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Kultur: Joschka Fischer: Belastend

Studien werden bekanntlich nicht von heute auf morgen geschrieben. Nichts anderes gilt für den Bericht des "American Institute for Contemporary German Studies" (AICGS) über die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA.

Studien werden bekanntlich nicht von heute auf morgen geschrieben. Nichts anderes gilt für den Bericht des "American Institute for Contemporary German Studies" (AICGS) über die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. Fünf Monate lang haben die Verfasser, die alle renommierte Deutschland-Experten sind, ausführliche Gespräche in Berlin und Washington geführt. Das Ergebnis: Die Beziehung ist auf drei Politik-Feldern besonders starken Belastungen ausgesetzt: der Umwelt, der Sicherheit und der Alltagskultur. Natürlich sagt die Studie mit keinem Wort etwas über die aktuelle Beziehung zum deutschen Außenminister. Und schon gar nicht, ob sie aufgrund der Schwierigkeiten Fischers im eigenen Land belastet ist. Nun ist die Studie kein Indiz dafür, ob den Amerikanern die heimatlichen Probleme Fischers egal sind, auch wenn er am heutigen Montag für drei Tage seinen ersten Besuch bei der neuen US-Administration in Washington beginnt. Bisher indes interessierten die Vorwürfe gegen ihn in Deutschland das offizielle Amerika höchstens am Rande.

Fast ebensosehr wie eine Person, die immer anständig durchs Leben geht, schätzen Amerikaner einen geläuterten Menschen. Das Motiv der Umkehr, der Bekehrung, der Besserung zieht sich durch viele Bücher, Western, Hollywood-Filme und ist außerordentlich positiv besetzt. Der jetzige Präsident George W. Bush war lange Zeit ein ausgesprochener Hallodri, dann wandte er sich Gott zu, entsagte dem Alkohol und machte was aus seinem Leben. Das Sich-Wandeln-Können eines Menschen ist eine ur-amerikanische Idee. Sie hängt zum einen mit dem Christentum zusammen, zum anderen mit der Tatsache, dass die USA eine lange Einwanderer-Tradition haben. Die Botschaft lautet stets: Ganz gleich, woher du kommst und was du früher angestellt haben magst - hier zählt nur die Gegenwart.

Auch aus diesem Grund ist Joschka Fischer in den USA beliebt. Über die Kontroverse, die in Deutschland wegen seiner Vergangenheit ausgebrochen ist, wird zumeist nachrichtlich und über seine Person wohlwollend berichtet. Selbst nachdem der "Stern" die Fotos veröffentlichte, auf denen zu sehen ist, wie Fischer 1973 einen Polizisten verprügelte, brach die Sympathie nicht ab. Die "New York Times" stellte sich in einem längeren Kommentar demonstrativ auf die Seite des deutschen Außenministers.

"Fischer ist Deutschlands beliebtester Politiker und ein Schlüsselarchitekt des europäischen Integrationsprozesses", heißt es. "Er ist ein starker Verfechter der Notwendigkeit, dass auch weiterhin amerikanische Truppen in Europa stationiert sind. Aus moralischen Gründen hat er sich dafür ausgesprochen, deutsche Soldaten ins Kosovo zu entsenden." Auf seinem langen Weg entwickelte er sich aus einem Linksradikalen, der die Überwindung des Kapitalismus forderte, zu Deutschlands führendem Diplomaten. "Dass sich ein Frankfurter Hitzkopf mit der spießigen Bundesrepublik versöhnt, müsste die Deutschen eigentlich trösten und inspirieren." Selbst konservative Politiker würden schließlich anerkennen, dass die Aktivitäten der 68er Generation eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, die Bundesrepublik zu demokratisieren und die Gesellschaft zur Anerkennung der Nazi-Vergangenheit zu bringen. "Der deutsche Außenminister hat Beeindruckendes geleistet. Er sollte seinem Land auch in Zukunft dienen dürfen."

Joschka Fischer wird die Beziehungen zu den USA also nicht belasten. Deshalb kann er sich ganz auf die politischen Themen konzentrieren, die das Washingtoner Institut für die bilateralen Beziehungen für klärenswert hält. Zum Beispiel den Umweltschutz.

Die Einstellungen beider Länder zu Umweltfragen und zum Klimaschutz sind geprägt von tiefen inhaltlichen und kulturellen Unterschieden, heißt es in der 20-seitigen Studie. Im Unterschied zu den Amerikanern "haben die Deutschen ein sehr hohes Maß an Umweltbewusstsein". Das wird in den kommenden zwei Jahren bei mehreren Anlässen deutlich werden, etwa im Jahre 2002 bei der internationalen Umweltschutzkonferenz in Südafrika sowie bei den weiteren Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll.

Die Auseinandersetzungen darüber werden vermutlich sogar eskalieren, weil die Bush-Regierung die Energieproduktion offenbar wichtiger nimmt als den Umweltschutz. Außerdem wollen die Deutschen mit der Ökologie nicht nur die Politik verändern, sondern auch den Lebensstil der Menschen. Das wiederum wird von Amerikanern als Anmaßung kritisiert.

Das zweite Konfliktfeld ist nach Auffassung der Autoren die Sicherheitspolitik. Über kein Thema sind Deutsche und Amerikaner derzeit so zerstritten wie über die US-Pläne für den Aufbau eines begrenzten Raketenabwehrschirmes (NMD). Die Europäer müssen jedoch verstehen, dass diese Pläne von fast allen Amerikanern, ob Republikanern oder Demokraten, gut geheißen werden. In Washington greift die Besorgnis um sich, dass die Deutschen unfähig sind, sich auf neue militärische Bedrohungen einzustellen. In Berlin dagegen befürchtet man, dass die Amerikaner bereit sind, aufgrund ihrer Technologiegläubigkeit das System der Waffenkontrollverträge einseitig aufzukündigen. Das NMD-Projekt, schreiben die Verfasser, ist von "zentraler Bedeutung" und berge "das Potenzial für ernsthafte politische Auseinandersetzungen in sich".

Adressat ist die Bush-Regierung

Die Alltagskultur ist das dritte große Konfliktfeld. Als Beispiele nennen die Autoren die Einstellungen zur Todesstrafe und zum Waffenbesitz auf der einen Seite, zur Religionsfreiheit (Stichwort: Scientology) und zum Datenschutz auf der anderen. Als signifikantes Ereignis wird gewertet, dass die Bundesrepublik vor kurzem die USA erstmals vor dem Internationalen Menschengerichtshof in Den Haag verklagt hat - wegen zweier Deutscher, die in Arizona hingerichtet worden waren. Ein tragendes Element des deutsch-amerikanischen Dialogs bleibt außerdem der Holocaust (Stichwort: Entschädigung).

Der Adressat der Studie ist die neue Bush-Administration. Sie muss verstehen, "dass die europäisch-amerikanische Partnerschaft eine zentrale Bedeutung hat für die politischen, ökonomischen und strategischen Interessen der USA". Deutschland kommt darin eine Schlüsselposition zu. Das Deutschland von heute unterscheidet sich allerdings gewaltig von dem Deutschland, das der Vater von George W. Bush vor zehn Jahren als Präsident kennengelernt hat. "Eine neue Generation von Politikern ist jetzt an der Macht, deren emotionale Bindungen zu den Vereinigten Staaten geringer ist."

Die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder betont stärker die eigenen und europäischen Interessen als die Kohl-Regierung und fühlt weniger eine Dankesschuld wegen der US-Hilfe im Kalten Krieg. Dennoch bleibt Deutschland für die USA eines der wichtigsten außenpolitischen Partnerländer.

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