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Neugierig. Jung-Jazzer Tobias Fröhlich, Anna Tsombanis und Fabian Timm.

© Georg Moritz

Jazz: Das große Freiheitsversprechen

Beim Jazztreff versammeln sich die Talente der Szene. Die drei jungen Berliner Anna Tsombanis, Tobias Fröhlich und Fabian Tim sind dabei. Sie mögen zwar einer Minderheit angehören. Aber die besitzt eine starke Stimme. Eine Begegnung.

„Junge Leute, die Jazz hören oder spielen, sind ja eher in der Minderheit“, sagt Anna Tsombanis. Warum das so ist, darüber kann die 18-jährige Saxofonistin auch nur spekulieren. Vielleicht, weil Jazz im Vergleich zu Klassik schon im Unterricht vernachlässigt wird? Abgehakt ungefähr so: „Es war die Musik der Sklaven, sie entstand aus den Worksongs. Ende.“ Tsombanis lächelt. Sie spielt seit sechs Jahren Saxofon, erst Alt, mittlerweile Tenor, aber schon davor hat sie sich für Jazz interessiert, die Musik lief viel zu Hause. Auf dem Arndt-Gymnasium ist sie nach kurzer Zeit in die schuleigene Big Band eingestiegen, ein Lehrer gab ihr Charlie Parker zu hören. Mittlerweile ist ihr großes Vorbild Sonny Rollins, der 82-jährige Gott vieler Saxofonisten.

Tobias Fröhlich hingegen hat früher viel Led Zeppelin und Jimi Hendrix gehört. Er spielt Bass, weil er schon immer „ein Groove-Fetischist“ war. Sein Vater ist klassischer Musiker, Oboist an der Komischen Oper, aber auf den Sohn hat das nicht abgefärbt, den zog es bald zum Jazz. „An den Jazzern hat mich beeindruckt, dass sie sofort loslegen und miteinander spielen können“, sagt der 18-Jährige. „Das sind nicht solche Dienstleistungsmucker, die zur Probe gehen wie andere ins Büro.“

Fabian Timm schließlich wollte mit ein paar Freunden Rockstar werden. Heute studiert der 22-Jährige am Berliner Jazzinstitut. Er hat sich durch die verschiedensten Stile geackert, von hartem Rock über Funk, Soul, Hip-Hop und Groove zum Jazz. Auch er spielt Bass, und wenn man wissen will, ob die Wahl des Instruments etwas über den Charakter verrate, zitiert er einen Leipziger Kontrabass-Dozenten, der von „bassistischer Demut“ gesprochen habe. Die Musiker mit den tiefen Saiten seien bodenständig und freundlich, findet Timm.

Die drei jungen Jazzer mögen einer Minderheit angehören. Aber die besitzt eine starke Stimme. Was in voller Klangkraft und Stilvielfalt der Berliner Jazztreff beweisen will, den der Landesmusikrat nun zum 27. Mal veranstaltet. Über 40 Bands werden ein Wochenende lang im Weddinger Musiktheater Atze zusammenkommen, sich austauschen und wechselseitig die Konzerte besuchen, die jüngsten Musiker sind gerade mal zehn Jahre alt.

Grundsätzlich mangele es nicht am Jazz-Interesse, glaubt Franziska Buhre, die den Treff seit 2010 organisiert. „Die Jungen brauchen Anschub, aber wenn sie erst mal ein Instrument spielen, bleiben sie dabei.“ Zu beobachten sei außerdem, dass viele Big-Band-Leiter sich populäre Kompositionen vornähmen und daraus eigene Arrangements machten, „weil die Jugendlichen da gleich andocken können“.

Ein Problem seien eher die gestiegenen Anforderungen in der Schule, die oft keine Zeit mehr ließen, nebenher ein Instrument zu lernen. „Der Druck ist enorm“, so Buhre. Als der Jazztreff 1985 zum ersten Mal stattfand, spielten noch 120 Gruppen drei Tage lang auf drei Bühnen in den Räumen des Musikinstrumenten-Museums am Tiergarten. Die Veranstaltung war und ist als offenes Forum gedacht: wer sich anmeldet, darf auftreten. Solisten, Ensembles, Big Bands, Amateure wie Profis. Mittlerweile hat die Zahl der Bands zwar deutlich abgenommen, aber Buhre betont: „Es ist noch immer eine wichtige Plattform gerade für junge Musiker.“

Die Nachwuchsjazzer bekommen Feedback von Experten, und sie können wertvolle Kontakte knüpfen. „Im letzten Jahr habe ich dort Leute kennengelernt, mit denen ich jetzt zusammenspiele“, erzählt Anna Tsombanis. Und Fabian Timm, der vor zwei Jahren einen Solistenpreis beim Jazztreff gewann, fand darüber ins Berliner Jugendjazzorchester: „Das hat sich auf jeden Fall gelohnt.“ Nicht zuletzt wird im Atze Musiktheater wieder der Gewinner des Landesausscheids „Jugend jazzt“ gewählt. Die Siegerband fährt im nächsten Jahr zum Bundeswettbewerb.

Tobias Fröhlich tritt mit dem Fluxtrio an, Fabian Timm spielt mit der Formation Hack!, benannt nach der Leibspeise des Gitarristen, Hackfleisch-Pfannkuchen. Und Anna Tsombanis musiziert mit der Band JayJayBeCe des Dozenten Christof Griese, einem Urgestein des Jazztreffs, wie überhaupt manche Bands der ersten Stunde noch immer Jahr für Jahr vertreten sind.

„Von Jazz allein“, gibt Franziska Buhre zu bedenken, „kann allerdings kaum einer seine Karriere bestreiten.“ Darüber machen sich auch die drei Jungmusiker keine Illusionen. Trotzdem streben sie den Profiweg an. Tsombanis macht sich gerade in der studienvorbereitenden Abteilung der Musikschule Charlottenburg fit für die Aufnahmeprüfung an einer Hochschule, ebenso Fröhlich, bloß bereitet er sich an der Musikschule in Pankow vor. Timm hat das schon hinter sich, er bewarb sich unter anderem in Leipzig, Hannover und Dresden, am Jazzinstitut Berlin wurde er genommen.

Aber selbst wenn man den Bachelor-Abschluss in der Tasche habe, sei man eben erst mal nur freischaffender Musiker, wissen die drei. „Viele unterrichten, um ein festes Gehalt zu haben“, so Fröhlich, andere machten Theatermusik. Nur von der einen erfolgreichen Jazz-Combo zu leben, mit der man durch die Welt toure, das bliebe meistens ein Traum, lächelt Tsombanis, die auch noch die Band Noë hat, ein Reggae-Singer-Songwriter-Pop-Projekt.

Berlin bietet jungen Jazzern eine bunte Szene. Tsombanis schwärmt von Orten wie dem Gelben Souterrain, wo man durchs Fenster einsteige und tolle Konzerte hören könne. „Das Publikum verjüngt sich seit zwei Jahren total“, hat Timm beobachtet, der drei, vier Mal in der Woche auf Sessions und Konzerte geht. „Viele kommen aus skandinavischen oder osteuropäischen Ländern, wo Jazz einen anderen Stellenwert als in Deutschland hat, gerade bei Jüngeren.“

Auf dem Jazztreff wird von etwaigen Imageproblemen des Genres jedenfalls nichts zu spüren sein. Hier, wo von Dixie bis Freejazz die volle Bandbreite vertreten ist, wo preisgekrönte Profibands wie CK 10 oder das Hannes Zerbe Orchester neben Nachwuchsensembles auftreten, wird sich eher einlösen, was Franziska Buhre schon immer am Jazz geschätzt hat: „Es ist die Musik mit dem größten Freiheitsversprechen.“

Atze Musiktheater, 27./28.10., 12-21 Uhr

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