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Kultur: Jörg Schippa: Auf der Umlaufbahn nachts um halb eins

Dieser Mann ist nicht für die Bühne gemacht. Kaum hat er sich den Weg aufs Podest gebahnt und die E-Gitarre umgeschnallt, wendet sich Jörg Schippa vom Publikum ab.

Dieser Mann ist nicht für die Bühne gemacht. Kaum hat er sich den Weg aufs Podest gebahnt und die E-Gitarre umgeschnallt, wendet sich Jörg Schippa vom Publikum ab. Händezittern. Das Mineralwasser aus der Flasche ins Glas schütten, und das vor so vielen Leuten - nicht einfach. Räuspern im Publikum. Schippa blickt kurz um sich, hantiert umständlich mit dem Mikrofon, legt es wieder beiseite: "Das gehört jetzt noch nicht dazu". Das gehört sehr wohl dazu. Wenn der Berliner Jazz-Gitarrist ein Solokonzert gibt, dann geht es vor allem darum, die Zuhörer in die Irre zu führen. Sie erst glauben zu machen, hier stehe ein Verklemmter auf der Bühne, und diesen Glauben dann Stück für Stück auseinander zu nehmen. Ein Spielchen, das Schippa auf seine Gitarre überträgt, und so spiegelt das Auftreten des schlaksigen 44-Jährigen sein musikalisches Programm.

Um das nächste Stück anzusagen, presst er ängstlich die Lippen zusammen und sein Schnurrbart schiebt sich wie eine schützende Kapuze über den Mund. Durchaus passend, diese beklommene Mimik - was folgt, ist ein Kirchenchoral. Dass ein Choral aber in Wirklichkeit wie ein Ufo fiepst, das wusste man bis zu diesem Augenblick noch nicht. Genauso wenig war bekannt, dass zum "Lied des Meister Alexander" aus dem zwölften Jahrhundert afrikanische Trommeln gehören. Was eine Gitarre alles hergibt: Fliegende Untertassen, Trommeln. Bei Coltranes "Giant Steps" spielt Schippa sogar sein eigenes Mitsummen, indem er die Melodien eine Oktave tiefer verdoppelt. Nachher lehnt er sich zurück, schlägt die Beine übereinander und genießt, was vielen Musikern zuwider ist: Über die Musik zu sprechen.

Die falschen Fährten, die er mit seiner Musik legt, sind für ihn selbstverständlich: "Dieses Collagenartige hat nicht speziell mit meinem Solospiel zu tun. Es ist eher ein allgemeines Merkmal des zeitgenössischen Jazz, dass durch das Spannungsverhältnis zweier verschiedener Ebenen eine dritte, dahinter liegende Ebene erzeugt wird." Mit solchen Sätzen entwirft Schippa mal eben eine Dialektik der postmodernen Jazzästhetik. Und spricht dabei so schnell, als ob seine Gedanken immer wieder die eigenen Worte überholen würden. Als Virtuose mit Sologitarre einen ganzen Abend zu füllen, hatte Schippa eigentlich nie im Sinn. Beim Pianisten Walter Norris, der in der Big Band von Thad Jones und Mel Lewis zu Ruhm gelangte, lernte Schippa die musikalischen Grundlagen und verstand sich fortan "als richtiger Jazzer", als einer der Combos bevorzugt. Zum Beispiel sein Quartett "Zoom", das ein Album mit dem Trompeter Kenny Wheeler aufgenommen hat. Ohne Gruppe ginge es auch heute nicht: Schippa ist Teil des basslosen Trios "Orlando Fragments", das die fortschreitende Kompositionsweise Orlando di Lassos neu belebt. Doch irgendwann begann Schippa, sich intensiv mit dem Repertoire für klassische Gitarre zu beschäftigen. Nicht, dass er das an sich allzu spannend fand. Aber das mehrstimmige Spiel brachte ihn auf neue Ideen. Vor drei Jahren ging er dann das erste Mal alleine auf die Bühne. Seitdem ist er in so ziemlich allen Berliner Jazzclubs aufgetreten.

Ein bisschen exotisch ist das schon, denn Sologitarristen sind selten im Jazz, eigentlich dürfen so etwas nur die Pianisten. Wenn sich ein Gitarrist alleine durchsetzen will, freut das die Clubbesitzer nicht unbedingt: "Die fragen: Gitarre, den ganzen Abend, muss das sein?" Schippa versteht das sogar. Dass Gitarre auf Dauer langweilt, das ist eben nicht nur die gängige Meinung, es ist in vielen Fällen auch die Wahrheit. Nur in seinem Fall nicht.

Vielleicht, weil er eingesehen hat, dass er an sein Ideal nicht herankommen wird. Das heißt "freie Improvisation" - auf die Bühne gehen und drauf los spielen. Weil sich dabei schnell große Löcher auftun, die er aus eigenem Instinkt nicht füllen kann, hat er einen Kompromiss gewählt: Ein paar einfache Melodien legt er vorher fest. Und überlegt sich ansonsten nur, welche Stimmungen er abrufen möchte. "Da gehe ich ganz einfach von meinem Geschmack aus", sagt er. "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" spielt er so, dass es rauscht und knistert und einmal auch vage an Jimi Hendrix erinnert. Als Schippa danach sein Publikum fragt, ob jemand das Lied erkannt habe, schütteln alle den Kopf. Längst hat man da vergessen, dass dieselbe Stimme eine Stunde zuvor ein einziges Zittern war. Dieses Rätsel bleibt bis zum Schluss ungelöst: Wie gelingt es Schippa, seinen Auftritt als Angsthase so glaubwürdig zu inszenieren? "Den Auftritt inszenieren? Das mache ich doch gar nicht", sagt er. Zögert einen Moment: "Aber vielleicht sollte ich es tun!"

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