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Joachim Gauck: Die Sonntagsfrage

Alles von diesem Mann wird auf die Goldwaage gelegt. Selbst wenn er nur sagt: "Was für ein schöner Sonntag."

So mächtig ist die Sehnsucht nach der guten, klugen, bewegenden Rede, dass schon fünf Worte die Köpfe zum Schwirren bringen. Was hat er bloß gemeint, der frisch zum Bundespräsidenten gewählte Joachim Gauck, als er frohlockte: „Was für ein schöner Sonntag!“ Nun, sicher hat er sagen wollen, dass der Sonntag zu Deutschland gehört. Womöglich hat er sich vorgestellt, dass Zeitungen, die am Montag seinen Satz drucken würden, gleichsam das Wahl-Wochenende um einen Tag verlängern. Oder wollte er an die legendäre Wochenzeitung aus dem Osten erinnern, den „Sonntag“, der vor Jahren in „Freitag“ umgetauft wurde?

Alles von diesem Mann wird auf die Goldwaage gelegt – selbst zukünftige Reden. Die verwegenste Idee kam von literarisch versierten Kollegen, die behaupteten, Joachim Gauck habe auf Jorge Semprúns Buch „Was für ein schöner Sonntag!“ angespielt. Dieses Buch berichtet von den entsetzlichen Erfahrungen des kommunistischen Schriftstellers und späteren spanischen Kulturministers im Konzentrationslager Buchenwald. Warum hätte Joachim Gauck in der Bundesversammlung, in diesem Moment an Semprún denken sollen?

Wohl hat er an den 18. März 1990 gedacht, an die ersten freien Wahlen in der DDR. Er hat sich gefreut. Ja, das muss man sich einmal vorstellen: Er war glücklich und berührt. Und dann hat er das mit dem Sonntag gesagt. Wenn wir Glück haben, dann geschieht das jetzt öfter. Dass einer sagt, was er denkt und fühlt: Worte, mal leichter, mal schwerer. Mal am Dienstag oder auch am Donnerstag.

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