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Kultur: Jeder Tag zählt!

Kommt das Geräusch zum Ohr oder das Ohr zum Geräusch? Strebt die Bewegung zum Auge oder das Auge zur Bewegung?

Kommt das Geräusch zum Ohr oder das Ohr zum Geräusch? Strebt die Bewegung zum Auge oder das Auge zur Bewegung? Regt sich der Wind oder die Fahne oder doch nur der betrachtende Geist? Fragen über Fragen.Und die verblüfften, verwunderten, amüsiert kichernden und nachdenklich den Kopf wiegenden Zuschauer wissen keine Antwort.

Yoshi Oida, Schaubühnengängern durch seine Inszenierungen von "Jagdgewehr", "Madame de Sade" und den "Hanjo"-Variationen als Brückenbauer zwischen den fernöstlichen und europäischen Theaterwelten bestens bekannt, befragt sein Publikum.Er lächelt verschmitzt, spielt mit den Antworten, baut daraus eine kleine Lektion über die Kunst des Sprechens und Spielens."Interrogations" (Verhöre) nennt er seine 70minütige Performance, die der Alexander Verlag aus Anlaß seines 15jährigen Bestehens auf der Probebühne des Berliner Ensembles initiiert hat.Nach seiner Autobiographie hat der lange Jahre mit Peter Brook arbeitende Oida in dem Berliner Kleinverlag gerade seine Theaterweisheiten "Der unsichtbare Schauspieler" veröffentlicht.Jetzt tänzelt er, sehr sichtbar und alle Möglichkeiten des Gehens und Stehens, Schweigens und Sprechens auslotend, zusammen mit dem Musiker Wolf-Dieter Trüstedt auf einem kleinen Podest und eröffnet einen Blick auf die unsichtbaren Tricks der Schauspielkunst.Weil seine Verhöre sich auf chinesische Texte aus dem 11.Jahrhundert stützen, haben die Klang-, Spiel- und Sprechvariationen diesmal weniger mit dem japanischen Nô als mit allgemeingültigen Formeln und Fragen zu tun.Kann man sprechen, ohne die Zunge zu benutzen? fragt da ein Meister seinen Schüler.Und schließlich immer wieder: Was ist der Sinn des Lebens?

Darauf weiß natürlich niemand eine Antwort.Auch nicht Yoshi Oida.Während Trüstedt in seltsame Flöten bläst, schwarze Steine und anderes Schlagwerk vorsichtig berührt, erzählt Oida lehrreiche Fabeln über die fließenden Grenzen zwischen Gut und Böse, Sinn und Unsinn, Traum und Wirklichkeit.Oder er persifliert Zen-artige Yogaübungen, versucht sich im lautlosen Gesang und stimmlosen Sprechen.Wenn Oida und sein musikalischer Geselle die Bühne lautlos verlassen und nur noch ein leise durch die Luft schwingender Gong an ihre Anwesenheit erinnert, haben wir den Sinn des Lebens zwar immer noch nicht erfaßt.Aber wenigstens wissen wir jetzt, daß man trinken soll, wenn man Durst, essen soll, wenn man Hunger, und schlafen soll, wenn man Probleme hat: "Jeder Tag zählt!" Wie schön, daß uns das mal wieder jemand erklärt hat.

FRANK DIETSCHREIT

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