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Kultur: Jon Fosse: Fjord ist Mord

Es regnet. Jon Fosse genießt es.

Es regnet. Jon Fosse genießt es. "I like it wet" - er mag es nass, innen wie außen. Draußen strömt der Regen, im Pub strömt das Bier. Jon Fosse ist der seit Ibsen meistgespielte norwegische Theaterautor. In seinen stillen, eher trostlosen Stücken, die kürzlich ihren Siegeszug um die Welt angetreten haben, bis hin nach Japan und dem Iran, regnet es ständig. War man in Bergen, weiß man, warum. Bergen ist die regenreichste Stadt Norwegens. Und die zweitgrößte nach Oslo, diesen Platz erreicht sie mühelos mit nur 215 000 Einwohnern. Norwegens Fläche ist groß, die Einwohnerzahl gering. 4,4, Millionen können sich verteilen auf über 320 000 Quadratmeter, Täler, Berge, Fjorde, eine endlose, gewaltig zerklüftete Küstenlinie. Geht man in gerader Linie vom südlichsten Punkt Norwegens, Lindesnes, bis zu seinem nördlichsten, dem Nordkap, ist es genauso weit wie von Lindesnes nach Rom.

Bergen, die stolze kleine Stadt mit großer Vergangenheit, einst königliche Residenz und Mittelpunkt des Handels im Norden, war letztes Jahr Kulturhauptstadt Europas. Es regnet und regnet, doch die Hotels sind ausgebucht, und Schirme kann man an jeder Ecke aus dem Automaten ziehen - ungelogen! Bergen, "das Tor zu den Fjorden", ist das Salzburg des Nordens, touristenüberflutet. Es gibt eine beachtliche Museumsmeile mit einer Fülle wertvoller Gemälde. Natürlich viel von Edward Munch, erstaunlicherweise aber auch von Klee und Picasso. Es gibt schmucke Holzhäuser, einen Fischmarkt mit sündhaft teuren Fischbrötchen, und jedes Jahr im Frühsommer locken Bergens Internationale Festspiele. Der Komponist Edvard Grieg wurde hier geboren, Henrik Ibsen hat hier sechs Jahre gelebt und als Dramaturg am Theater gearbeitet.

Und jetzt lebt und arbeitet Jon Fosse hier. Sein erstes Theaterstück wurde 1994 an dem wunderschönen Jugendstiltheater in Bergen uraufgeführt. Auf deutsch hat Schaubühnenchef Thomas Ostermeier als erster ein Stück von Jon Fosse inszeniert: "Der Name", im Mai letzten Jahres als Koproduktion mit den Salzburger Festpielen. Es folgten Fosse-Aufführungen in Zürich, Bremen, Hamburg und Düsseldorf, ein wahrer Fosse-Boom setzte ein an Deutschlands Theatern, nachdem seine Stücke neben Norwegen besonders in Osteuropa und Frankreich schon lange hoch geschätzt wurden. Am 17. Oktober übernimmt wiederum die Berliner Schaubühne die deutsche Erstaufführung eines neuen Stücks, "Traum im Herbst", dicht gefolgt vom Burgtheater Wien und den Münchner Kammerspielen. Fosse ist an der Spitze angelangt.

Trifft man Jon Fosse in Bergen, ist davon nichts zu merken. Er sieht aus wie ein Bohemien aus dem vergangenen Jahrhundert, ist bescheiden, freundlich und hat viel Zeit, um durch seine vertrauten Kneipen und Lokale zu ziehen, Bier und Whisky zu trinken, zu rauchen und zu reden. Jon Fosse ist Schriftsteller aus Berufung. Als Junge spielte er wie besessen Gitarre, übte und übte und ging dann zum Schreiben über, mit ähnlich körperlichem Einsatz. Sprache behandeln wie Musik - um den Sound geht es ihm, um Verstehen durchs Gefühl, um Rhythmus und Form. Er schrieb Gedichte, er schrieb Romane, er schrieb Kinderbücher, er bekam Auszeichnungen, doch Einkommen und Publikumserfolg blieben eher gering. Als er kaum noch Geld hatte, nahm er endlich eins der wiederholten Angebote an, für das Theater zu schreiben. "Man bot mir sehr viel Geld für ein paar Seiten, den Anfang des Stückes und eine Idee für den Rest. Zum ersten Mal in meinem Leben versuchte ich, ein Stück zu schreiben, und es war ganz erstaunlich. Ich schrieb ziemlich schnell, und zwar nicht nur den Anfang, sondern gleich das ganze Stück". Fosse hatte seine Form gefunden.

"Ich bin von Natur aus Minimalist - als Romanautor Minimalist zu sein, ist allerdings etwas schwierig. Theater dagegen ist von sich aus eher minimalistisch. Man kann es zwar groß und aufwändig machen, aber eigentlich schreibt man für einen begrenzten Raum und eine begrenzte Zeit über eine begrenzte Anzahl von Personen." Fosses Stücke wie "Der Name" (1995) "Das Kind" (1996) oder "Die Nacht singt ihre Lieder" (1997) sind tatsächlich sehr reduziert, wenige Personen, die wenig sagen, wenig Ortswechsel. Geschichten, die klein genug sind, um universell, allgemeingültig zu werden. Deshalb werden sie offenbar auch auf der ganzen Welt verstanden. "Beim Schreiben geht es eigentlich immer um Liebe und Tod" meint Fosse. Biografische Details, diese ganze "bourgeoise Dimension", interessiert ihn nicht, er ist unablässig auf der Suche nach der perfekten Form: "Es war erstaunlich, plötzlich habe ich etwas erreicht, was ich mit meinen Romanen und Gedichten lange versucht hatte. Bei einem Theaterstück geht das ganz einfach. Man kann so viel weglassen, man kann die Stille benutzen, die Pausen, und sehr konzentriert schreiben, die perfekte Form finden, alles passt in richtiger Weise zusammen."

Jon Fosses Englisch ist fließend, und er liebt die deutsche Sprache. Besonders Georg Trakl hat ihn beeinflusst, auch Rilke, später Thomas Bernhard. Fosse ist besessen von Sprache. Liest er eines seiner Gedichte vor oder aus seinem neuen Roman, klingt es wie Musik, ein betörender Rhythmus zieht den Zuhörer unausweichlich in seinen Bann. Ja, Jon Fosse hat jetzt doch wieder einen Roman geschrieben, äußerst wortgewaltig, und er behauptet, gerade durch Wortmassen würde seine geliebte Stille hergestellt. Das Unsagbare, verborgen hinter einem Wutschwall von Worten. Der in allen Feuilletons hochgelobte Roman "Melancholie" (verlegt bei Kindler) ist eine Annäherung an den norwegischen Landschaftmaler Lars Hertervig, ein Künstlerroman. Hertervig, ein entfernter Verwandter von Fosse, lebte von 1830 bis 1902 in der Gegend von Stavanger, studierte Malerei in Düsseldorf und malte unglaublich schöne, stimmungsvolle Landschafts- und Wolkenbilder. Er wurde früh für verrückt erklärt, kam in eine Anstalt, floh jedoch und hörte nie auf zu malen. Erst nach seinem Tod wurde seine künstlerische Bedeutung erkannt.

Jon Fosse liebt die Bilder Hertervigs, er liebt dessen unabdingbare Hingabe an die Kunst. "Hertervig versucht, das Wesen der Seele in seinen Bildern zu zeigen, das innere Licht. Ich glaube, seine Vorstellung war es, dieses Licht zu malen, um es weiterzugeben, um ein sehr tiefes Geheimnis, eine verborgene Weisheit mitzuteilen. Seine stummen Bilder sprechen mit gewaltiger Stimme." Ein fast mystischer Glaube an etwas Unaussprechliches, nur über Gefühle Mitzuteilendes, man könnte wagen zu sagen, der Glaube an das Göttliche in der Kunst scheint Jon Fosse genauso anzutreiben wie einst den Maler Lars Hertervig. Jon Fosse ist Anfang vierzig und lebt mit seiner Familie in einem schön geschnittenen, unaufwändigen dunkelroten Holzhaus aus den dreißiger Jahren etwas außerhalb von Bergen. Seine Familie: Seine zweite Frau, eine kürzlich eingeschulte Tochter, eine voriges Jahr im Herbst geborene Tochter und ein erwachsener Sohn aus erster Ehe. Meist sind die Schwiegereltern auch da. Zum Schreiben zieht er sich zurück in seine "hytte" aufs Land, ein einfaches dunkelbraunes Holzhaus, selbst ausgebaut, mit einer winzigen Dachkammer, dort schreibt er mit rasender Geschwindigkeit auf seinem Super-Laptop, raucht und raucht und blickt hinunter auf den Fjord. Geht es nicht weiter, setzt er sein Holzboot aufs Wasser, fischt und träumt, lässt Norwegens gewaltige Natur auf sich wirken.

Jon Fosse ist scheu, ein wenig wild, in seinem Gesicht arbeitet es unaufhörlich - ein rasender Denker. Er selbst bezeichnet sich als Anarchist, der alles Normale hasst, aber eine gewisse Routine als Rahmen seiner künstlerischen Freiheit braucht. Sein Erfolg hat ihn eher noch scheuer gemacht, er geht nie zu Premieren, ist am liebsten mit seiner Familie und Feunden zusammen und lebt weiter wie zuvor: "Ich habe sehr jung angefangen zu schreiben, und das Schreiben an sich, die einsame Arbeit, bedeutet mir sehr viel. Was die Welt über mich sagt, ist nicht so besonders wichtig für mich. In einer Saison ist man ein Star, in der nächsten interessiert sich niemand für dich. Ich bleibe ruhig. Für einen Mann, der ein paar Kinder hat, ist ein gewisser Erfolg natürlich gut, weil ich jetzt etwas Geld verdiene. Und natürlich bin ich sehr glücklich über jede Inszenierung. So viele Leute beschäftigen sich mit einem Text, den ich geschrieben habe! Figuren, eine Geschichte, vielleicht sogar so etwas wie Weisheit - ein kleines Universum ist plötzlich da, das es vorher nicht gab."

Ulrike Kahle

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