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Offenbarung am Schlagzeug. John McLaughlin und Drummer Ranjit Barot erheben den Jazzrock zur Kunstform.

© DAVIDS/Sven Darmer

John McLaughlin in Berlin: Das Wunder von Konnakol

Hallo Hippies! John McLaughlin und seine Band 4th Dimension spielen im Pierre-Boulez-Saal.

Von Gregor Dotzauer

Und gleich mit dem ersten Ton hinein in die Gewitterwände des „Meeting of the Spirits“, durch die seine Gitarre Blitze schleudert, als wäre seit dem ersten Donnergrollen nicht fast ein halbes Jahrhundert vergangen. 1971 eröffnete die Komposition das erste Album von John McLaughlins Mahavishnu Orchestra, „The Inner Mounting Flame“, mit dem er die Vorstellung von dem, was Jazzrock ausmacht, für immer veränderte. Noch immer ist alles da: das Stakkato-Sperrfeuer seiner Soli, das Wogen mächtiger, auf einen Ausbruch lauernder Ostinati, der dichte Groove. Selbst das Publikum von damals ist noch da. Ungläubige, die den Briten bis heute als angeblich schnellsten und besten Gitarristen der Welt verehren und sich mit ihm für die Lehren des hinduistischen Meisters Sri Chinmoy interessierten.

„Hallo Hippies“, sagt McLaughlin im Pierre-Boulez-Saal, wenn bei den Mahavishnu-Stücken der Wiedererkennungsapplaus aufbrandet. Es trifft als Schmeichelei so sehr ins Schwarze wie als gern wiederholte Selbstbezeichnung. Der Weltstar mit Wohnsitz in Monaco hat leicht reden – in einem erstaunlichen Deutsch übrigens. Zumindest musikalisch ist er sich geradezu fatal treu geblieben und schenkt denen, die ihm an den Fingern hängen, genau das, was sie wünschen.

McLaughlin pflegt die eigene Legende

Vielleicht müsste er noch einmal in die Zeit vor seinem Ruhm zurückgehen, um sich herauszufordern: zu den elektrifizierten Schreien, die er auf Miles Davis’ „Go Ahead John“ hören ließ, oder gar zu seiner jugendlichen Bewunderung für die swingende Melodiösität von Tal Farlow, die man, hätte er sich dazu nicht bekannt, niemals ahnen würde. Aber mit seinen 75 Jahren hat er jedes Recht, die eigene Legende zu pflegen. Erstaunlich genug, wie jugendlich er im Kreis seiner jüngeren Weggefährten auftrumpft: rank und schlank und mit vollem grauem Haar.

4th Dimension heißt die Band, mit der er den Mahavishnu-Sound aufpoliert. Etienne M’Bappé, der kamerunische Elektrobassist mit den schwarzen Handschuhen, wieselt und slappt virtuos durch die Oktaven und lässt die Flageolett-Funken sprühen. Keyboarder Gary Husband legt synthetische Flächensounds, imitiert Klavier, Fender Rhodes und die Moog-Soli seines Vorgängers Jan Hammer.

Einen flirrenden Rhythmus getrommelt

Die Offenbarung aber heißt Ranjit Barot. Die Musik mag sich zwischendurch in gesichtslosen Fusion-Arrangements von Paco de Lucia oder Pharoah Sanders verlieren. Sobald der indische Drummer aber zu ausgedehnten Soli ansetzt, zeitweise auch mit Gary Husband am zweiten Schlagzeug, ereignet sich das Wunder von Konnakol, einer südindischen Rhythmussprache, deren Silben jeder Übersetzung ins Instrumentale vorhergehen. Sie werden zu komplexen metrischen Zyklen addiert, die in der Beschleunigung jenes Flirren hervorbringen, wie man es von Tablas kennt. Barot übersetzt sie auf das große Schlagzeugset – nicht ohne zuvor ihre zungenbrecherische Herrlichkeit auszukosten.

John McLaughlin hat Konnakol schon vor Jahren mit seiner akustischen Band Shakti als ideales Organisationsprinzip für die krummen Rhythmen seiner Musik entdeckt. Schade, dass der syrische Klarinettist Kinan Azmeh, der dem Konzert die saalspezifische Farbe geben sollte, nur bei zwei Stücken zum Zuge kam. Azmeh, unter anderem als Mitglied von Yo-Yo Mas Silk Road Ensemble für Genreüberschreitungen prädestiniert, fügte den voluminösen Klängen eine Subtilität hinzu, die den sich an der Holzdecke heftig brechenden Schallwellen noch eine ganz andere Richtungen hätten geben können.

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