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Jean-Yves Thibaudet: Bekenntnisse eines Dandys

Jean-Yves Thibaudets präsentiert bei seinem Berliner Liszt-Abend ein klug ausgetüfteltes Programm. Und doch behält sein Spiel nicht immer die sonst so penibel gehütete Balance.

Jean-Yves Thibaudet hält die Realität auf Sicherheitsabstand. Mit schnellen Autos, scharf geschnittenen Jackets und funkelnden Schnallen an den Schuhen versucht der französische Pianist mit extrovertierter Geste etwas ganz Zerbrechliches zu bewahren: das innere Leuchten der Musik. Seine CD-Aufnahmen sind von einer klanglichen Akuratesse, die so gar nichts mit dem öffentlichen Dandybild zu tun hat. Das könnte ihn zum idealen Interpreten von Franz Liszt machen, dem vergötterten Interpreten, der als Komponist stets beargwöhnt wurde. Und so macht sich Thibaudet auf zu einer Liszt-Reise durch Deutschland, zum 200. Geburtstag des französisch sozialisierten Klaviergiganten. Bei seiner Station im Kammermusiksaal der Philharmonie präsentiert Thibaudet ein klug ausgetüfteltes Programm: nur keinen Überdruss an Virtuosentum provozieren, nicht zu viele Paraphrasen auf bekannte Melodien.

Und doch stellt sich alsbald eine Drift des Unsteten ein, zwischen religiösen Tröstungen und überbordenden Wasserspielen, Heiligbildern und Wagners Liebestod. Liszt, der Wanderer zwischen Welten und Stilen, ein schillernder und doch ernsthafter Geist, lässt sich nicht leicht fassen. Thibaudet muss das spüren. Sein Spiel verliert immer wieder seine sonst so penibel gehütete Balance. Farben verschwimmen und mit ihnen die Welt. Leise Ironie des Abgangs: Vor die Wahl „Chopin oder Brahms“ als allerletzter Zugabe gestellt, wird aus dem Publikum nach dem vermeintlichen Liszt-Antipoden verlangt. Thibaudet spielt ein traumhaft zartes Brahms-Intermezzo. Und es scheint, es müsste der eine wandern, damit der andere ankommen kann.

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