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Epocheübergreifende Strahlkraft. Ulrich Matthes als Hoederer. Foto: Drama/Bresadola

© Bresadola/drama-berlin.de

Jette Steck inszeniert Sartres „Schmutzige Hände“: Dieses obskure Objekt des Kampfes

Deutsches Theater Berlin: Jette Steck inszeniert Sartres „Schmutzige Hände“ als postideologische Farce.

„Wir kämpfen für“, „wir kämpfen gegen“, „wir fordern“, „wir wollen“ flimmert im Stakkato über eine Riesenleinwand, während die Kommunistin Olga ihrem soeben aus dem Gefängnis entlassenen Genossen Hugo liebevoll den Zweijahresbart rasiert. Schon klar: Wir leben in utopiearmen Zeiten; das Objekt des Kampfes bleibt eine Leerstelle.

Deshalb überrascht es nicht, dass die junge Regisseurin Jette Steckel die ideologieunverdächtigste Figur ihrer Sartre-Inszenierung „Die schmutzigen Hände“ im Deutschen Theater Berlin – die spieltriebhafte, politisch desinteressierte Jessica – zur heutigsten Erscheinung erklärt. Jessica und ihr Mann Hugo, ein Verfechter der reinen kommunistischen Theorie, ziehen beim Parteisekretär Hoederer ein. Hugo soll den charismatischen Praktiker, getarnt als dessen Sekretär, liquidieren. Denn Hoederer will – Sartres Stück spielt 1943 im fiktiven Illyrien – mit dem Regenten des von den Deutschen besetzten Landes paktieren, um beim Einmarsch der Roten Armee Blutvergießen zu verhindern und der Partei eine realistische Machtperspektive zu sichern. Und während Hugo, von Hoederer geistig und emotional in Bann gezogen, den „Auftrag“ weiter und weiter hinauszögert und selbst unter Verratsverdacht gerät, versteckt Katharina Marie Schubert als Jessica grinsend Hugos Knarre in ihrem Edelunterhemdchen, krabbelt mit XXL-Handschuhen unter Hoederers Schreibtisch herum und schüttelt sich sehr ansehnlich in überdrehten Lachanfällen. Diesem Girlie ist nur eines wichtig: Es muss etwas passieren; egal, was.

Die restlichen Figuren scheinen weniger klar verortet. „Wir kämpfen für“ – die programmatische Leerstelle findet sich sozusagen auf der Inszenierungsebene wieder. Florian Lösche hat aus Unmengen grauer, rotierender Wände eine Art Existenzlabyrinth gebaut, das sich permanent neu ordnet. Und Ole Lagerpusch, der das idealistische Bürgersöhnchen Hugo als dankbarkeitserregten Hoederer-Musterschüler verkörpert, tropft der Existenzialschweiß von der Stirn, wenn er in diesem Irrgarten nach dem Notausgang sucht. Dann wieder schleicht er allerdings mit vorgehaltener Knarre durch die Transiträume, als sei er beim Casting für eine „Tatort“-Parodie gelandet.

Ähnlich verhält es sich mit den melodramatischen Ohrwurm-Klängen, die Steckel immer wieder über ganzen Szenen ausgießt. Hallo, scheint etwa die bombastisch hochgetunte Unterredung zwischen Hoederer, Karsky (Moritz Grove) und einem mit Gelscheitel und Hüftfettsuit an den Rand der Karikatur getriebenen Prinzen (Bernd Moss) zu rufen, ich bin doch bloß großes (Kino-)Zitat. Im nächsten Moment geht’s dann wieder tief hinab in die todernsten Verästelungen der Hugo-Psyche.

Irgendwie stehen also fast alle Zeichen auf Zeitlosigkeit an diesem Abend; und dabei scheint sich die Zeitgenossin Jette Steckel nicht immer sicher zu sein, was sie von den ideologischen Grabenkämpfen der Vorgeborenen eigentlich hält. Glücklicherweise hat sie in Ulrich Matthes einen Hoederer-Darsteller, der dieses Switching zwischen Tragödie, Ironie und tieferer Bedeutung subtil beherrscht und souverän Zeitlosigkeitsbehauptungen ausfüllen kann. Matthes verkörpert einen unaufdringlich in sich selbst ruhenden Parteisekretär, der die epochenübergreifende Strahlkraft des Machers mit gegenwärtigen, volksnahen Understatement-Posen zu vereinen weiß und bei dem noch die alte Parteienweisheit so frisch klingt, als schösse sie ihm gerade durch den Kopf.

Deutlich ist Steckels Akzentuierung des Privaten; sowohl in den Beziehungsszenen des Ehepaares als auch in denen zwischen Hoederer und Hugo und schließlich in Hugos Neigung zur Parteigenossin Olga, die in Maren Eggerts Darstellung weibliche Intellektuellenklischees wunderbar beiläufig unterläuft. In einem im Programmheft nachgedruckten Gespräch mit der „Zeit“ diskutieren Stéphane Hessel und Richard David Precht, inwiefern die „stärkste aller gesellschaftlichen Visionen“ heute die „romantische Liebe“ sei. Ja: Jette Steckels Inszenierung ist wohl tatsächlich in jeder Hinsicht ein Kind unserer Zeit.

Wieder am 23. Januar und 4. Februar

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