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Immer grimmig, muffig, wütend – aber stark. Johnny Ramone mit Begleiterin. Foto: Lynn McAfee/www.fotex.de

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Johnny-Ramone-Autobiografie "Commando": Punkrock ist Arbeit

Acht Jahre nach dem Tod des Gitarristen Johnny Ramone erscheint seine Autobiografie „Commando“. „Wir haben alle unsere Grenze, und ich habe die meine ein wenig früher erreicht“, sagt Johnny Ramone am Ende. Doch bezüglich seines Nachruhms ist eine Grenze bislang noch nicht in Sicht.

Als John Cummings alias Johnny Ramone sein Leben aufzuschreiben begann, hat er sich vermutlich im Spätstadium seiner 1997 diagnostizierten Prostatakrebserkrankung befunden. „Der Krebs hat meinem Selbstbewusstsein einen Schlag versetzt“, heißt es in seiner Autobiografie „Commando“. Die hat der Freund und Ramones-Nachlassverwalter John Cafiero nun knapp acht Jahre nach Johnny Ramones Tod am 15. September 2004 fertiggestellt und ediert, im Geist und im Sinn des Ramones-Gitarristen, wie Cafiero in einem Nachwort betont, ohne die eigenen Schreibanteile genau zu benennen. „Ich habe so hart gekämpft, wie ich konnte. Dachte, am Ende würde ich gewinnen, denn ich hasse es zu verlieren. (...) Ich war gerne wütend. Es gab mir Energie und ein Gefühl der Stärke.“

Gerade einmal ein Jahr vor seiner Diagnose hatten Johnny Ramone und die anderen drei Bandmitglieder die Ramones aufgelöst. Nach einer über zwanzigjährigen Karriere, nach genau 2263 Liveauftritten, nach 14 Alben – aber noch lange bevor die Gruppe 2002 in die „Rock’n’Roll Hall Of Fame“ aufgenommen oder Johnny Ramone vom „Rolling Stone“ als sechzehntbester Gitarrist aller Zeiten ausgezeichnet werden sollten.

Einleitend lässt Cafiero Johnny Ramone seine ewige, leidenschaftliche Wut als primäre Charaktereigenschaft und als Antrieb anführen. Tatsächlich lacht Johnny Ramone auf den vielen Fotos des Buches fast nie. Diese Ernsthaftigkeit, ja Grimmigkeit zeichnet die Haltung aus, mit der die Ramones ihren Punkrock spielten. Und das bevor Punk die Popkultur erobern sollte, von England ausgehend, mit den Sex Pistols, The Clash und anderen.

Die Ramones hatten sich vorher schon gegründet, unter dem Einfluss von einer Glamrockband wie den New York Dolls und von Protopunkbands wie MC 5 und den Stooges. „Bei uns gab es keine Blues- Einflüsse, keine Gitarrensoli, nichts was einem Song im Weg stand“, so Johnny Ramone. Wenn man will, kann man so eine Aussage dahingehend interpretieren, dass die Ramones sich bewusst als Gegenmodell zu dem in den Siebzigern dominierenden Bombast-und Prog-Rock inszenierten. Und dass die Wut ihres Gitarristen Ausdruck seines Unmuts über herrschende gesellschaftliche Verhältnisse, war – von wegen Kapitalismus, Vietnamkriegsfolgen etc.

Doch dem war laut „Commando“ mitnichten so. „Hundert Prozent Arbeiterklasse“ seien seine Eltern gewesen, sagt Johnny Ramone, das Einzelkind. Der Vater war ein „waschechter Ire“, die Mutter polnisch-ukrainischer Abstammung, beide streb- und arbeitsam, bis sie es von Brooklyn über Long Island in die besseren Viertel von Queens geschafft hatten. Nach der Schule gerät Johnny Ramone auf die schiefe Bahn, beginnt zu trinken, eifert dann aber seinem erst als Kneipier und später auf dem Bau tätigen Vater nach und wird selbst Bauarbeiter: „Morgens zog ich meine Bauarbeiter-Klamotten an und abends stylte ich mich, um die Dolls zu sehen.“ Als er arbeitslos wird, gründet er mit Freunden die Ramones. Allein 1974 tritt die Band schon 25mal im legendären New Yorker Club „CBGB’s“ auf, ihr erstes Album erscheint im Frühjahr 1976, mit dem unverwüstlichen „Blitzkrieg Bop“ als Eröffnungsstück.

Es geht den Ramones in ihren Anfängen schon auch um Images, darum cool zu sein, sich abzugrenzen. Sie brauchten ihre Zeit, bis sie ihren Antiglamrockstyle mit den Lederjacken, Jeans und Turnschuhen gefunden hatten. Noch mehr aber achtet das Arbeiterklassenkind Johnny Ramone darauf, nicht zu spät zu Auftritten zu kommen, keine Konzerte ausfallen zu lassen, gut zu sein, besser zu werden, endlich einen Hit zu landen (was den Ramones nie gelang) und damit Geld zu verdienen.

Es dominiert das Ethos der Arbeit. Geradezu sprechend sind in dieser Hinsicht die Auszüge aus dem Kalender des Musikers im Anhang. Penibel sind hier jeder Auftritt und jeder Termin eingetragen. Immer wieder kommt er auf seine „Million“ zu sprechen, die er verdienen will und schließlich auch auf der Bank hat. Johnny Ramone lebt den amerikanischen Traum, nicht die Revolte. Er liebt Amerika (und kommt bei seinen ersten Europa-Touren überhaupt nicht klar), die Pop- und Fastfoodkultur seiner Heimat, „gute amerikanische Autos“ wie den Cadillac oder den Camaro. Er ist ein Anhänger der Republikanischen Partei, von Richard Nixon und Ronald Reagan. Da verwundert es auch nicht weiter, dass er sich einmal unverblümt für die Todesstrafe ausspricht: „Ich bin der Meinung, Hinrichtungen sollten im Fernsehen übertragen werden“. Oder er sich fragt, warum die US-Army Vietnam seinerzeit „nicht einfach von der Landkarte gebombt“ hat.

Soviel zur politischen Correctness einer der legendärsten Punkrockbands aller Zeiten. Wenngleich es nicht zuletzt solcher Ansichten wegen immer wieder Streit innerhalb der Band gab, insbesondere mit dem Sänger und Hippie-Freund Joey Ramone. Die eigene Karriere und die seiner Band wiederum muss Johnny Ramone nüchtern betrachtet haben. Zum Beispiel findet er die Ramones-Alben der späten achtziger und neunziger Jahre bis auf ihr letztes „Adios Amigos“ alle eher durchwachsen bis schlecht. Oder er gibt Einsichten wie diese zum Besten: „Jede Band wird, wenn sie ehrlich ist, bestätigen, dass Rock and Roll eine Sache für junge Männer ist. Wenn man zu lange dabei bleibt, hagelt es Strafen.“

Der Ruhm, zu dem die Ramones gerade in ihren letzten Jahren kommen, verwundert ihn: Auftritte bei Lollapalooza oder vor Zehntausenden von Fans in Südamerika, die Tatsache, dass die Platten sich besser denn je verkaufen, dass er selbst durch Tantiemen und Merchandising mehr Geld verdient als zu seiner aktiven Zeit. „Vielleicht wird man wirklich erst geliebt, wenn man tot ist“, fällt ihm zu diesem Paradoxon seiner Karriere ein. Obwohl man nicht weiß, ob ihm da nun John Cafiero nachträglich die Feder geführt hat. Was natürlich ein Manko dieser Autobiografie ist, die man wohl mehr als eine von John Cafiero geschriebene Biografie mit Johnny Ramone als Ich-Erzähler bezeichnen muss. Aber eben auch als eine sehr lesenswerte. Johnny Ramones Persönlichkeit und Charakter kommen wirklich zum Vorschein; und von Vorteil ist auch der Verzicht auf die soundsovielte Anekdote aus dem Tourleben oder intensive Beschreibung von Studiosessions, die Biografien und Autobiografien von Rockmusikern sonst füllen und so langweilig machen. „Commando" liest sich so wie ein kurzes, knackiges Ramones-Stück klingt.

„Wir haben alle unsere Grenze, und ich habe die meine ein wenig früher erreicht“, sagt Johnny Ramone am Ende. Doch bezüglich seines Nachruhms ist eine Grenze bislang noch nicht in Sicht. Der Retromanie der Popkultur sei Dank.

Commando. Die Autobiografie von Johnny Ramone. Herausgegeben. von John Cafiero. In Zusammenarbeit mit Steve Miller und Henry Rollins. Aus dem Amerikanischen von Gunter Blank und Simone Salitter. Tropen bei Klett Cotta, Stuttgart 2012. 196 Seiten., 19,95 €.

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