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Kultur: Joan Jonas: Spieglein, Spieglein in der Hand

Hören oder sehen? Bei Joan Jonas ist meist die ganze Geschichte nicht auf einmal zu haben.

Hören oder sehen? Bei Joan Jonas ist meist die ganze Geschichte nicht auf einmal zu haben. Der Betrachter muss sich entscheiden: Entweder beugt man sich in ihrer Installation "Woman in the Well" über den Rand einer silbrigen Tonne und sieht - von Spiegeln kaleidoskopisch eingefasst - eine Frau unter Wasser. Oder er hört einer Geschichte aus einem Trichter zu. Angestrengt imitiert die Frau in der Tonne das Leben einer Nixe, sprachlos und verführerisch schwimmt sie kraftvoll abwärts, hält sich mit Gewichten am Boden, kämpft gegen den Auftrieb des Wassers.

Ein zugleich wunderschönes und absurdes Bild, denn je länger man ihr dort unten zusieht, desto deutlicher erscheint ihre Nixenexistenz als unlebbarer Traum. Ein Märchen eben oder eine Männerphantasie. Auch der Text aus dem Trichter schillert zwischen Mythos und Wunschproduktion.

"Woman in the Well", entstanden 1996/2000, ist die jüngste Installation in der Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, die nach ihrer Station in der Galerie der Stadt Stuttgart nun nach Berlin gekommen ist. Das älteste Video "Delay, Delay" von 1972 erinnert in sparsamem Schwarzweiß an die Pionierzeit der Performance- und Videokunst, zu deren Protagonisten auch die 1936 geborene New Yorkerin gehört. In dieser Zeit gründete sich nicht nur ein neues Genre, sondern veränderte sich auch nachhaltig die Vorstellung von Choreographie und Skulptur. Alte Programmzettel kündigen gemeinsame Auftritte von Joan Jonas mit den Komponisten Steve Reich, Philip Glass und den Choreografinnen Yvonne Rainer, Laura Dean und Trisha Brown an. Vier Jahre lang lebte Joan Jonas mit dem Bildhauer Richard Serra zusammen.

In "Delay Delay" befand sich das Publikum auf dem Dach eines New Yorker Lofts und blickte in eine Brache am Hudson hinab, wo sich 13 Performer über weite Strecken mit Signalen verständigten, in großen Rädern am Ufer entlangrollten oder zu zweit geometrischen Figuren folgten. Das war einerseits eine Befragung, "wie Information an ein Publikum übertragen wird", andererseits eine Untersuchung über die Basis sozialer Beziehungen. Joan Jonas hatte den Körper als ihr skulpturales Medium entdeckt.

Seit 1995 lehrt sie an der Kunstakademie Stuttgart im Fach Bildhauerei. Doch nicht nur von ihren Studenten fordert sie, mit jedem Werk die Bedingungen seiner Entstehung zu reflektieren. Ihre auf eine Video-Performance von 1972 zurückgehende Installation "Organic Honey" breitet sie wie in tausend Scherben zerbrochen vor dem Besucher aus. Zuerst glaubt man noch, in eine Künstlergarderobe geraten zu sein, sieht Kostüme und Requisiten auf einem Tisch, Hunde-Zeichnungen an der Wand, Videos dieser Zeichnungen und Videos von Joan Jonas in Charleston-Kostümen, heulend wie ihr Hund. Erst allmählich begreift der Betrachter, dass die Künstlerin Arbeitsinstrumente und produzierte Bilder nebeneinander setzt, den ungefilterten Blick neben den durch das Medium. Jonas wickelt die Medien wie Schichten umeinander, an der Arbeit der Transformation ebenso interessiert wie an der Differenz zwischen Objekt und Bild.

Nicht zufällig begegnet der Besucher inmitten dieses Chaos seinem eigenen Spiegelbild, denn jeder Beobachter verändert die beobachtete Situation. Es geht ihm dabei nicht anders als Friedrich Nietzsche, der zu den Richtungen des Spiegels schrieb: "Versuchen wir den Spiegel an sich zu betrachten, so entdecken wir endlich nichts als Dinge auf ihm. Wollen wir die Dinge fassen, so kommen wir zuletzt wieder auf nichts als auf den Spiegel. - Dies ist die allgemeinste Geschichte der Erkenntnis." Die Bewegung zwischen diesen beiden Polen aber ist der Raum, in dem Joan Jonas operiert.

"Mirror Pieces" hieß ihre erste Performanceserie, in der sie den eigenen Körper mit einem winzigen Taschenspiegel erkundete oder 15 Männer und Frauen mit körpergroßen Spiegeln in Bewegung setzte. Die Personen verschwanden hinter einem Ausschnitt des Raums, das Publikum sah sich in Splittern in das Geschehen versetzt. Spätere Inszenierungen fanden an Teichen statt, wo das Wasser zum Spiegel wurde. Denn Joan Jonas Arbeiten sind nicht nur urban, medial und konzeptuell geprägt. Landschaften, Mythen und Märchen bildenhäufig den Ausgangspunkt. Sie baut Bruchstücke überlieferter Kultur in ihre Videos ein, wo sie in ihrer archaischen Aura funkeln; ähnlich wie bei der Berliner Filmemacherin Ulrike Ottinger. Oder sie begibt sich selbst in die Rolle einer Schamanin oder "elektronischen Hexe", wie Jonas selbst sagt, die den Stoff umformt. Aus einem Märchen der Gebrüder Grimm "Von dem Machandelboom" wurde für die Installation "Juniper Tree" ein asiatisch anmutendes Ritual, das auf roten und weißen Seidenfahnen die Gesichter der guten und bösen Geister bannt.

Katrin Bettina Müller

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