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Dem Täter auf der Spur. Jürgen Vogel ist Kelab, ein prähistorischer Südtiroler, der den Tod seiner Sippe rächen und den heiligen Schrein zurückerobern will.

© Port au Prince Pictures

Jetzt im Kino: "Der Mann aus dem Eis": Ötzi auf der großen Leinwand

Rache ist Steinzeit: Felix Randaus Alpenwestern „Der Mann aus dem Eis“ erzählt vom Gletschermann aus dem Ötztal. Und Jürgen Vogel ist Ötzi.

Südtirols Berge haben drei Popstars hervorgebracht: den Messner Reinhold, den Trenker Luis – und Ötzi. Dessen Todesstunde am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen lag schon knapp 5300 Jahre zurück, als der Gletscher ihn im Jahr 1991 wieder freigab und Wandersleuten aus Nürnberg vor die Füße legte. Doch dank Pathologie und Forensik hat der Jäger aus der Kupfersteinzeit inzwischen fast alle Geheimnisse seines nur 1,53 Meter langen, mit Tattoos übersäten, in Ziegenfell gekleideten Körpers preisgegeben.

Dass er ein Schamane war und nur wenige Tage vor seinem Tod siegreich aus einem Nahkampf hervorging. Dass er erst ins Schnalstal hinab- und bald darauf wieder auf 3200 Höhenmeter aufstieg. Dass ihn ein Pfeilschuss verbluten ließ. Doch wer hat den 45 Jahre alten Mann ermordet? Und vor allem warum? Das verschweigt die gefriergetrocknete Gletschermumie, die als weltberühmte Attraktion in ihrem Bozener Schneewittchensarg jährlich 250 000 Schaulustige ins Archäologiemuseum zieht.

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Nun hat sich der Regisseur Felix Randau endlich auf die Verantwortung des Kinos in diesem Fall besonnen und Ötzi nach seinem Dffb-Abschlussfilm „Northern Star“ (2003) und dem Einsamkeitsdrama „Die Anruferin“ (2008) eine Identität gestiftet. Die fällt bei dem auch von Arte und dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF koproduzierten Autorenfilm, der in Locarno Premiere feierte, selbstredend strikt nach Maßgabe „historischer Authentizität“ aus. Und so sieht „Der Mann aus dem Eis“ deutlich mehr nach Jean-Jacques Annauds Klassiker „Am Anfang war das Feuer“ als nach Roland Emmerichs Säbelzahntiger-Spektakel „10 000 B.C.“ aus.

Auch was die nicht untertitelte Sprache angeht, hat sich Randau an Annaud orientiert. Ötzi, der eigentlich Kelab heißt und mit Frau, Sohn und Sippe in einer Talsiedlung wohnt, spricht ein vom Rätoromanischen inspiriertes, von einem Linguisten entwickeltes Kunst-Steinzeitisch. Aber weil die prähistorischen Tiroler ohnehin nicht zu Salonplaudereien neigen und Story wie Figurenzeichnung nicht sonderlich tiefgründig sind, schadet das mangelnde Verständnis nicht. Im Gegenteil – Ötzis Rotwelsch klingt. Und wirkt deutlich angemessener als der Score, der den – angesichts des klaren Ausgangs – eher überschaubaren Suspense-Faktor des Alpenwesterns mit Cello-Breitseiten hochdröhnt. Das Pfeifen des Windes im Schneesturm, das Wolfsgeheul, als Kelab im Wald seine Fallen aufstellt, die eisige Stille in der Gletscherhöhle, die ihn verschlingt – diese Naturtöne erzählen viel eindringlicher von den Gefahren, mit denen ein Jungsteinzeitler so ringt.

Der finale Countdown: Jürgen Vogel gegen die alte Lederhaut André Hennicke

Doch obwohl Kameramann Jakub Bejnawowicz die bedrohliche Dimension des Gebirges in überwältigend kühle, blaugraue Tableaus bannt, ist nicht dieser existenzielle Kampf Randaus Thema, sondern der brutale Krieg Mann gegen Mann. Dem gibt sich Jürgen Vogel, der bekanntlich ein Freund sportlicher Herausforderungen ist, als Kelab physisch wie psychologisch überzeugend hin. Als drei Männer seine Familie töten, die Siedlung brandschatzen und den heiligen Schrein stehlen, verfolgt der Dorfälteste sie über Stock und Stein bis zum finalen Countdown im Tal der feindlichen Sippe.

Die führt die alte Lederhaut André Hennicke mit Namen Krant an. Genauso wie der Rächer Kelab, der sich nicht nur durch seine spirituellen Neigungen, sondern auch durch die Pflege eines Säuglings als Anwärter auf höhere zivilisatorische Weihen empfiehlt, kann auch Krant mehr als eine Miene schneiden. Die einzig des Heiligtums wegen ausgeführte Metzelei an Kelabs Sippe scheint ihm jedenfalls keine Freude zu bereiten. Offensichtlich sind auch schon 3400 vor Christus die Religion und die Gier an allen Verheerungen schuld.

Ein bisschen Familie-Feuerstein-Kichern ist immer

Ein weiterer Besetzungscoup offenbart sich erst beim zweiten Hinschauen. Unter den Zottelhaaren und Ziegenfell-Kostümen, die ebenso wie das Szenenbild und die altvorderen Alltagsverrichtungen in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Archäologiemuseum gestaltet wurden, schaut Sabin Tambrea heraus. Die noble Bohnenstange mit der ätherisch blassen Haut ist vom Berliner Ensemble etwa als Robert Wilsons „Peter Pan“ und im Kino als „Ludwig II.“ bekannt. Hier darf er sich mal richtig dreckig machen und mit Altstar Franco Nero drehen. Der schafft in der Nebenrolle eines weisen Alten, der Kelab auf seiner Verfolgungsjagd erst feindlich und dann umso freundlicher begegnet, als Held des wortkargen Italo-Westerns allein durch sein Dasein eine Genre-Referenz.

Jürgen Vogel bei der Münchner Premiere von "Der Mann aus dem Eis", ohne Ötzi-Kostüm.
Jürgen Vogel bei der Münchner Premiere von "Der Mann aus dem Eis", ohne Ötzi-Kostüm.

© dpa/Tobias Hase

Trotz der Drastik der Gewalt und der Archaik des Rache- und Schuldgeschäfts erzeugt „Der Mann aus dem Eis“ auch Schmunzler. Der Blick zurück zum Ursprung der eigenen Spezies kommt im Kino eigentlich nie ohne amüsiertes Schaudern aus, ein bisschen Familie-Feuerstein-Kichern ist immer. Das liegt am Sujet, weniger an dessen Inszenierung. Mensch findet es lustig, wie Mensch einmal war. Und Felix Randau gruselt es offensichtlich, wie gewalttätig und gierig er immer noch ist. Mit Kelab hat er einen Ötzi gezeichnet, der ganz Indie-Kintopp-Vision, ganz Mann der Zukunft ist. Ein soziales Wesen, das seine Handlungsmuster reflektiert und erkennt, dass Humanität der Schlüssel zum Gemeinwesen ist. Der Schütze trifft ihn in dem Moment, als er gedanklich ein geradezu vormodern freier Mensch wird. Sein Pfeil ist ein Symbol: das des abgelegt geglaubten aggressiven Prinzips.

In Berlin im Cinemaxx Potsdamer Platz, Intimes, Kant, Kulturbrauerei, Union, Zoo Palast

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