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Kultur: Jesus isst keine Hamburger

Russischer Prozess um Gotteslästerung

Drei Jahre Straflager forderte Staatsanwalt Alexander Nikiforow dieser Tage in Moskau für zwei prominente Intellektuelle: Für den Kunstwissenschaftler Andrej Jerofejew und für Juri Samodurow, den ehemaligen Leiter des Sacharow-Zentrums. Beiden werden neben Anstiftung zu religiösem Hass auch „Russophobie“ und die „Erniedrigung der Menschenwürde“ vorgeworfen. Der Grund: die Ausstellung „Verbotene Kunst“. Sie zeigte 2007 Werke aus den Siebzigern und Achtzigern, die sich gegen Tabus im sowjetischen Kunstbetrieb der Breschnew-Ära richteten. Der Prozess begann bereits im April letzten Jahres und hält seither Laien wie Experten in Atem.

Die Kunstwerke sind für Iwan Normalverbraucher in der Tat gewöhnungsbedürftig. Eines zeigt Jesus als Werbeträger für die weltweit größte Fastfood-Kette, auf einem anderen trägt der Erlöser statt Kopf einen Leninorden. Und im goldenen Rahmen einer Ikone, wo nach Volkes Meinung ein Muttergottesbild hingehört, prangte Kaviar. Erkennen konnte die „Schweinerei“ allerdings nur, wer einen Blick durch die Gucklöcher in den hohen Stellwänden warf, die die Macher vor den Werken aufgebaut hatten. Fromme Eiferer sprachen von Gotteslästerung. Und die sei im zaristischen Russland mit der Todesstrafe geahndet worden. So jedenfalls der als Zeuge geladene Pope Pawel Burow unter donnerndem Applaus seiner zahlreich im Gerichtssaal erschienenen Schäflein. Die meisten hatten die umstrittenen Werke gar nicht gesehen.

Ihm persönlich, so Kurator Samodurow hätten viele der Werke auch nicht gefallen. Aber allein deswegen maße er sich nicht das Recht an zu sagen, das sei keine Kunst. Die Autoren der umstrittenen Werke müssen sich übrigens nicht verantworten. Aus Sicht der Verteidigung hätte sich der russische Staat gar nicht in den Streit einmischen dürfen. Denn die Verfassung garantiert das Recht auf freie Meinungsäußerung. Auch in der Kunst. Museen, so Jerofejews scharfzüngige Anwältin Anna Stawizkaja, seien „keine Orte religiöser Verehrung“ und im Alltag würde vieles die Gefühle und die Würde der Menschen verletzen. Man brauche dazu nur den Fernseher anzuschalten.

Kritiker werten den Prozess denn auch als neuen Versuch, die freie Meinungsäußerung in Russland noch weiter einzuschränken. Das Verfahren, so Ljudmila Alexejewa, die Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe, erinnere an die Inquisition. Der Staat versuche, die künstlerische Auseinandersetzung mit Religion zu kriminalisieren und die ästhetischen Positionen der Kirche zum Maß aller Dinge zu machen. In einem offenen Brief warnt die große alte Dame der russischen Bürgerbewegten nicht nur vor Zensur, sondern auch vor Selbstzensur. Aus gutem Grund: In einem Brief an Kyrill, den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche entschuldigte sich Jerofejew bereits. Wohl auch, weil radikale Christen ihm mehrfach mit Lynchjustiz drohten.

Der für den 12. Juli geplanten Urteilsverkündung sehen Samodurow und Jerofejew mit Bangen entgegen. Beide hatten wegen der ähnlich skandalumtosten Ausstellung „Vorsicht: Religion“ bereits ihre Jobs im Sacharow-Zentrum beziehungsweise in der Moskauer Tretjakow-Galerie verloren, wo Jerofejew moderne Kunst betreute. Jetzt bescheinigt die Anklage ihnen „eine kriminelle Übereinkunft“ mit den Feinden des Christentum, um dieses „öffentlich herabzuwürdigen“. Pope Burow wähnt gar Satan persönlich als Auftraggeber und hält Russlands Verfassung, die Staat und Kirche trennt, für einen verhängnisvollen Irrtum, der schleunigst korrigiert werden müsse. Elke Windisch

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