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Kultur: Jenseits der Zeit

Leipziger Schule: Fotoarbeiten von Ricarda Roggan bei Jacky Strenz

Vom allmählichen Auszug der Galerien aus der Spandauer Vorstadt kann keine Rede sein. Die Szene ist so reich wie je zuvor und erfreut sich, wie der jüngste Rundgang am vergangenen Sonnabend bewies, unveränderter, hörbar internationaler Beliebtheit. Und es gibt durchaus Galeristen, die das Wagnis einer Neueröffnung eingehen.

Zu ihnen zählt die Frankfurterin Jacky Strenz, die sich im vergangenen Mai in der ersten Etage der Gipsstraße 5 eingerichtet hat. Das Haus ist von Hans Kollhoff entworfen – und will mit der strengen Monumentalität seines gewissermaßen hochherrschaftlichen Aufgangs so gar nicht ins tradierte Bild des Quartiers passen. Gentrification bedeutet eben nicht nur den Wandel der Bewohnerstruktur, sondern auch den des Gebäudebestandes.

Mit ihrer fünften Ausstellung greift die Galerie auf Arbeiten zurück, die man wiederum eher in den aufgefrischten Ladenlokalen verwitterter Altbauten vermuten möchte. Unter dem Titel „Open House“ zeigt die junge Leipzigerin Ricarda Roggan fünf neue Fotoarbeiten aus der Reihe ihrer Interieurs (100 mal 125 Zentimeter, jeweils 1800 Euro). Sie entstanden alle in einem abgeteilten Raum ihres Ateliers auf dem weitläufigen Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei, wo auch Neo Rauch sein Atelier unterhält.

Fünf Mal ist derselbe, karge und erkennbar zusammengezimmerte Raum zu sehen, längsrechteckig in die Tiefe führend, doch mit horizontal jeweils ganz leicht verschobener Perspektive. In diesem Raum, der die Trostlosigkeit einer realsozialistischen Abstellkammer, wenn nicht den Horror einer Stasi-Zelle evoziert, stehen abgewetzte, schäbige Möbel, fein säuberlich (zumeist) an den Wänden arrangiert, die die dominierende Leere des Raums nur unterstreichen.

Doch nicht um eine Erzählung geht es der 30-jährigen Fotografin, nicht um Abbilder, sondern um die Konstruktion eines Bildes, durchgespielt an den Variationen des zufällig gewählten Mobiliars. Die Fünferserie, aufgereiht in dem nobel proportionierten Galerieraum, zeigt das Verhältnis von Raum und (Bild-)Fläche, zeigt Proportionen und Gewichtungen innerhalb dieses (Bild-)Raums, die Verteilung von Licht und Schatten. Anders also als in den gleichfalls menschenleeren Räumen einer Candida Höfer geht es nicht um die stillgestellte Zeit, sondern um Kompositionen, die als solche außerhalb jeder Zeitlichkeit stehen – freilich durch die überdeutlichen Zeitspuren an den verwendeten, schäbigen Gegenständen irritieren.

Ricarda Roggan hat bei Timm Rautert an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. Im vergangenen Jahr machte eine Ausstellung im Kupferstichkabinett ihrer Geburtsstadt Dresden auf sie aufmerksam. Die neuen Arbeiten sind noch karger geworden, entfernen sich noch weiter vom Anekdotischen, das in den abgewetzten Möbeln zu sehen sein mag. In der Gleichförmigkeit des schmutzigweißen Raumes, der diese Möbel beherbergt, wird der konzeptionelle Zusammenhang in der Auseinandersetzung mit der Gattung des Interieurs einerseits und dem Verhältnis von Vorbild und Abbild deutlich. Es fällt nicht schwer zu prognostizieren, dass Ricarda Roggans Name zukünftig genannt werden wird, wenn von der Gegenwartsfotografie in Deutschland die Rede ist.

Galerie Jacky Strenz, Gipsstraße 5, bis 22. März (Katalog in Vorbereitung).

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