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Kultur: Jedes Bild ist eine Party

Wege in den Olymp: Die Berliner Galerie Neugerriemschneider zeigt Michel Majerus

Im Frühling diesen Jahres begann in Graz eine Retrospektive des Berliner Malers Michel Majerus, der 2002 bei einem Flugzeugabsturz im Alter von 35 Jahren ums Leben kam. Seine Werke aus knapp zehn Jahren sind momentan im Stedelijk-Museum in Amsterdam zu sehen und werden im Herbst nach Hannover und Hamburg reisen, bevor die variantenreiche Rückschau nächstes Jahr in Luxemburg endet. Seine Berliner Galerie Neugerriemschneider kümmert sich indes um den Nachlass, erstellt gerade das Werkverzeichnis und wird dabei die Frage zu klären haben, ob es sich langfristig um das Werk eines James Dean handelt oder nur um einen starken Anfang.

Nichts ist gewiss und die Kunstwelt gnadenlos und vergesslich. Das macht den Weg zum Gral der Unsterblichen so lang und lässt Majerus’ sammelnde Gemeinde auf die Etablierung als solide Marke wie Kippenberger hoffen. Als Jungklassiker zu gelten, hätte bei ihm wohl einen Lachanfall ausgelöst, hatte er doch alles aufgeboten, um die Hierarchien zwischen Comic, Logos und Werbung, zwischen Ruscha, Johns und Warhol zum Einsturz zu bringen und das Gefälle zwischen Gebrauchs- und Anschauungskunst einzuebnen. Das Bild war sein Karneval, eine bunt egalisierte Zitatensammlung. Dabei setzte Majerus alles daran, dass sein Sampling aus Grafikprogrammen und Malerei die beste Party überhaupt sein sollte. Schnell wurde er mit dieser Strategie zu einem der Stürmer der Galerie.

Die aktuelle Schau bei Neugerriemschneider vereint unsentimental und makellos Arbeiten aus verschiedenen Werkphasen (4000 Euro bis 55000 Euro). Ein Schriftbalken teilt diagonal den Raum in zwei Dreiecke, die von zwei Streifenbildern aufgenommen und durch ein düsteres Hochformat von 2002 kontrastiert werden. Majerus adaptierte darin die gefräßige Figur aus dem Computerspiel Space Invaders und ließ seine Varianten als emblematische Terminatoren erscheinen. Ein konventioneller Maler war er nie. Bei jeder Ausstellung ließ er die Präsentation laut mitsprechen. In der Kunsthalle Basel ging man 1999 auf einem Eisenrostboden an hoch aufragenden Bildwänden vorüber. Der kalte, scharrende Klang verscheuchte jede Art von Kontemplation. Ein Jahr darauf hatte er im Kölnischen Kunstverein eine Arena für Skateboarder bauen lassen und den Rollboden bemalt und beschriftet. Mathematik lehre, dass es auf das „Ich“ nicht ankomme, stand da neben „fuck the intention of the artist.“ Zwischen diesen Zitaten konnte man die ästhetische Theorie seiner Malerei vermuten. Damit widerspricht sein Werk den Geflogenheiten der Kunstgeschichte, der Kunstkritik und des Kunstmarkts, die sich von Subjektivität, Originalität, Handschrift und den Absichten des Künstlers nicht befreien wollen, weil sich nur mit diesen Kriterien Künstler-Monografien und Heldenleben konstruieren lassen.

Majerus wurde von seinen Galerien in Berlin, Köln, London, Mailand und New York mitten in den schnellen Hip-Markt platziert und widersprach doch Schau für Schau den Voraussetzungen, die ihn erscheinen ließen. Noch ist nicht ermittelt, welches „Ich“ im Werk spricht. Dieser Aspekt erzeugt in den Motiven und Linien einen anhaltenden Schwindel, gestützt von dynamischen Kurven und Diagonalen. Alles hatte Drive und vermied Stillstellung. Er konnte sich auch eine Ausstellung vorstellen, durch die man mit dem Auto fährt: Bildskulpturen für den wachen Blick. Deshalb ist er einer der raren Maler, die von Las Vegas gelernt und für Hütten und Paläste jedes Signalformat im Angebot haben.

Ungewiss bleibt, ob er die Worte, die er in seine Bilder schrieb, auch meinte. „Demand the best, don’t accept excuses“ hatte den gleichen Rang wie „whommm“, „ssshhht“, „crash“. Die Wörter sollten als Energieträger, nicht sinnstiftend funktionieren und assoziative Klangwerte wie Rocksongs erzeugen: Klingt gut, ist gut, hat aber keine Folgen. Damit war er mit bildstarken Argumenten auf der Höhe des Iconic Turn. Keine Bedeutungen mehr, sondern reines Augenblicksbegehren. Jetzt hat die Arbeit für die Nachwelt begonnen. Von Gottfried Benn weiß man, dass sechs Gedichte bleiben müssen, damit ein Dichter nicht vergessen wird. In der Kunst mag das anders sein. Wobei sechs vorolympische Werke bei Majerus mindestens zu finden sind.

Galerie Neugerriemschneider, Linienstraße 155; bis 20 August; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Peter Herbstreuth

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