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Gitarrist Johnny Marr.

© Warner

Johnny Marr: „Ich wollte alles anders machen als in der Vergangenheit“

Johnny Marr war Gitarrist der legendären britischen Band The Smiths und arbeitete nach deren Auflösung mit vielen verschiedenen Gruppen wie The The, Talking Heads, Modest Mouse oder zuletzt The Cribs zusammen. Jetzt veröffentlicht er mit "The Messenger" sein erstes Soloalbum. Ein Gespräch über die Lust am Singen, Werbeterror und positive Energie.

Mister Marr, wir sind hier im Ramones Museum. Vor uns liegt ein Rocklexikon, aber darin tauchen The Smiths nicht auf. Ganz schön frech, oder?
Ja, wir sollen schon erwähnt werden. Zwar waren wir nicht Punk, aber die erste Band, die auf einem Mainstream-Level Erfolg hatte und trotzdem auf einem Indielabel war. Wir haben die Indiemusik quasi erfunden.

Sie haben einen großen Wandel gemacht – vom Gitarrenhelden zum Songwriter und Frontmann. War das schwer für Sie?
Glücklicherweise liegt meine Lehrzeit im New Wave, und da war es üblich, dass die Sänger auch die Gitarre spielen. Ich sehe mich in dieser Tradition. Mein Lebensweg ist zwar von Kooperationen mit starken Frontmännern geprägt, aber wenn ich eine Band sehe, in der der Sänger auch der Gitarrist ist, dann ist das für mich eine gute Nachricht. Wire, The Only Ones, Buzzcocks – meine Favoriten waren alle so aufgebaut.

Als in den Neunzigern der Pop elektronisch wurde, gingen Sie erstaunlicherweise mit: Sie gründeten mit Bernard Sumner von New Order die Gruppe Electronic.
Die Technologie hat die Musik total verändert, weg vom Rock’n’Roll hin zu Samplern und Synthesizern. Wir kamen beide aus Bands, die an ihrer eigenen Legende zu ersticken drohten. Ich war ja noch sehr jung und wollte nicht mit dem Label auf der Stirn enden: Du bist der neue Keith Richards. Endlich mussten nicht länger vier Typen in Lederjacken vor einer Mauerwand stehen. Uns ging es darum, gemeinsam im Studio Popmusik zu designen mithilfe der neusten Technologie.

Ihr neues Album „The Messenger“ ist ein Rockalbum geworden, ohne dass die Gitarren besonders im Vordergrund stehen.
Wenn ich das Album analysieren müsste, würde ich sagen: Die eine Hälfte ist von dem, der ich vor der Gründung von The Smiths war, und die andere Hälfte ist von dem, der ich wurde, nachdem The Smiths sich auflösten. Ich wollte nichts so machen wie in der Vergangenheit. Der Titelsong hatte anfangs sogar gar keine Gitarre. Alle denken, auf einem Soloalbum sei das mein erstes Interesse. Tatsächlich aber vergaß ich sie und konzentrierte mich auf das Singen, die Keyboards, die Backingvocals. Erst zum Schluss haben wir noch eine Gitarre hinzugefügt, und nun gibt es einen Gitarrenpart auf einem Elektrotrack. Die Reaktionen der Fans waren: Aha, er hat wieder diese typischen Gitarrenriffs. Es dreht sich nun mal nicht alles um die Texte, auch wenn sie mir sehr wichtig sind. Außerdem liebe ich es zu singen.

Sie erweisen sich in Ihren Songs als Fürsprecher Europas, kritisieren den Umgang mit Technologie und Promikultur.
In meinen Songs steckt immer ein Element der Selbstermächtigung. Ich thematisiere, dass wir alle ständig eine Zielscheibe von Marketingkräften sind – Buswerbung, Plakatwände, TV-Spots. Alle wollen, dass wir einen neuen Flatscreen- Bildschirm kaufen, einen neuen Mantel, einen neuen Mac, ich soll mir einen Film anschauen, den ich nicht mag. Ich bin mir all dessen bewusst und sage: fuck you. Ich werde den Bildschirm nicht kaufen, denn ich weiß, dass ich das Ziel eurer Attacken bin.

Sie scheinen wütend zu sein.

Es ist cool, das Richtige richtig zu sagen. Für mich ist das wie Vive la Resistance im Kopf. Und du musst kein 40-jähriger Intellektueller sein, um die Gesetze des Marktes zu erkennen. Junge Leute sind die besten Entlarver der Scheinheiligkeit in unserer Gesellschaft. Natürlich kaufen auch sie sich Handys und Computer, aber sie können den Mist erkennen. In meinen Songs will ich nicht jemand sein, der sich beklagt. Sich zu beklagen ist die niedrigste Form von Energie, es drückt dich runter. Und ich möchte, dass meine Songs voller Energie sind. Sie sind uptempo und sagen: Freu dich über das Leben und klage nur auf die Weise, die dich selber gut und stark fühlen lässt.

Macht Ihnen da der 18-jährige Songwriter Jake Bugg Mut, der gerade durchstartet?
Der ist gut, und ich mag ihn, genau wie früher Alex Turner von den Arctic Monkeys, der war auch sehr gut. Aber wenn ich neue britische Musik höre, werde ich zu oft an Vertrautes erinnert, es sind immer dieselben musikalischen Einflüsse, immer werden dieselben Aspekte der Rockkultur aufgegriffen. Die Gesellschaft möchte ich schon gespiegelt bekommen, aber in der Musik will man ja zur Abwechslung auch mal in eine anderen Welt entfliehen.

Johnny Marr: „The Messenger“ ist bei Warner Music erschienen.

Christine Heise

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