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Angriff der Gemüsemonster. Eine Szene aus „Tokyo Cabbageman K".

© Arsenal Kino

Japanisches Punk-Kino: Auf Krawall gebürstet

Die Filmreihe „Hachimiri Madness" zeigt japanische Low-Budget-Frühwerke von Regisseuren wie Sion Sono und Nobuhiro Suwa.

„Filmen ist leicht, stell einfach den Fokus auf unendlich und halte drauf“, instruiert Sion Sono seinen Freund, als der einmal kurz die Kamera halten soll. Mit „I Am Sion Sono!!“ stellte sich der umtriebige Filmemacher 1985 dem japanischen Publikum vor. Sein Film ist eine ungezähmte Mischung aus Videotagebuch, Dokumentarfilm und Performance im öffentlichen Raum, die Ausrufezeichen im Titel sind bereits ein zarter Hinweis auf Sions Selbstverständnis. Einmal beschreibt er ein Pärchen auf der anderen Straßenseite. Niemand filme die beiden, ihr Dasein habe dementsprechend keine Bedeutung

Bezeichnet der Begriff „Shomin-geki“ Filme, die vom Leben gewöhnlicher Leute erzählen, dann sind die „Hachimiri“, japanisch für das 8-mm-Format, deren radikale Zuspitzung: das Leben als Film. Nachdem das Berlinale-Forum ihnen 2016 die Reihe „Hachimiri Madness: Japanese Indies From The Punk Years“ widmete, zeigen die Kinos Brotfabrik und FSK im April eine Auswahl dieser Frühwerke heute etablierter Regisseure wie Sion Sono, Nobuhiro Suwa oder Masashi Yamamoto.

Beeinflusst von Rockmusik und Fernsehen

Es sind die hyperaktiven Übersprungshandlungen einer Generation, die mit ihrer Vorliebe für Rockkonzerte und Fernsehen die japanischen Studios ins Straucheln bringen wollte. Als verlorene Dekade der japanischen Filmgeschichte werden die achtziger Jahre oft bezeichnet. Tatsächlich formierte sich in dieser Phase nicht nur in Tokio und Kyoto, sondern auch im ländlichen Japan eine Gruppe junger Studenten, die das Filmemachen als Graswurzelbewegung verstand. Ein Impuls gegen die Selbstzufriedenheit nach den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs. Japanese Punk Cinema.

In den Filmen wird viel gerannt, gekreischt und aufeinander eingedroschen. In „I Am Sion Sono!!“ wackelt die Kamera stellenweise so heftig, dass sämtliche Konturen im Abendlicht zu goldenen Schlieren verschwimmen. In „Tokyo Cabbageman K“ von Akira Ogata wacht ein Mann eines Morgens mit einem Kohl anstelle seines Kopfes auf und flüchtet den restlichen Film vor aufdringlichen Verehrerinnen, Yakuza-Typen und Zombiedämonen. Und in Katsuyuki Hiranos „Happiness Avenue“ schließt sich ein frisch verlassener Kleinstädter einer Gruppe auf Krawall gebürsteter Crossdresser an – das Resultat ist eine Kakofonie aus Lautsprecheransagen, Gong-Schlägen und Kampfgeheul.

Zwischen Science-Fiction und Autorenkino

Die ungeschriebene Regel der „Hachimiris“ lautete: Mangelndes Geld wird nicht als Hindernis begriffen. In seinem Kurzfilm „UNK“, einem Remake von Steven Spielbergs „Die unheimliche Begegnung der dritten Art“, schafft Macoto Tezuka mithilfe selbst gebastelter Kulissen, Mehrfachbelichtungen und Kratzern direkt auf dem Filmmaterial ein kleines Sci-Fi-Spektakel. Andere Filme orientieren sich eher am Autorenkino: in Sogo Ishiis „Isolation of 1/880000“ verzweifelt ein junger Mann zwischen Pornoheften und Minderwertigkeitskomplexen an der Aufnahmeprüfung für die Universität. Nobuhiro Suwa romantisiert in „Hanasareru Gang“ eine Verbrecherbande im Stil der Nouvelle Vague.

Gemein ist allen Filmen eine unbekümmerte Haltung gegenüber Material, Konventionen und Öffentlichkeit. Grenzen weichen auf, wenn unfreiwillige Statisten vor die Kamera laufen. Meist hält die Crew mangels Drehgenehmigung einfach drauf. In seinem ersten Langfilm „A Man's Flower Road“ erhebt Sion Sono den zivilen Ungehorsam zum Konzept: Er flieht vor Kappawesen und mysteriösen Weißkitteln, irgendwann rennt er mit einem geklauten Fahrbahnmarkierer querfeldein. Weiße Spuren beschreiben Schlangenlinien, schließlich die Worte „Life sucks“. Die Ambivalenz zwischen Fluchtinstinkt und Sichtbarkeit will irritieren – nach Sonos eigenen Regeln.

Vom 14. bis 26. April in den Berliner Kinos FSK und Brotfabrik.om 14. bis 26. April in den Berliner Kinos FSK und Brotfabrik.

Katrin Doerksen

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