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Davongekommen. Coco Schumann überlebte Auschwitz und tritt bis heute als Jazzgitarrist auf. Foto: Martin Lengemann/Ullstein Bild

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Jazz in der NS-Zeit: Der Sound der Freiheit

Die Nationalsozialisten wollten Saxofone verbieten und sperrten Jazz-Fans ein. Wolfgang Beyer und Monica Ladurner erzählen in ihrem Buch "Jazz gegen den Gleichschritt" von der Rebellion der Swing-Fans in der Hitler-Zeit.

Im Sommer 1941, zwei Jahre nach Kriegsbeginn, gastiert das „Attraktionsorchester John Kristel“ im Hamburger Alsterpavillon. Die holländischen Musiker spielen Swing, eine Musik, die den nationalsozialistischen Machthabern als „entartet“ gilt. Am letzten Abend des Gastspiels ist der Saal überfüllt. Die zumeist jugendlichen Zuhörer sind begeistert, es wird heftig getanzt. „Boys und Babys“, so erinnert sich ein Zeitzeuge, „treiben ihre Idole mit synkopischen Bewegungen zu immer schrägeren, verrückteren Stopftrompetenkapriolen, Posauneneruptionen, Klarinettenjumps, Saxofonrasereien, Schlagzeugkanonaden an.“ Doch dann verstummt die Musik, und das Licht geht an. Die Gestapo hat die Eingänge besetzt, alle Gäste werden festgenommen.

Die Aktion im Alsterpavillon ist nur eine von mehreren Razzien, bei denen in diesen Wochen in Hamburg mehr als dreihundert Jugendliche verhaftet werden. Sie landen im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, manche sogar im Konzentrationslager. Einer von ihnen ist der Lehrling Günter Discher. „Wenn man nicht gleich auf eine Frage geantwortet hat, wurde man ins Gesicht geschlagen“, erzählt der heute 86-jährige Jazzfan. „Auf die Frage, warum ich nicht in der HJ bin, habe ich geantwortet: Weil ich ein freier Mensch sein will.“ Die Antwort bringt ihm eine Einweisung ins Jugend-KZ Moringen ein, wo er mit anderen Swing-Fans Granaten montieren muss. In den Arbeitspausen trommeln die Häftlinge auf Holzkisten und singen dazu die Refrains von Swinghits wie „A Tisket, A Tasket“ oder „Jeepers Creepers“.

„Im Swing gegen den Gleichschritt“ heißt ein Buch, das an eine beinahe vergessene Rebellion erinnert. Die Autoren Wolfgang Beyer und Monica Ladurner haben bereits einen gleichnamigen, preisgekrönten Dokumentarfilm über das Thema gedreht. Auch ihr Buch lebt von den eindringlichen Schilderungen der Protagonisten, die sie dafür vor die Kamera holten. „Widerstand? So weit dachten wir gar nicht. Wir hatten nur diese unbändige Liebe zur Swing-Musik“, sagt Coco Schumann, der Auschwitz überlebte und bis heute als Jazzgitarrist auftritt. Und der im letzten Jahr verstorbene Drehbuchautor Oliver Storz erzählt: „Wir waren nicht mehr so ganz des Führers Jugend, irgendwie danebengewachsen, missraten, verkorkst.“

Die Nationalsozialisten hassten den Jazz schon deshalb, weil er aus Amerika stammte und viele Musiker Schwarze waren. Bereits 1935 erließen sie eine Verordnung, die es den deutschen Radiostationen verbot, „Negerjazz“ zu senden. Das Parteiblatt „Völkischer Beobachter“ feierte den Erlass als wichtigen Schritt im Kampf gegen die „zersetzende Tätigkeit des kulturbolschewistischen Judentums“. Allerdings fiel es den NS-Bürokraten schwer, überhaupt zu definieren, was Jazz ist. Propagandaminister Joseph Goebbels sprach unbeholfen von „Musik mit verzerrten Rhythmen und atonaler Melodieführung“, für die „die Verwendung sogenannter gestopfter Hörner“ typisch sei.

Selbst ein Verbot des Saxofons wurde diskutiert, das für das „hysterische Bläsergejaule“ des Jazz verantwortlich gemacht wurde und – so befand die „Neue Musik-Zeitung“ – „wie der Gesang eines kastrierten Negers klingt“. Doch Recherchen des Propagandaministeriums ergaben, dass das Saxofon gewissermaßen arisch sei, weil es von „einem Deutschen namens Adolf Sax“ erfunden worden sei. In Wirklichkeit hieß der Mann Adolphe Sax und war Belgier. Am Ende nahm die Luftwaffe das Instrument in die Standardausrüstung ihrer Kapellen auf.

Swing war bei den Deutschen beliebt, daran änderten alle Verbote nichts. 1936, als die Machthaber Berlin zu den Olympischen Sommerspielen als moderne Metropole präsentieren wollten, durfte der Schweizer Teddy Stauffer mit seinen „Original Teddys“ wochenlang im Tanzpalast „Delphi“ spielen. Einmal stürmten Polizei und SS die Bühne und stellten ihn zur Rede. Ob er nicht deutsche Tanzmusik spielen könne? „Ich knipste mit den Fingern und rief meinen Musikern zu: ,Los Boys, die Nummer 142!’ Auf den Notenblättern des Orchesters erschien der Schlager ,Bei mir bist du schön.’“ Die SS-Männer waren zufrieden. Was sie nicht wussten: Das Lied stammt aus einem jiddischen Musical.

In Deutschland nannten sich die Jazzfans „Swings“, „Swing Boys“ oder „Swingheinis“, in Österreich wurden sie wegen ihrer aufreizenden Lässigkeit „Schlurfs“ oder „Schlurfe“ genannt. Ihr Dresscode war strictly british, dazu gehörten Schuhe mit dicken Kreppsohlen, fast bis zu den Knien reichende, doppelreihige Jacketts und lange Stirnhaare. Die Mädchen, in Österreich „Schlurfkatzen“ genannt, trugen kurze Röcke und schminkten sich auffällig. „Unsere Musik ist der Jazz“, schrieb Wolfgang Borchert. „Denn unser Herz und unser Hirn haben denselben heißkalten Rhythmus: den erregten, verrückten und hektischen, den hemmungslosen.“ Der Dichter, Jazzfan und Dissident starb 1947 an den Folgen einer Lungenkrankheit, die er sich in einer Strafkompanie an der Ostfront zugezogen hatte.

Wolfgang Beyer und Monica Ladurner:

Im Swing gegen den Gleichschritt. Die

Jugend, der Jazz und die Nazis. Residenz Verlag, Salzburg 2011. 241 S., 21,90 €.

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