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Gunilla Röör im Film "Lamento".

© Missing Films

Jöns Jönssons stilles Drama "Lamento": Tragödie des Schweigens

Eine Mutter trauert um ihr Kind. Der schwedische Filmemacher Jöns Jönsson betrachtet in seinem Debüt die Folgen eines Traumas: Seine Protagonistin muss den Freitod der Tochter verarbeiten.

Nicht einfach, so einen Hund loszuwerden. Er ist alt, sieben Jahre, reinrassig ist er auch nicht, Interessenten rufen an und legen wieder auf. Wenn die Leute fragen, warum Magdalena den Hund verkauft, sagt sie was von „Tochter weggezogen“. Es stimmt nicht ganz, Sara hat sich das Leben genommen. Sie war vom Studium aus Berlin zurückgekehrt, hatte Depressionen, wollte keine Tabletten, wohnte bei der Mutter und ist vom Balkon gesprungen. Das Scharnier des Balkontischs hat geklappert, davon ist Magdalena aufgewacht, aber nur kurz.

Magdalena ist eine tapfere Frau. Sie war wohl auch mal eine fröhliche Frau, man kann es sehen, wenn sie den Enkel ins Bett bringt und Quatsch mit ihm macht. Sie weint nicht, sie holt Saras Freund, Johannes aus Deutschland, vom Bahnhof ab, sie bezieht Saras Bett für ihn, geht mit dem Hund in den Wald. Aber etwas ist anders. Magdalena versteckt sich, wenn Saras beste Freundin Lollo aufkreuzt. Sie sagt nichts, als sie bemerkt, dass der Enkel die Klassenkasse gestohlen hat. Und sie geht zur spiritistischen Sitzung. Könnte ja sein, dass Sara sich meldet. Ihre andere Tochter versteht das nicht.

Jöns Jönssons verschattete Welt

Der schwedische Filmemacher und Babelsberger HFF-Absolvent Jöns Jönsson, Jahrgang 1981, hat mit „Lamento“ ein ungewöhnliches Spielfilmdebüt vorgelegt. Ein aus unscheinbaren Bildern komponiertes, intensives Psychodrama, das in der Berlinale-Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ uraufgeführt und kürzlich mit dem Nachwuchs-Filmpreis „First Steps“ ausgezeichnet wurde. Die Kamera rührt sich kaum, sie betrachtet Magdalenas blasses, ungeschminktes, ein wenig kantiges Gesicht, ihr Profil, wenn sie hinter dem Steuer sitzt, ihre Art, sich im Halbdunkel zu bewegen. Es ist oft Nacht in „Lamento“, eine geschlossene, verschattete Welt. Das Licht ist mild, es macht die Menschen zu Schemen. Wenn Magdalena rauchend am Fenster steht, blickt sie ins Leere. Alles andere wäre zu schmerzhaft.

Eine Tragödie des Schweigens, Ingmar Bergman kommt einem schnell in den Sinn. Aber „Lamento“ schlägt eigene, unpathetische, lakonisch-sanfte Töne an, nicht zuletzt wegen der schwedischen Schauspielerin Gunilla Röör. Sie verleiht Magdalena die Aura einer Frau, die sich in einen Kokon aus Unnahbarkeit eingesponnen hat und bei aller Schockstarre aufrecht durch den Alltag bewegt, per Autopilot. Sie schafft das, macht weiter, irgendwie. Bis Sigge, der Lehrer, der Freund, in stiller Besorgnis genauer wissen will, wie das war mit dem Sprung vom Balkon. Bis sie ihre eigene Mutter im Altersheim besucht. Da funktioniert die Betäubung nicht mehr.

Jöns Jönsson lässt dem Tod das Unbegreifliche, der Trauer das schier Unerträgliche. Vieles bleibt ungesagt: der Schuldkomplex der Mutter, die Wahrheit über Saras Zeit in Berlin, der Grund für Lollos Wut auf Magdalena. Die Bilder nehmen einfach nur Anteil an Magdalenas existenzieller Verstörung, an der Entfremdung, die der Tod mit sich bringt. Alles andere wäre gelogen oder vermessen, jede Erklärung übergriffig. Der Tod lässt sich nicht bewältigen.

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