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Joan Wasser alias Joan As Policewoman aus New York.

© Shervin Lainez

Joan As Police Woman: Zeugin der Anklage

Songwriter-Soul und Selbsthilfe-Pop: Die großartige New Yorker Musikerin Joan As Police Woman und ihr Album „The Classic“. Eine Begegnung.

Buddhisten wissen Rat. Manchmal sind sie sogar besser als Therapeuten – und inspirieren Popsongs. So war es zumindest für Joan Wasser alias Joan As Police Woman, die beim Schreiben ihres vierten Albums in eine depressive Phase geraten war. „Normalerweise wache ich auf und bin glücklich. Aber diesmal passierte das Gegenteil, was mich wirklich verrückt gemacht hat“, erinnert sich die Musikerin, die schon mit Antony Hegarty, Rufus Wainwright und Elton John arbeitete und in Lou Reeds letzter Tour-Band sang. Als es nicht besser wurde, redete sie mit ihren buddhistischen Freuden, die ihr tatsächlich weiterhalfen. „Sie sagten alle das Gleiche: Hör auf deine Gefühle als Fakten zu erleben, tritt einen Schritt beiseite und beobachte sie, statt sie stets als so dramatisch zu erleben.“

Den letzten Teil des Satzes unterstreicht die 43-Jährige mit einem gespielt gequälten Ausdruck in der Stimme und leicht verzerrtem Gesicht. Sie macht das häufiger, dass sie ihre Sätze auf fast schon musikalische Weise akzentuiert, ohne dabei jedoch in einen aufgesetzten Performance-Modus zu geraten. Die New Yorkerin, die einen bunt gestreiften Strickpulli, schwarze Jeans und goldene Sneakers trägt, erzählt in einem kleinen Berliner Hotelzimmer von den letzten zwei Jahren und wirkt dabei ausgeglichen und energiegeladen. Natürlich habe es ihr damals Angst gemacht, sich von ihren Gefühlen zu distanzieren – schließlich seien diese „alles, was ich als Künstlerin habe“. Außerdem könne es ziemlich anstrengend sein sich ständig selbst zu beobachten – aber es hilft.

Und sollte Joan Wasser irgendwann mal vergessen, wie das geht, kann sie einfach ihre am heutigen Freitag erscheinende Platte „The Classic“ auflegen und sich an den Eröffnungssong „Witness“ halten. Zu einem Marching-Band-artigen Schlagzeug-Rhythmus sowie zackigen Bläser- und Orgelakzenten besingt sie ihren Erkenntnisprozess: „I need to be the witness to stop this crime/Cause the criminal inside me has lost her mind/All the things she tells me well they’re all lies/So I gotta be the witness to cut this evil vine“. Kurz vor der Mitte des Songs streben die Instrumente kurz in verschiedene Richtungen, finden dann zu einem exorzistischen Wirbel zusammen, aus dem die Sängerin von den Violinen gezogen mit der Zeile „Got to kick myself out of the dream“ entkommt. Nach der Katharsis ist ihre Stimme einen Takt lang allein, bevor sie noch einmal den Refrain singt und dann mit der Band in eine ausgedehnte, entspannte Coda einbiegt.

Dieses Austrudeln kontrastiert die nervöse Spannung des ersten Teils und wirkt geradezu erholsam. Ein Effekt, der auf „The Classic“ noch öfter zu hören ist: Vier der zehn Songs sind deutlich länger als fünf Minuten und entwickeln gegen Ende eine fast jamhafte Dynamik. „Früher hätte ich an solchen Stellen ausgeblendet“, sagt die Sängerin, die neben der Violine, die sie studiert hat, auch Klavier und Gitarre spielt. „Doch diesmal habe ich es dringelassen, wenn es sich gut angefühlt hat.“ Ihr Ziel war ohnehin, ihre Band besser zur Geltung zu bringen. Nach Konzerten hatten Besucher immer wieder angemerkt, dass sie den Live-Sound viel kraftvoller fanden als den der Alben. Also versuchte sie, zusammen mit ihrem Ko-Produzenten und Keyboarder Tyler Wood eben diesen Klang einzufangen, und veränderte dafür ihre gewohnte Studioroutine. Alle drei Vorgängeralben hatte sie seit 2006 mit wechselnden Bandmitgliedern immer im selben Brooklyner Studio und mit Bryce Goggin als Produzenten aufgenommen. Ein gemütliches Setting, in dem sich die Musikerin gut auskennt. „Aber dabei lernt man nichts. Ich liebe es mehr, etwas zu lernen als es bequem zu haben,“ sagt sie. Weshalb „The Classic“ in diversen New Yorker Studios, Proberäumen und Appartements aufgenommen wurde. Und das diesmal auch völlig ohne Zeitdruck. Wenn ein Song beim ersten Versuch nicht gut klang, probierte man es eben an einem anderen Tag oder einem anderen Ort noch einmal.

Joan As Police Woman hat ein Talent für Songs mit Sexappeal

Diese zugleich ungewohnte, aber entspanntere Arbeitsumgebung hat einen positiven Effekt auf das Album, das sowohl die persönliche als auch die musikalische Entwicklung von Joan Wasser spiegelt. So hat sich ihr Sound seit ihrem Debütalbum „Real Life“ von einem intimen Kammerpop-Flair in eine reichhaltigere, muskulösere Richtung verschoben. Keyboards sind nun wichtiger als das Klavier, die Rhythmussektion steht stärker im Vordergrund und es gibt trotz der für Joan As Police Woman typischen melancholischen Grundstimmung inzwischen einige ausgesprochen fröhliche Songs. Dazu gehören die beiden Single-Auskopplungen „Holy City“ und „The Classic“, die auf das Eröffnungsstück folgen und offensiver als je zuvor ihre Liebe zur amerikanischen Soulmusik feiern. „Holy City“ ist eine optimistische Up-Tempo-Nummer im Geiste von Motown und „The Classic“ ein witziges, mehrstimmiges A-Capella-Doop-Woop-Stück mit dem US-Comedian Reggie Watts als menschlicher Beat Box.

Doch dann kommen die Lieder vier und fünf – das finster schillernde Herz des Albums. Mitklatschen und Jubilieren ausgeschlossen. „Good Together“ ist ein langsam anschwellendes, episches Trennungslied, das von einer „eindeutig nicht funktionierenden Beziehung handelt, die aber von der anderen Person total romantisiert wurde“, wie Joan Wasser erklärt. Als ihr eigener Background-Chor singt sie denn auch immer wieder „Oh no, no, no“. Spannend ist auch hier wieder der zweite Teil: Die Band zweigt plötzlich ab, der Gesang bewegt sich in eine tiefere, verschattetere Lage und fordert das Gegenüber zu einem Treffen hinter dem Badehaus auf. „Was hier passiert, gibt es manchmal bei Beziehungen, die noch irgendwie weiterwabern, obwohl sie eigentlich zu Ende sind. Man denkt: vielleicht noch ein allerletztes Mal, trifft sich heimlich und redet sich ein, dass es nicht zählt“, so Wasser. So geht es hinter dem Badehaus in einem lärmenden Finale – ganz ohne Gesang – noch mal mächtig zur Sache. Eine schnelle Nummer im Stehen, kann man sich beim Hören ziemlich deutlich vorstellen.

Songs mit Sexappeal sind ohnehin eine Stärke von Joan As Police Woman. Auf dem großartigen Vorgängeralbum „The Deep Field“ hat sie das mit „Action Man“ und „Chemmie“ bewiesen. Diesmal mit „Good Together“ und dem sich daran anschließenden „Get Direct“, das mit seinen langen warmen Orgelakkorden und dem später einsetzenden tiefen Bassdrum-Groove eine wunderbare Schlafzimmeratmosphäre erzeugt, ein bisschen Barry White, ein bisschen Marvin Gaye.

Dabei war Joan Wasser während der Aufnahmen für „The Classic“ in einem selbstgewählten Zölibat – zum ersten Mal Single seit ihrer Teenagerzeit: „Nach der In-,Good Together’-Situation war mir klar, dass ich etwas ändern muss. Ich kann nicht mehr nur um des Verliebtseins willen mit jemandem zusammen sein. Das ist am Ende für beide Seiten zu schmerzhaft.“ Das Single-Sein setzte völlig neue Energien frei, was sie sehr genoss. Und mittlerweile hat sie auch wieder jemanden gefunden. Einen „magischen Mann“, mit dem alles hundert Prozent zu passen scheint. Hoffentlich schreibt sie für das nächste Joan-As-Police-Woman-Album mal einen Song über ihn.

„The Classic“ bei Play It Again Sam. Konzert: Postbahnhof am Ostbahnhof, 25.3., 20 Uhr

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