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Perkussionistisches Klangempfinden: John Hollenbeeck.

© Lukas Beck

John Hollenbeck vertont Martin Luther King: Trommeln für die Demut

Musik in der Rhetorik: Martin Luther King vermittelte seine Botschaft mit eindrücklichen Reden. Der Drummer und Komponist John Hollenbeck hat eine davon vertont.

Von Gregor Dotzauer

In Spielmannszügen sieht man ihn heute noch vorneweg paradieren. Der Tambourmajor zitiert eine ferne militärische Ordnung, in der die demonstrative Strenge seines Blicks nur noch mit der Lächerlichkeit seines Aufzugs konkurriert. Seine Würde hing ohnehin nie am Rang, den er bekleidete, sondern am Amt, das ihm oblag. Es ist sein letztes Privileg geblieben, als erster alle Blicke auf sich zu ziehen – und den Rest der Truppe wenigstens musikalisch anzuführen. Die Fremdheit des Worts Tambourmajor dürfte aber auch schon vor einem halben Jahrhundert seine besondere Einprägsamkeit ausgemacht haben. „The Drum Major Instinct“, der menschliche Geltungsdrang, den Martin Luther King am 4. Februar 1968 in Atlanta, Georgia, genau zwei Monate, bevor er in Memphis, Tennessee, erschossen wurde, in der Ebenezer Baptist Church attackierte, taucht nicht zufällig so oft in seiner Predigt auf, damit er sich auch als reiner Klang festsetzt.

Martin Luther King mit dunkler Todesahnung

Der Appell, sich in den Dienst des Glaubens und der Liebe zu stellen, beginnt als Absage an die Versuchungen des persönlichen Egoismus. Er weitet sich aber schnell zur Kritik an der eingebildeten Überlegenheit der weißen Rasse aus und an der Weltführerschaft der USA, die in Vietnam einen verbrecherischen Krieg führen, und er schließt mit einem halluzinierten Nachruf auf sich selbst, den man – wie einige Worte seiner letzten Rede „I’ve been to the mountaintop“ am Tag vor der Ermordung – posthum als dunkle Todesahnung lesen wollte. King bezieht sich auf das Markus-Evangelium, auf Alfred Adler und Sigmund Freud, nicht jedoch auf den weißen Methodisten-Prediger J. Wallace Hamilton, dem er Titel, Thema und sogar einzelne Formulierungen verdankte.

Der amerikanische Drummer und Komponist John Hollenbeck, ein Mann mit der Klangempfindlichkeit eines Perkussionisten, hat seit 2005 eine Professur am Berliner Jazzinstitut. In „The Drum Major Instinct“ hört er nicht nur eine Botschaft, die ihre Zeit überlebt hat, sondern auch eine Musikalität, die weit über rhetorisches Geschick hinausgeht. Schon vor über 20 Jahren, noch als Student der Eastman School of Music, vertonte er Kings Predigt für drei Posaunen und Schlagzeug und versucht seitdem, das Stück einmal pro Jahr aufzuführen, rund um den Martin Luther King Day, der immer auf den dritten Montag im Januar fällt.

John Hollenbeck spielt Drumset mit der Hand

Die Version, die er im Konzertsaal der UdK am Einsteinufer spielte, ist seit dem vergangenen Jahr gründlich revidiert und besteht inzwischen aus drei Teilen. Der erste, ursprüngliche, von dem es eine Aufnahme auf Hollenbecks Album „No Images“ (2001) gibt, wird im Dunklen gespielt: Zu Kings Stimme vom Band gesellen sich insgesamt fünf Posaunen, darunter die Stimmen von Samuel Blaser, Johannes Bauer und Geoffroy de Masure, sowie Hollenbecks anfangs mit der Hand gespieltes Drumset. Ein Glissandi-Chor lädt Kings Pathos mit immer mehr Spannung auf, bis er sich zerstreut und die einzelnen Musiker in teils heftigen Ausbrüchen die Predigt akzentuieren und kommentieren.

Der zweite Teil, im Scheinwerferlicht gespielt und mit Hollenbeck am Klavier, bringt die Rede in einen intimen Kontext mit Akkordeon (Arthur Bacon), Gitarre (Daniel Bodvarsson) sowie Vibraphon und Marimba. Klangflächen legen sich unter Kings Sprachmelodie und lösen sich auf, indem sie sich ihr manchmal anschmiegen: Was so intensiv gesprochen ist, lässt sich auch singen.

Der Abenteuergeist improvisierter Prozesse

Der dritte Teil schichtet die beiden ersten Teile mehr oder weniger wiederholend übereinander und projiziert dazu Kings Text auf eine Leinwand: Eindringlicher als in diesem Verfahren, das dem „Drum Major Instinct“ von drei Seiten aus nachgeht, kann man sich King nicht vergegenwärtigen. Hollenbeck versteht sich wie nur wenige Komponisten und Arrangeure im zeitgenössischen Jazz, den Abenteuergeist improvisierter Prozesse mit instrumentalen Texturen zu mischen, die schon ins Gebiet der Neuen Musik hinüberreichen, ohne deren Sprödheit zu erreichen. Dafür stehen sein Large Ensemble, das er am Jazzinstitut auch schon als studentisches Orchester betrieben hat, wie sein Claudia Quintet, das in dieser Stadt leider viel zu selten zu hören ist.

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