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Jean-Michel Jarre in der Zitadelle Spandau.

© imago/Martin Müller

Jean-Michel Jarre in Berlin: Der mit dem Blubb

Sommerfest mit Feuerwerk: Elektropionier Jean-Michel Jarre gewährt in der Zitadelle Einblicke in sein Labor – und zitiert Edward Snowden.

Vom Publikum her könnte es das Sommerfest einer großen Behörde sein, das am Dienstagabend im Hof der Spandauer Zitadelle steigt. Wenige tausend Menschen warten auf den Pionier der elektronischen Musik, der für Konzerte mit Millionenpublikum im Guinness-Buch der Rekorde steht. Aus den Lautsprechern perlt das 47 Minuten dauernde, beliebig verlängerbare „Waiting for Cousteau“ in den Sommerabend. Jean-Michel Jarre hat es dem Meeresforscher zum 80. gewidmet. Das war 1990. Während Cousteau nun auch schon 20 Jahre tot ist, scheint Jarres Zeit langsamer zu vergehen.

Nach französischem Recht ist der scheinbare Mittfünfziger, der bald 69 wird, seit sieben Jahren Rentner. Und aktiver denn je: Für sein Doppelalbum „Electronica“ ist er monatelang um die Welt gereist – zu Studioaufnahmen mit Kollegen aus fünf Jahrzehnten, von Tangerine Dream bis Cyndi Lauper, von Moby bis Hans Zimmer. Noch während der zweite Teil in Arbeit war, ging Jarre auf Tournee wie neuerdings jedes Jahr. Und parallel zu diesen tendenziell poppigen Mixtapes komponierte er „Oxygène 3“ – die Anschlussrakete zum 40. Jubiläum seines elektronischen Urwerks, das 1976 zischend, fauchend und zum Abheben leicht der Welt einen zuvor unbekannten musikalischen Orbit eröffnete.

2016 servierte Jarre eine Kostprobe davon in der Mercedes-Benz-Arena – jenem schwarzen Loch am Ostbahnhof, das in Berlin fast alle großen Künstler aufsaugt und mit seinem finsteren Lagerhallencharme samt zugehöriger Akustik zuverlässig fast jede Art von Musik ruiniert.

Auf jedes alte Stück folgt ein neues

Dieser Abend in der Zitadelle zeigt, dass die Beerdigungsatmosphäre damals nicht an Jarres Show lag. Als er nach Vorprogramm – ein DJ-Set von Marco Grenier – und Verkabelungspause endlich kommt, rollt ein Bass an, der die Fledermäuse von den Zitadellenmauern schütteln dürfte. Der Vibrationsalarm gehört zum schwermütigen Intro des zweiten Electronica-Albums. Ein dicker Synthie-Teppich, den Jarre sogleich mit dem ungemein tanzbaren „Automatic Pt.2“ – einer klar nach Erasure klingenden Koproduktion mit Vince Clarke – abschüttelt.

Damit ist das Sommerfest auf Betriebstemperatur. Die hält es, weil Jarre auch sein Seniorenprogramm neu intoniert. Den in den siebziger Jahren so revolutionären Blubb, den er aus zwei holzfurnierten Analog-Synthesizern mit ihren Drehknöpfen holt, unterlegt er mit viel – vielleicht zu viel – Beat. Und auf jedes alte Stück folgt ein neues wie „Exit“, das er nach einem Besuch bei Edward Snowden in Moskau produziert hat: rasender Techno, der ausrollt und Snowden das Wort für einen Appell gegen Überwachung lässt, der als Echo nachhallt: „And if you don’t stand up for it, who will?“ Er sei aufgewachsen mit der Idee, dass man aufstehen müsse, wenn die Staatsmacht Unrecht tue, sagt Jarre, dessen Mutter während der Résistance deportiert war.

Ein Blick in die Küche

Snowden erscheint als Filmchen auf den Lichtervorhängen, die vom Bühnendach hängen und bunt blinkende Deko, aber auch Bildschirm sein können, wenn beispielsweise die berühmte Totenkopf- Weltkugel vom Oxygène-Cover rotiert oder Jarre sich eine Livekamera an die Brille geklemmt hat, „damit ihr einen Blick in meine Küche werfen könnt“. In der steht, springt und rennt er zwischen seinen „Stradivaris der elektronischen Musik“ (die mit dem Blubb) und neuzeitlichen Synthies umher – energisch, euphorisch und bei jedem Blick ins feiernde Publikum erkennbar gut gelaunt.

Nüchtern betrachtet ist Jarres Bühnenküche eher ein Spielzeugladen, aus dem es blitzt und lasert und dampft, was bei zunehmender Dunkelheit umso mehr hermacht. Jarre hat schon ganze Stadtviertel und Wolkenkratzer in seine Lichtshows einbezogen. Hier in der kleinen Runde auf der Festung hat er immerhin seine Laser-Harfe mitgebracht, den neunstrahligen grellgrünen Fächer zu seinen Füßen, in dessen Strahlen er mit dicken Schutzhandschuhen spielt. Ein schöner Spaß, den er vom Publikum mit einem Taschenlampenkonzert zu seinem hymnischen „Oxygène IV“ von 1976 verlängern lässt. Und weil es gerade so schön ist, gibt’s zum Trance-Hit „Stardust“ (sonst mit Armin van Buuren) noch ein üppiges Feuerwerk zum Abschied. So hatten alle ihren Spaß.

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