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Kultur: Jenseits von Sensationen

Im London-Berliner Galerienaustausch ist Halbzeit

Es regnete rote Rosen. Zu Hunderten fielen sie durch die offene Kuppel des Pantheons in Rom, dem Betrachter entgegen. Die britische Künstlerin Kate Davis filmte das Pfingstritual. Das Video zeigte sie im Kreuzberger Loop-Raum, zusammen mit Fotografien, auf denen sie mit einem roten Mäntelchen bekleidet in einem Rosengewächshaus steht. Die Ausstellung ist inzwischen zu Ende gegangen. In der Galerie Neu beginnt dagegen der London-Austausch erst am 20. November: Dann ermöglichen Arbeiten, die aus der Londoner Cabinet Gallery kommen, einen Blick auf künstlerische Auseinandersetzungen mit populären Kulturen aus der jüngsten Vergangenheit Europas. Paulina Olowskas flächig figurative Gemälde kommentieren Kunst und Ideologie des sozialistischen Realismus. Enrico Davids Ensembles aus figürlichen Holzskulpturen hingegen spielen mit der sexuellen Aura des West-Pop. Sie korrespondieren mit einer Installation von Marc Camille Chamovicz aus den Siebzigerjahren, die mit Kleidungsstücken, Glitter und Spiegeln jene Androgynität des Glam Rock beschwören, wie sie David Bowie oder Janis Joplin verkörperten (Philippstraße 13, 20. November bis 15. Januar).

So pathetisch mädchenhaft wie bei Loop, so historisch didaktisch wie bei Neu zeigt sich Kunst aus Großbritannien in Berlin selten. Beide Ausstellungen sind Teil des „Gallery Swap“, eines Austauschs zwischen Berliner und Londoner Galerien, den British Council und Goethe-Institut gemeinsam veranstalten. Kurator Mark Gisbourne forderte Galeristen beider Städte auf, Partnerschaften ihrer Wahl zu bilden und eine Auswahl aus ihren Programmen zu präsentieren.

Kratzer am Klischee

Es klappte. Von Mai bis August stellte die Mehrheit der teilnehmenden Galerien aus Berlin bei ihren Londoner Partnern aus, von September bis Januar sind die Briten mit elf Ausstellungen zu Gast in Berlin. Beharrlich kratzt dieser „Swap“ nun am Klischee von der Brit-Kunst. Es war die Ausstellung „Sensation“ 1998 im Hamburger Bahnhof, die mit den spektakulären Arbeiten der „Young British Artists“ aus der Saatchi-Sammlung hiesige Erwartungen an britische Kunst prägte. Dass in britischen Ateliers nicht nur Sensationen entstehen, hat man sich zwar denken können, jedoch selten so umfassend und mit so viel Malerei und Zeichnung vor Augen geführt bekommen wie jetzt. Der Kurator Gisbourne möchte zu neuen, langfristigen Beziehungen anregen. Unter den 25 Teilnehmern finden sich daher neben eingeführten Galerien wie Volker Diehl und Markus Richter („Berlin / London / Minimal“, Schröderstraße 13, 30. November bis 25. Januar) auch Projekträume wie der Londoner Transit Space. British Council und Goethe-Institut unterstützen die Beteiligten mit jeweils 1000 Pfund, was in etwa den Transportkosten entspricht. Als unmittelbare Förderung der Kunstwirtschaft sind die Subventionen allerdings bisher nur mäßig erfolgreich gewesen. Zwar verkaufte der Londoner Laurent Delaye Gemälde von Martin Assig aus der Galerie Diehl und Angelika Wieland fand in der VTO Gallery Käufer für kleinere Arbeiten von Helen Cho, häufiger aber kehrten die Galeristen mit vollen Kisten zurück.

Platz für Unkonventionelles

Wichtiger als der Verkauf, sagen viele, sei der Einblick in lokale Eigenheiten gewesen. So lasse die „Professionalität der Londoner“ wenig Platz für Unkonventionelles. Der schwächere Berliner Markt sei experimentierfreudiger. Barbara Honrath, Leiterin der Programmarbeit am Londoner Goethe-Institut, zieht ebenfalls eine positive Bilanz der Marketing-Offensive für die Berliner Galerien: Über deren London-Gastspiel berichteten Guardian, Time Out und Art Monthly.

Mitunter aber knirscht es. So fällt es manchen Galeristen schwer, die Arbeiten ihrer Gäste zu erläutern. Einige Berliner Galerien gerieten in die Londoner Sommerpause. Hier wiederum sorgte der Kunstherbst für Terminprobleme: Eigen + Art und griedervonputtkamer hatten ihr Herbstprogramm schon fertig und lehnten Gisbournes Einladung ab. Optimismus herrscht trotzdem. Dass sich die Partnergalerien Felixleiter und Andrew Mummery auf dem Art Forum einen Stand teilten, nehmen die Veranstalter als gutes Zeichen. „Der Austausch ist hilfreich“, bestätigt Galeristin Angelika Wieland, die Installationen und Zeichnungen von Tonico Lemos Auad sowie Videofarbspiele von Ben Pruskins zeigt (Ackerstraße 5, bis 30. November). Und mit großem Aufwand bereitete Matthew Smith seine Ausstellung in der Galerie Wohnmaschine vor (Tucholskystraße 35, bis 30. November). Im Sommer filmte er in Deutschland Naturdarstellungen auf Lebensmittelverpackungen vor realen Parklandschaften. Sein Video ergänzt er mit Zeichnungen nach Motiven deutscher und britischer Molkereien (1200 bis 1700 Euro). Hütten vor Hügeln, Cottages mit Kühen: Die Sehnsucht nach der Idylle schmiert den Absatz von Butter.

Der Kurator, Kritiker und Dozent Mark Gisbourne ist inzwischen selbst an die Spree gezogen. Er wolle dabei sein, wenn Berlin wieder zur internationalen Großstadt wird und neben der Konkurrenz zu London und Paris die Verbindungen nach Osteuropa wiederbelebt. Das Goethe-Institut plant freilich in andere Richtungen. Den Austausch will es fortsetzen – doch nicht mit Budapest oder Ljubljana, sondern mit Stockholm und Rotterdam.

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