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Kultur: Jessye Norman mag Diva sein, aber nicht Göttin

Sie schreitet nicht, sie - man muß es leider so despektierlich sagen - sie walzt.Aber warum auch sollte sich eine Göttin auf Erden bewegen können?

Sie schreitet nicht, sie - man muß es leider so despektierlich sagen - sie walzt.Aber warum auch sollte sich eine Göttin auf Erden bewegen können? Außerdem muß sie nicht gehen, sondern singen.Dann aber sitzt Jessye Norman; in einem Etwas aus schwarzem Stoff ein wild gemustertes Tuch umwickelt das Haar kühn himmelwärts, zieht ihr ovales Gesicht nach oben.Die Augen, die großen, verengen und weiten sich.Schweres Gold glänzt an den Ohren: der Dialog, er möge endlich beginnen.

Diva, Göttin, Primadonna, Sopran-Assoluta - Etikette eben, die vergeblich einfangen, festmachen wollen, warum diese Frau so anders ist als die andern.Besser singt, schöner, lauter, höher? Wer weiß? Jedenfalls bewegt sie in nicht wenigen Menschen etwas, löst Emotionen aus, Interesse, Bewunderung gar.Jessye Norman läßt nicht kalt.Selbst Norman-Liederabende in den allergrößen Musikpalästen sind für gewöhnlich ausverkauft.Steht La Jessye auf der Bühne, dann füllt sie diese mühelos: mit Masse, mit Musik, mit Stimme, mit Persönlichkeit.So also muß ein Star sein.

Sie selbst wehrt das Titelgeklingel ab und erwartet es gleichzeitig doch.Es ist Teil ihrer Persönlichkeit.Und jetzt sitzt sie trotzdem da und trinkt Wasser aus einem Pappbecher.Sie dirigiert das Gespräch, auch wenn andere die Fragen stellen.Das hat die 1945 geborene Tochter eines Versicherungsvertreters aus Augusta / Georgia wahrscheinlich immer schon so gemacht.Die Stimme, volltönend, laut, wohlig melodiös, kann sofort ins Schrille, Harte, Säuselnde Umkippen: sie ist eine Virtuosa auch in der Kunst der Dialoggestaltung.Man darf sie fragen, aber nie erwarten, auf alles eine Antwort zu erhalten.Sie hat gelernt, mit den Gefühlen ihrer Fans umzugehen, sagt sie.Wie, das erklärt sie nicht.Wenn sie nicht singt, dann schwimmt sie gerne.Und meditiert viel."Ich bin gläubig.Das ist ein großer Halt."

Ihre Kunst, um die ist ein Geheimnis, auch wenn Jessye Norman jede Magie abstreitet, alle ihre Erfolge, ihren Ruhm auf Talent und Arbeit, viel Arbeit schiebt.Schon das trampelige Mädchen mit den Sackkleidern und dem wilden Afrolook, das, noch völlig unbekannt, 1968 den gestrengen ARD-Musikwettbewerb in München gewinnt, und dort vom Fleck weg für drei Jahre an die Deutsche Oper nach Berlin engagiert wird, umgibt diese Aura, dieses Besondere.Die Fotos von damals hat sie alle aus dem Verkehr ziehen lassen, auch die alten Plattencover sind längst ausgetauscht.Sich Inszenieren, das eigene Bild bestimmen, bedeutet ihr viel.Eine Jessye Norman überläßt nichts dem Zufall.

Oft sind es die einfachen Dinge.Als 23jährige debütierte sie an der Bismarckstraße als Tannhäuser-Elisabeth."Immer auf die Füße schauen, nicht über die schräge Ebene stolpern", hat ihr die wohlmeinende Kollegin Elisabeth Grümmer in der Garderobe gesagt.Dann ist sie todesmutig vorgestürmt.

Danach ist die Karriere der Jessye Norman abgezischt wie eine Rakete.Und doch war sie stets eine Sängerin für Kenner.Trat in "Les Troyens" und "Ariadne auf Naxos", "Dido und Aeneas" und "Oedipus Rex" auf, nahm Faurés "Penelope" auf und Offenbachs "La belle Helène".Und immer wieder Lieder, Schubert, Brahms, Poulenc, Strauss vor allem.Keine wie sie, ihre Aufnahme der "Vier letzten Lieder" unter Kurt Masur ist längst ein Klassiker, stellt sie auf eine Höhe (oder sogar noch darüber) mit der Schwarzkopf.

Irgendwann aber, es muß Ende der achziger Jahre gewesen sein, wollte sie größer hinaus, höher, hin zum weltweiten Publikum.So hat sie unter viel Gedöns "Carmen" aufgenommen, alles andere als ihre Rolle, hat in Paris auf der Place de la Concorde vor Millionen, gehüllt in die Tricolore, die Marseillaise gesungen."Kein Höhepunkt in meinem Leben", sagt Jessye Norman heute.

Die Stimme ist tiefer geworden, gefährdeter, Anstrengung wird manchmal spürbar.Doch der Superstar-Status muß gehalten werden.Deshalb macht sich Jessye Norman rar.In Berlin war sie zuletzt vor vier Jahren, Oper gibt es kaum noch, höchstens mit Robert Wilson.Für das Jahr 2000 haben die beiden in Paris eine szenische Version von Schuberts "Winterreise" geplant.

Jetzt ist sie wieder in Berlin - wo vieles für sie begann, wo das Publikum sie liebt.Jessye Norman singt bei einer Gala zum 50.Luftbrückejubiläum Songs des 100jährigen George Gershwin und die Cantata von John Carter.Gershwin traut sie sich zu singen, der ist Teil ihrer Kultur, anders als den Jazz, den sie zu Hause hört."Das könnte ich nie, deshalb mag ich Jazz so gerne, ich muß dabei auch nie an meine Arbeit denken." Ihr liebstes Gershwin-Lied? "Our Love ist here to stay".Da bekommen die Augen der Jessye Norman plötzlich etwas Sehnsuchtsvolles, Großherziges.Dann noch ein Foto, sehr professionell durchgezogen.Die Göttin zieht wieder von dannen.

Jessye Norman tritt heute abend um 19 Uhr in der Philharmonie in der Gershwin-Gala des Deutschen Symphonie-Orchesters auf.

MANUEL BRUG

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