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Kultur: „Jeder Schuldschein sei zernichtet“ Schillers „Ode an die Freude“ wird versteigert

Es kann kein Zufall sein, dass diese Handschrift Schillers gerade jetzt aufgetaucht ist. Und ebenso wenig, dass sie bislang in Schweizer Privatbesitz verwahrt wurde – um jetzt zu Geld gemacht zu werden, preisgegeben dem Wettstreit der Bieter auf einer Auktion.

Es kann kein Zufall sein, dass diese Handschrift Schillers gerade jetzt aufgetaucht ist. Und ebenso wenig, dass sie bislang in Schweizer Privatbesitz verwahrt wurde – um jetzt zu Geld gemacht zu werden, preisgegeben dem Wettstreit der Bieter auf einer Auktion. Schillers „Ode an die Freude“, 1785 und also knapp vor dem Ausbruch der bereits schwelenden Französischen Revolution geschrieben, ist überraschend in eigenhändiger Abschrift der fünf letzten Strophen aufgetaucht. Es handelt sich um eine kostbare Seltenheit und nicht um ein Objekt für Geldanleger. Es ist auch kein Objekt für Literaturliebhaber, sondern ein Monument des nationalen und europäischen Kulturerbes.

150 000 Schweizer Franken beträgt die Summe, die am 21. Oktober in einer Basler Auktion zum Aufruf kommen wird, als Ausgangspunkt eines Bietgefechts, das sehr schnell in die mehrfache Höhe schießen wird. Der würdigste Käufer wäre ein Abgesandter aus Weimar, von der Klassikstiftung, die mit dem Goethe-Schiller-Archiv ein Heiligtum hütet. Schiller ruft seinen Zeitgenossen und uns heute zu: „Duldet mutig, Millionen / Duldet für die beßre Welt! / Droben überm Sternenzelt / wird ein großer Gott belohnen.“ Schiller fügt in seiner Abschrift, abweichend von der gedruckten Fassung des Jahres 1786, unmittelbar an: „Jeder Schuldschein sei zernichtet / ausgesöhnt die ganze Welt, / Brüder, überm Sternenzelt / richtet man, wie wir gerichtet.“

Die „Schuldschein“- Abschrift ist konkreter als das „Schuldbuch“ der Druckfassung, und das „zernichtet“ lässt an die „Strahlen der Sonne“ in der 1791 uraufgeführten „Zauberflöte“ denken, von denen es heißt, sie „zernichten der Heuchler erschlichene Macht“. Es geht um Aufklärung, die Aufklärung, über die Kant im Dezember 1784 schrieb, wiederum in engster zeitlicher Nähe zu Schillers Hymne, sie sei der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Aus der Unmündigkeit, in die uns in diesem Jahr der europäischen Krise Schuldscheine unvorstellbaren Ausmaßes hineinzwingen, müssen wir uns selbst befreien, um, wenn überhaupt, zu jener Aussöhnung der „ganzen Welt“ zu gelangen, die Schiller als reale Möglichkeit vor Augen stellt.

Und ein solch kostbares Autograf sollte aus dem Licht der Öffentlichkeit, in das es kurz eingetaucht ist, verschwinden? Die Klassikstiftung Weimar, außerstande, in Basel mit Aussicht auf Erfolg mitzubieten, ruft zu Spenden auf (www.klassik-stiftung.de). Was bleibt ihr auch anderes übrig. Der Schuldschein indessen, den der Auktionator in Basel am Ende ausschreiben mag, sei schon jetzt „zernichtet“. Bernhard Schulz

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