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Jazz: „Ich pflanze gern selbst“

Die amerikanische Jazzsängerin Lizz Wright tritt an diesem Sonntag in der Berliner Passionskirche auf. Ein Gespräch über Handwerk und Egotrips, Gemeinschaft und ihre kirchlichen Wurzeln.

Mrs. Wright, Ihre streng religiösen Eltern hatten Ihnen zunächst verboten, Pop zu hören. Als sie dann mit 19 den ersten Clubauftritt hatten – was haben Sie gesungen?

„Amazing Graze“, einen klassischen Gospel – aber als Blues. Ich war damals geprägt von der Grenzziehung zwischen kirchlicher und weltlicher Musik, die wollte ich überwinden. Heute begreife ich das Hybride der Musik als Vorteil.

Aus einer schwarzen Perspektive interpretieren Sie heute Stücke von Neil Young und Led Zeppelin und nennen das Ergebnis Jazz, auch wenn es im ersten Moment gar nicht danach klingt.

Im College habe ich ausschließlich Jazz gesungen. Meine Art, Geschichten zu erzählen, ist von Billie Holiday, Shirley Horn und Abbey Lincoln beeinflusst. Ich glaube an die Improvisation, um nicht jeden Tag gleich zu klingen. Als Songschreiberin bin ich nicht festgelegt, da kommen die Inspirationen aus allen möglichen Genres. Der Freiheitsbegriff des Jazz hat mich jedoch nie losgelassen.

Generationen schwarzer Künstler haben gegen die Kategorisierung und rassistische Vermarktung ihrer Musik gekämpft. Wie war das bei Ihnen?

In der afroamerikanischen Kirche lernt man etwas, das einem keine andere Institution beibringt. Ich würde es nicht Performance nennen, aber es hat damit zu tun, wie ich die Erfahrung meines Selbst transzendieren kann. Ich bin gleichzeitig enorm verwundbar und doch so kräftig, dass ich über mich selbst hinauswachsen kann. Im Gottesdienst geht es ja nicht um Selbstdarstellung, sondern um den Auftritt im Dienst einer höheren Sache. Die Sänger und Musiker, die aus der Kirche kommen, bringen aber noch eine andere Erfahrung mit. Sie haben überdies gelernt, sich selbst emotional zu bewegen. Das ist die Grundlage dafür, andere Menschen zu erreichen. Wer nicht in der Lage ist, ehrlich zu sein und etwas Ergreifendes aufzuführen, bekommt in der Kirche keine Bühne. Denn für den Moment, in dem alles zusammenfließt, kommen die Leute. Deshalb ist es wichtig, dass man sich in eine Gemeinschaft einfügen kann. Um der Gemeinde etwas zu geben. Wer nur auf dem Egotrip ist, befindet sich nicht im Einklang mit der Community.

Sie hatten sich eine Weile vom Musikgeschäft verabschiedet. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Ich hatte mich zurückgezogen, weil mir die Zwänge des Musikgeschäfts nicht liegen. Klar, es muss Plattenfirmen und Agenturen geben, das gehört dazu. Es bringt auch nichts, sich wie Feinde zu behandeln. Ich habe sogar die Erfahrung gemacht, dass es sich auszahlt, wenn man sich mit den Marketingspezialisten an einen Tisch setzt. Doch die Schnelllebigkeit des Geschäfts tat mir und meinen Songs nicht gut. Ich möchte Lieder singen, die mit mir gewachsen und ein Teil von mir geworden sind.

Auf Ihrer Website sieht man, wie Sie in Ihrem Garten arbeiten, und Sie posten Ihre Kochrezepte. Wann haben Sie dafür eigentlich Zeit?

Ich interessiere mich nicht für die digitale Welt. Ich könnte da wesentlich mehr involviert sein, vermeide es aber ganz bewusst. Ich komme bisher ohne iPhone aus, ich muss ja nicht ständig erreichbar sein. Nicht umsonst habe ich mir eine Umgebung gewählt, in der vor allem das Handwerkliche eine Rolle spielt. Ich liebe Gedichte, lange Gespräche, Briefe an meine Freunde schreibe ich mit der Hand. In meiner Gemeinschaft geht es um Erinnerung und Wissen, wir machen fast alles selbst. Unter meinen besten Freunden sind Schmiede und Tischler, und wir gärtnern alle. Sechzig Prozent der von mir verzehrten Lebensmittel pflanze und ernte ich selbst. Die Musik, die ich mache, entspricht diesem Bedürfnis, langfristig zu denken. .

In diesem Sommer werden Sie zusammen mit Dianne Reeves and Anjelique Kidjo eine „Sing The Truth“-Tour absolvieren. Was macht einen guten Song eigentlich aus?

Ein guter Song ist getränkt mit Wahrhaftigkeit, einfachen Dinge, Meditationen. Im Unterschied zu Religion und Politik wirkt ein guter Song unmittelbar, aber niemals polarisierend. Es gibt natürlich Zeiten, in denen man Missstände anprangern muss. Doch ein guter Song erzählt eine Geschichte, die noch gültig ist, wenn die Herrschenden längst abgewählt sind.

Werden Sie sich für die Wiederwahl von Präsident Obama einsetzen?

Die Leinwand, die Obama vorfand, war nicht fleckenlos. Kriege, Inflation, Arbeitslosigkeit und eine immense Staatsverschuldung gab es lange vor seiner Amtszeit. Daran sollte man sich erinnern, wenn man fragt, welche Veränderungen er bisher bewirken konnte. Ich bin Amerikanerin, doch was momentan aus meinem Land berichtet wird, empfinde ich als Beleidigung des Intellekts. Tea Party und republikanischer Wahlkampf sind mir peinlich, sie ekeln mich an. Es ist leicht, sich auf einer der verschiedenen politischen, ethischen oder ethnischen Bühnen zu engagieren und sich vom Rest der Welt abzusetzen. Doch ich ziehe es vor, die Menschen darin zu bestärken, gemeinsame Werte für sich zu entdecken.

Das Gespräch führte Christian Broecking. Lizz Wright singt am Sonntag, den 22. April, um 20 Uhr in der Passionskirche.

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