden Krieg bildet, als Hintergrund eines morbiden Hafens mit schwarz verkohlten Holzpfählen. Erst auf den zweiten Blick erschließen sich in der Ferne die Twin Towers, aus denen zur Zeit der Aufnahme noch die Baukräne herausragen.

Gen Himmel streben

Die Ausstellung vereint mit 27 Fotografien, die in einer Auflage von 10 Exemplaren je 850 und 900 Euro kosten, einen kleinen Überblick über das damalige Spektrum des heute in Nürnberg ansässigen Schäfer. Dem Fotojournalisten gelangen neben den dokumentarischen Bildern Aufnahmen von kompositorischer und künstlerischer Kraft, was ein Statement des Autodidakten eindrucksvoll unterstreicht: „Ich wusste vom ersten Moment an, wie meine Bilder aussehen sollten.“ Die strukturell faszinierenden „Fensterputzer“ oder der Mann „Auf der Spitze des Chrysler Building“ stehen den atemberaubenden Aufnahmen einer Margaret Bourke-White in keiner Weise nach.

Schäfer fokussiert mit Vorliebe das „Neue Bauen“, zeigt schlichte Arbeiter auf gen Himmel strebenden Wolkenkratzern und liefert den menschlichen und zivilisatorischen Abgrund gleich mit. Ob in seinen eigenwilligen Architektur-Fotografien oder in den anrührenden Menschenbildnissen – Schäfers untrüglichem Blick für das Unmittelbare eignet eine Wirklichkeit, die im Sichtbaren stets die Konturen des Unsichtbaren mitdenkt.

Rasende Reporter

Die Fotografien von Klaus Lehnartz im Kunsthandel Jörg Maaß bieten hierzu einen komplementären Kontrast. Wo Schäfer buchstäbliche Foto-Grafik mit subjektiver Fotografie vereint, führt Lehnartz mit der erfrischenden Neugierde des „rasenden Reporters“ durch die Stadt. Der in Berlin lebende Fotograf, dessen Bild eines beim Mauerbau flüchtenden DDR-Soldaten um die Welt ging, ist stets dem pulsierenden Zeitgeist auf den Spuren und scheint all seine Erscheinungsformen einzusaugen und auszuleuchten. Poetische Momente wie das umschlungene Paar am Hudson River vor der entrückten, in Nebel gehüllten Freiheitsstatue bilden bei den Vintage Prints (700 und 800 Euro) die Ausnahme.

Das Objektiv von Klaus Lehnartz’ fängt die unterschiedlichsten Modetrends ebenso rasant ein wie die Underdogs oder die Schrullen der Großstädter, die er geradlinig mit der gebührenden Distanz, aber trotzdem mit Sympathie ins Blickfeld rückt. Die Aufnahme „China Town“ seziert für einen Augenblick das Leben und Umfeld der Bewohner des Viertels. Schäfer hingegen entdeckt in der selben Umgebung Kurzgeschichten, Begegnungen, die nie stattgefunden haben, außer im Kameraauge des Fotografen.

Wenngleich beide Fotografen mit Schwarzweißfilmen und im Kleinformat arbeiten und ihren Momentaufnahmen keine Inszenierung zu Grunde legen, könnten die Ergebnisse ihrer Sicht auf das New York der Sechzigerjahre kaum unterschiedlicher sein. Während Schäfers Blick ruhig flaniert und frei nach Goethes „Faust“ zu sagen scheint: „Verweile doch! du bist so schön!“, eilt der vier Jahre jüngere Lehnartz rastlos durch Menschenströme, Häusermeer und Blechlawinen. Das gleiche New York und die gleiche Zeit ergeben in den zwei Ausstellungen nie dasselbe. Aus dem historischen Abstand regen sie wie zwei Seiten einer Medaille subtil zum Nachdenken an, ohne das Zeitpolitische überzustrapazieren. Ob die Menschen bald erneut gegen den Krieg auf die Straßen gehen und mit ebendem jugendlichen Selbstbewusstsein wie Schäfers Schüler verkünden werden: „We are the majority!“, bleibt offen, aber zu hoffen.

Galerie Dittmar, Auguststraße 22, bis 22. Februar; Dienstag bis Sonnabend 12-18 Uhr.

Jörg Maaß Kunsthandel, Rankestraße 24, bis 31. Januar; Mittwoch bis Freitag 15-18 Uhr.

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