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Kultur: Joschka-Fischer-Debatte: CDU fordert Clintons Rücktritt

Da die Gedächtnisse immer kürzer und die rechthaberischen Räsonnements immer länger werden, ein Blick zurück auf 1992: Der Gouverneur von Arkansas, Bill Clinton, bewarb sich um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat. Presse und Republikanische Partei hielten ihm vor, nicht nur nicht in Vietnam gekämpft, sondern auch noch Proteste gegen den Vietnamkrieg im Ausland organisiert zu haben, etwa 1968 in London.

Da die Gedächtnisse immer kürzer und die rechthaberischen Räsonnements immer länger werden, ein Blick zurück auf 1992: Der Gouverneur von Arkansas, Bill Clinton, bewarb sich um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat. Presse und Republikanische Partei hielten ihm vor, nicht nur nicht in Vietnam gekämpft, sondern auch noch Proteste gegen den Vietnamkrieg im Ausland organisiert zu haben, etwa 1968 in London. Da sei es sogar zu Ausschreitungen gekommen. Clinton bestätigte das - und wurde trotzdem zum Präsidenten gewählt.

In den USA ist die politische und publizistische Öffentlichkeit offenbar reifer als hier zu Lande. Da hat man verstanden, wie traumatisch die sechziger und siebziger Jahre für die Nation gewesen sind. Das Land war gespalten, für jede Seite gab es subjektiv respektable Gründe. Und nicht nur geläuterte Haudegen wie der ehemalige Verteidigungsminister McNamara haben später bestätigt, dass die so genannten Linken das Pech hatten, in vielem Recht gehabt zu haben (eher instinktiv als in ihren Parolen).

Die alte Bundesrepublik war leider nicht gespalten, zumindest nicht in dieser Hinsicht. Hier ging es immer nur um Minderheiten von Minderheiten von Minderheiten gegen die Mehrheit. Auch deshalb fehlen uns heute Gelassenheit und der verstehende, zweiäugige Blick. Die Konflikte, damals gegen den Widerstand einer Mehrheit das Richtige und Gerechte zu tun, erreichten oft die Dimension eines Dramas - mit den bekannten Verirrungen.

Fünf Vorschläge zur verschärfenden Entschärfung der Debatte im Entwicklungsland Deutschland

1. Ein kluger Mensch sollte Bettina Röhl klarmachen, dass sie ganz ähnlich argumentiert wie ihre Mutter - nur mit umgekehrten Vorzeichen. Im Ton der Tochter steckt das gleiche verachtende, hochmütige, fanatische Pathos der Spätphase der Ulrike Meinhof. Diese war, nebenbei, eine glänzende Stilistin, was man von der Tochter leider nicht sagen kann. Aber im wortreichen Gestus der innerstaatlichen Feind- und Schweinerklärung sind beide auf einer Linie. Ich wünsche Frau Röhl eine produktivere Trauerarbeit als das Vertauschen der Plus- und Minus-Pole.

2. Fakten müssen auf den Tisch. Debatten über die jüngste Geschichte können nur gut tun, wenn sie Debatten sind und nicht Denunziationen. Es scheint aber ein beliebtes Gesellschaftsspiel zu werden, sich heute auf den Feldherrnhügeln der Laptops über einen behelmten und tretenden Demonstranten des Jahres 1973 zu erregen und zu erheben. Die schreckliche gewaltsame Atmosphäre jener Jahre zu verschweigen und, nur ein polemisches Beispiel, die Befürworter der Gewalt wie die Mehrheit der Christdemokraten, etwa im Fall Chile, zu vergessen - so weit sollte die fröhliche Verletzung journalistischer Sorgfaltspflichten vielleicht doch nicht gehen.

3. Die Christlich Demagogische Union braucht ein Erfolgserlebnis: Sie könnte den sofortigen Rücktritt des Präsidenten der USA, Bill Clinton, fordern, weil er unter dem Namen William Jefferson Clinton im Herbst 1968 zu einer Demonstration in London aufgerufen hat, bei der am Ende Steine gegen das Hilton Hotel am Hyde Park geworfen wurden. Merz sollte ein Ultimatum von sechs Tagen stellen.

4. Jede kocht ihr, jeder kocht sein Süppchen. Jeder ist Partei. Auch ich, aber wer hilft mir zum Rücktritt? Einer der Londoner Steine kam von mir. Dass er nicht getroffen hat, mein einziger Demonstrationsstein, entschuldigt nichts - keine Scheibe des Hotels zerbrach, Polizisten hielten britisch vornehm Abstand. Ich erwarte nun trotzdem sehnsüchtig die Forderung nach dem Rücktritt von meinen drei Ehrenämtern. Wer möchte zum Beispiel den Vorsitz des Kuratoriums des Literaturhauses Berlin e. V. übernehmen?

5. Allen Eiferern von Rechts und Links und der Mitte sei die Dialektik oder wenigstens die Weisheit des einstigen obersten Terrorismus-Bekämpfers Horst Herold empfohlen, der über den RAF-Häuptling Andreas Baader den Satz fallen ließ: "Ich habe ihn geliebt." Alles weitere über die neurotische Liebe der Deutschen zu ihren Gewalttätern ist in der Literatur zu finden.

Der in Berlin lebende Schriftsteller F. C. Delius

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