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Kultur: Jahrmarkt der Göttlichkeiten

Die klassische Primadonna durfte exzentrisch sein. Ihre Enkel greifen zu Pop und Mainstream, um sich zu behaupten. Eine Typologie der neuen Diva

Letzte Woche auf dem Wiener Opernball. Oben in „Mörtel“ Lugners Loge: Paris Hilton, 24. Unten auf der Bühne: Anna Netrebko, 35. Das amerikanische Partygirl und die russische Primadonna. Schneeweißchen & Rosenrot. Die eine, die mit den kleinen Hündchen in den noch viel kleineren Handtäschchen, langweilt sich nach Kräften und macht sich deutlich vor der vertraglich vereinbarten Zeit aus dem Staub; die andere, der Prototyp der „neuen Diva“, rollt per Pferdekutsche vor und erfüllt brav ihre Pflicht (drei Arien von Puccini). Geld haben die Protagonistinnen der celebrity culture an diesem Abend beide verdient, dem Vernehmen nach nicht schlecht. Ob die eine dabei viel kann und die andere wenig respektive eigentlich gar nichts, spielt keine Rolle. Und genau da liegt das Problem.

Ob Trash, ob Pop, ob Klassik: Ein Star ist heute, wer sich selbst zu einem macht. Für die sprichwörtlichen „15 Minuten“ (auf die nach Andy Warhol jeder Mensch ein Anrecht hat), für einen Tag, eine Nacht, für ein paar Monate oder Jahre. Durch ein konsequentes sampling, morphing, cloning des eigenen Körpers genauso gut wie durchs Absingen hoher und höchster Töne. Allerdings hat diese Gleichschaltung, diese Popularisierung ihren Preis. „Anna Netrebko wirkt selbst als Verdis Traviata wie eine tragische Paris Hilton der Oper“, diagnostizierte unlängst der „Stern“, und das ist kein nettes Kompliment. Wer als klassischer Musiker heute Pop will, der kann Pop (oder Trash) haben. Nach allen Regeln der Kunst. Und des Marktes. Nur sollte man sich der Härten und Kurzlebigkeiten des Geschäfts gewahr sein.

Die neue Diva kann viel und will noch mehr. Ist auf den Bühnen der hohen, hehren, heil’gen Kunst ebenso zu Hause wie im Gucci-Shop an der Münchner Maximilianstraße. Sieht mindestens so gut aus wie sie gut spielt oder singt. Leistet sich eine Entourage aus Image-Beratern und Stylisten. Scheut kein Talkshow-Sofa und lässt sich beim Salzburger-Nockerln-Backen ins Ofenrohr gucken. Feilt täglich an ihrem Marktwert. Ein echter Super-Profi.

Noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galten Diven als Geschöpfe der Ewigkeit: „gelebte Mythen“ (Roland Barthes), „letzte Märchen“ (Ingeborg Bachmann). Die Diva, sagt die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, verbindet Himmel und Hölle, lebt buchstäblich auf der Rasierklinge. Sie ist gleichzeitig „göttlich“ und vom Tode bedroht; sie ist „versehrt“ – durch Herkunft oder ein bedauernswertes Schicksal – und strahlt dafür umso heller; sie folgt einem Image und sie ist authentisch. Außerdem hat sie eine Aufgabe, die in der säkularen Gesellschaft keiner mehr so recht erfüllen will: Sie ist Ikone, Galionsfigur, Versprechen eines besseren, wirklicheren Lebens. Maria Callas oder Marilyn Monroe ihr Name. Sie tröstet uns über unsere eigene Unzulänglichkeit hinweg, transzendiert alle irdische Banalität. Und ist stets mehr Kult als Kultur.

So viel zur Theorie.

Von Miss Hilton würde man in sämtlichen Punkten wohl eher das Gegenteil behaupten. Sie, die im Getränkemarkt um die Ecke als Pappkameradin für Dosen- Prosecco wirbt, ist das höchste erreichbare Banale. Irgendwo dazwischen aber, zwischen den Ludern der Globalisierung und den Göttinnen, tun heute Anna und ihre Schwestern Dienst. Gestern noch als Putzfrau im St. Petersburger Konservatorium entdeckt, morgen schon bei den Salzburger Festspielen und an der Met. Allzeit bereit, sich ins nächste Chamäleon-Fähnchen zu stürzen, von den hochmögendsten Maestri ebenso hofiert wie von den „Mörtels“ dieser Welt. Dabei ist Anna im Grunde ihres Herzens ein nettes Mädel aus der südrussischen Provinz. Zwei Fragen also müssen beantwortet werden: Tut es der Kunst Abbruch, wenn sie ihre Elfenbeintürme verlässt und sich den mehr oder weniger aggressiven Strategien des Pop-Marketing unterwirft? Und: War dies alles denn jemals anders? Sind es nicht immer solche Grenzüberschreitungen gewesen, die unserem kollektiven Bewusstsein erst heiße Schauer über den Rücken jagen?

Schon Orpheus, der mythische Ur-Sänger, konnte Steine erweichen und Tiere wie Pflanzen betören, er schläferte Drachen ein und übertönte mühelos jeden Sirenengesang. Seine Leier, die Lyra, funkelt als Sternbild am nördlichen Firmament. Anbetungswürdig, unerreichbar. Wie Orpheus singen und leuchten wollen seit jeher viele, bis heute – und die meisten wollen es allein. Konkurrenzlos, mit militanter Marktverdrängung. Welche Sonne duldet schon eine zweite Sonne neben sich. Und genau hier tut sich ein fundamentaler Unterschied auf: Früher wurden derlei Fehden öffentlich ausgetragen, heute regeln Quoten die Thronfolge. Während es einer Anna Netrebko, einer Cecilia Bartoli nicht im Traum einfiele, laut über eine Konkurrentin zu lästern, gestand die Sopranistin Renata Tebaldi einst unter Tränen, sie werde Mailand und die verdammte Scala nie wieder betreten, wenn die Callas-Claque ihr noch einmal Radieschen auf die Szene würfe . . . Ergo: Das sozial Inkorrekte, Unberechenbare, Frech-Verruchte, es taugt längst nur mehr zum Abziehbild, zum Zitat. Auf die Diva als Priesterin folgte in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts die „Primadonna ohne Starallüren“ (à la Montserrat Caballé, die sich selbst als „stinknormal“ empfindet), und diese wiederum provoziert nun das trällernde Supermodel. Heute femme fatale, morgen Lolita, übermorgen der Schwiegertochtertraum von nebenan, kein Problem. Die Authentizität und Wahrhaftigkeit einer solchen postmodernen Künstlerinnenpersönlichkeit liegt darin, dass wahrhaftig nichts an ihr mehr authentisch ist. Wer brächte das cooler auf den Begriff als Madonna – über Madonna: Sie begreife sich als „ein kulturelle Abfälle fressender Wiederkäuer“. Klassik oder nicht Klassik, das ist offenbar gar nicht mehr die Frage.

Früher, ganz früher las sich das anders. Musik war notgedrungen Musik von zeitgenössischen, also: lebenden Komponisten, und wer wie eine Henriette Sontag (1806 – 1854) etwas auf sich und seinen Stimmumfang hielt, der fraß vor jedem Auftritt riesige Mengen heißer Maroni und vermachte seinen „goldenen“ Kehlkopf gleich zu Lebzeiten der Anatomie. Je schriller die Triller, je halsbrecherischer die Koloraturen, desto unerbittlicher auch die Konkurrenzkämpfe auf, unter und hinter den Brettern, die die Welt bedeuteten. Bestechung, Korruption, Intrigen. Und wenn all dies nicht fruchtete, legten die Diven selbst Hand an: Als Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni – die beiden Ersten Damen vom Londoner Haymarket, wahre Weltstars des barocken Establishments – anno 1727 in einer Heldenoper von Bononcini gemeinsam auftreten sollen, fielen sie so lange tretend, kratzend und beißend übereinander her, bis beide blutüberströmt und ohne einen einzigen Ton gesungen zu haben wieder von der Bühne wankten. Die virtuellen Schlammschlachten zwischen „Naddel“ und Frau Pooth, man merkt es schnell, sind nichts dagegen.

Die Frage der Geschlechterdifferenz übrigens steht hier weniger im Vordergrund, als man vermuten würde. Im Gegenteil: Das Jonglieren mit männlichen und weiblichen Versatzstücken ist dem antinaturalistischen Grundgesetz der Oper sozusagen eingeschrieben und entfaltete früh seine Reize. Hatten sich die Ur-Primadonnen um Stimmfach, Rang und Gage noch mit der äußerst zwielichtigen Kastraten-Konkurrenz herumzubalgen, grauste es die Hosenrollen-Primadonna wenig später vor gar nichts: „Madame Malibran hat die Rolle des Otello gesungen und die Schröder-Devrient die Desdemona. Die Malibran ist klein, die Deutsche riesenhaft. Man meinte, die Deutsche würde den Otello erdrosseln“, berichtet Frédéric Chopin 1830 halb pikiert, halb amüsiert von einer Verdi-Premiere aus Paris. Und auch die Herren Tenöre lieferten sich natürlich erbitterte Zickenkriege. Von dem Italiener Giacomo Lauri-Volpi etwa geht die Sage, sein stählernes hohes D sei bei günstigen Winden bis ins ferne London zu vernehmen gewesen – womit er seinen dort ansässigen Landsmann und Widersacher Beniamino Gigli, den „Rattenfänger“, regelmäßig zur Weißglut trieb.

Wo es allerdings weniger um die Kunst als ums Leben geht, weniger um den eigentlichen Augenblick als um den uneigentlichen Ruhm, da lassen sich Primadonnen und primi uomini fein säuberlich trennen. Verkürzt gesagt: Die Männer kümmern sich um die Technik, die Frauen ums Private. Richard Tauber besitzt im Berlin der Zwanzigerjahre die Erlaubnis, bei Rot über die Ampel zu fahren. Enrico Caruso, der tenorissimo der Neuzeit, wohnt praktisch der Erfindung des Grammofons bei, macht dieses mit mehreren hundert Aufnahmen gesellschaftsfähig und sich selbst en passant unsterblich. Außerdem ist er der Erste, der mit seiner Kunst Stierkampfarenen füllt. Der kleine Joseph Schmidt avanciert zum Radiostar (für bühnenuntaugliche 1,54 Meter das ideale Medium!), Lauritz Melchior, Leo Slezak und John McCormack helfen die Popularität des Tonfilms mit zu begründen, der Schwede Jussi Björling singt als einer der Ersten auf LP, und Rudolf Schock und Fritz Wunderlich grüßen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren schlagerselig von den ersten bundesrepublikanischen Flimmerkisten. Und all das soll nicht bereits Pop gewesen sein?

Herbert von Karajan flog seine Privatjets gerne selbst, der Pianist Vladimir Horowitz ging nie ohne eigenen Flügel und eine bestimmte Anzahl eingefrorener Seezungen auf Reisen, und Luciano „Big P“ Pavarotti lehrte sämtliche Spitzenköche zwischen New York und Tokio, die für sein hohes C erforderliche Hühnerbrühe exakt à la Mama zuzubereiten. Davon könnten selbst Exzentriker wie David Bowie und Naomi Campbell noch etwas lernen. Und Pavarotti war es auch, der an der Seite von Placido Domingo und José Carreras erneut in Fußballstadien und Olympiahallen einmarschierte. „Bum, Bum, Belcanto“, wie der „Spiegel“ 1994 die gigantomanische Erfolgsgeschichte der Drei Tenöre übertitelte? „Man muss sich darauf gefasst machen“, warnte einst Paul Valéry mit wohligem Schauer, „dass so große Neuerungen die gesamte Technik der Künste verändern, dadurch die Invention selbst beeinflussen und schließlich vielleicht dazu gelangen werden, den Begriff der Kunst selbst auf die zauberhafteste Art zu verändern.“

Fürs Zauberhafte indes waren (und sind) in erster Linie die Frauen zuständig. Maria Callas, die assolutissima des 20. Jahrhunderts, verkehrte in den Kreisen des europäischen Hochadels und wechselte sich auf den Titelseiten der Illustrierten mit den Schönsten und Reichsten ihrer Zeit ab, mit Romy Schneider, Marilyn Monroe und Brigitte Bardot. Für dieses Leben zahlt sie einen hohen Preis. Aus dem griechischen Pummelchen wird 1953/54 über Nacht „eine ganz andere Frau“, Wespentaille, 28 Kilo weggehungert, viel Kajal um die Augen. Die Affäre mit dem Tanker-Playboy Aristoteles Onassis (der sie bald darauf wegen Jackie Kennedy sitzen lässt) kostet sie schließlich die Stimme. Sie stirbt einsam und verlassen, ihre Asche wird in der Ägäis verstreut. Dabei war die Callas nicht die Erste, die ihren Heroinenumfang in eine smarte Mannequin-Silhouette presste. Durchs Nadelöhr des unbedingten Geliebtwerdenwollens waren etliche vor ihr gegangen. Nur mit Männern hatten diese mehr Glück: Maria Jeritza etwa ehelichte den Regenschirmfabrikanten Baron von Popper, Julia Culp den Teppichgroßhändler Baron von Ginsky, Cläre Dux den Cornedbeef-Millionär Charles H. Swift. Das Leben als Seifenoper.

Brisant wird es immer da, wo sich Kunst und Leben, „Bild“ und „Leib“ nicht trennen lassen. Das kann, siehe oben, im Fegefeuer enden oder im Himmelreich. Moderne Klassikstars wie Cecilia Bartoli und Anne-Sophie Mutter haben schnell gelernt, sich mit der Preisgabe von Pasta-Rezepten und Sportwagen-Träumen ebenso zurückzuhalten wie mit allzu freizügigen CD-Covers. Auf dem Gipfel ihrer Kunst und Kraft stehen sie dem Markt ausschließlich professionell zur Verfügung, nie privat. Und wenn die amerikanische Sopranistin Renée Fleming letzthin ein Album mit dem prätentiösen Titel „Homage. The Age of the Diva“ veröffentlicht, dann hat das mit den weltverschlingenden Vamps der Vorzeit, die sie zitiert, so viel zu tun wie André Rieu mit dem Teufelsgeiger Paganini.

Maria Jeritza, Mary Garden, Geraldine Farrar, Rosa Ponselle & Co pafften Zigarren, kreierten eigene Parfümserien und kraulten brüllenden Löwen das Fell. Alles Zirkus, gewiss. Misses Fleming aber sitzt, wenn sie sich nicht gerade zu Hause um ihre Familie kümmert, jeden Tag in einer anderen Luxushotellobby, um im 30-Minuten-Takt ebenso freundliche wie notgedrungen nichtssagende Interviews zu geben. Der Reflex auf die Diva: ein strategischer Faschingsscherz der Plattenfirma.

Und genauso klingt die Musik. Technisch hoch versiert. Ausgeschlafen. Garantiert fett- und rückstandsfrei. Das ist der neuralgische Punkt. Hier zeigt es sich, wie Klassik und Pop-Kultur sich eben doch ins Gehege kommen, Glamourfaktor hin, Bildungsfaktor her. Man darf einfach nicht vergessen, dass bestimmte Rollen in der Oper, bestimmte Stücke des Virtuosenrepertoires wenn nicht einzelnen Interpreten persönlich, so doch einem ganz bestimmten Interpretentypus auf den Leib geschrieben worden sind. Wenn dieser Typus nun ausstirbt, weil er mit der Hochglanzdiktatur des Business nicht kompatibel ist, wenn die sperrigen, vulkanischen Persönlichkeiten nicht mehr existieren (dürfen), die einen Abend unberechenbar machen und dadurch erst zum Ereignis, dann stirbt auch die Musik selbst ein Stück weit mit. An der Hybris ihrer selbst ernannten Designer. An akuter Entzauberung.

Da hilft es wenig, wenn Anna Netrebko und Rolando Villazon, das amtierende Wälsungenpaar der Oper, im Booklet ihrer neuen CD („Duets“) auf olivstichig patinierten Fotos als Brüderchen und Schwesterchen posieren. Barfuß im Park. Mehr als die nächste Allüre glaubt man ihnen dabei sowieso nicht. Aber vielleicht ist genau das ja die Verabredung, die Spielregel. Hier geht es nicht um Klassik oder Pop oder Oper für alle und erst recht nicht um die Moral von der Musik. Hier geht es knallhart um die beste Show, das beste Geschäft. Einer wie Richard „Mörtel“ Lugner weiß das schon lange.

Christine Lemke-Matwey

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