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Kultur: Jossi Avni: Der Garten der toten Bäume: Mamme, wozu eine Frau? - Auf der Suche nach dem schwulen Märchenprinzen

Ein junger Mann sitzt in einem Schwulencafé im Berliner Bezirk Tiergarten und schreibt einen Brief an die lieben Verwandten zuhause in Israel. Mama will wieder einmal wissen, wann ihr Junge endlich heiraten wird, und Papa fragt: "Wieso denn schon wieder Deutschland?

Ein junger Mann sitzt in einem Schwulencafé im Berliner Bezirk Tiergarten und schreibt einen Brief an die lieben Verwandten zuhause in Israel. Mama will wieder einmal wissen, wann ihr Junge endlich heiraten wird, und Papa fragt: "Wieso denn schon wieder Deutschland? Was suchst du denn da? Blondinen? Bring für mich auch eine mit". Nein, auf Blondinen hat es Jossi nicht abgesehen; sein Sinn steht eher nach blonden, blauäugigen Burschen. Doch die finden nach der ersten gemeinsamen Nacht meist eine Ausrede, warum man sich nicht wieder treffen kann. Oder sie erklären, wie der Münchner Architekturstudent Andreas, nach einigen Wochen, jetzt seien seine Semesterferien leider zu Ende, und am nächsten Tag komme sein Freund Paul zurück. Auch in den Kreuzberger Clubs bleibt die Suche nach dem Märchenprinzen erfolglos. Doch als Jossi seinen Brief beendet hat, sieht er am Nebentisch einen dunkelhaarigen jungen Mann in einem hebräischen Buch lesen. Die Situation ist paradox: Da war er aus der Enge der Heimat in die Schwulenmetropole Berlin geflüchtet - um jetzt einen israelischen Landsmann anzumachen.

Wie schön sind die Soldaten

Jossi Avni liebt es, seinen Geschichten solche Wendungen zu geben. "Der Garten der toten Bäume" ist eigentlich eine Sammlung von Kurzgeschichten. Auf den ersten Blick handelt es sich um abgeschlossene Erzählungen; doch bei genauerem Hinsehen entdeckt man lockere Zusammenhänge. Es gibt Figuren, die immer wieder auftauchen, und Themen, die ständig neu durchgespielt werden. Aus kleinen Mosaiksteinchen entsteht so das Portrait der jungen Generation im heutigen Israel. Die Kompositionstechnik erinnert an Ingo Schulzes "Simple Storys", ans Prinzip der short cuts. Wie bei Schulze bleiben auch die Biografien von Avnis Protagonisten fragmentarisch.

Jossi Avni, 1962 als Sohn von Einwanderern aus Afghanistan und dem Iran in Israel geboren, studierte Geschichte und Rechtswissenschaften und arbeitete danach für kurze Zeit als Rechtsanwalt in Tel Aviv. Ein mehrjähriger Deutschlandaufenthalt schloss sich an. "Der Garten der toten Bäume", 1996 in Israel erschienen, ist sein erstes Buch, dem 1998 der Roman "Vier Söhne" folgte. Die deutsche Ausgabe seines Erstlings war beim Jüdischen Verlag von Suhrkamp angekündigt worden, wird aber jetzt vom kleinen Hamburger Schwulenverlag MännerschwarmSkript publiziert.

Avnis Geschichten beschreiben das Lebensgefühl der israelischen Generation X, und zwar aus der Perspektive eines homosexuellen Außenseiters. Die Themen der zionistischen Gründergeneration haben für diese jungen Israelis ihre Bedeutung verloren. Weder die Erinnerung an den Holocaust noch die Ideale der zionistischen Pioniere prägen mehr ihre alltägliche Lebenserfahrung. Die Soldaten der israelischen Armee etwa werden von Avnis Romanfiguren nicht als heroische Landesverteidiger wahrgenommen, sondern als - leider oft unerreichbare - Objekte der Begierde angeschmachtet. Und der Kibbuz ist in ihren Kindheitserinnerungen kein Ort sozialistischer Utopien, sondern der Schauplatz früher sexueller Erlebnisse. Im Internat greift die Erzieherin bei ihrer abendlichen Runde den schlafenden Jungen zwischen die Beine und prüft genießerisch deren anschwellende Glieder; oder die Jungs schleichen nachts unter die Dusche, um ihren Trieben gemeinsam Erleichterung zu verschaffen.

Internat, Armee, Universität, Park, Auslandsreise: das sind die klassischen Orte für schwule Begegnungen - auch in Avnis Buch. In Tel Aviv, so erfahren wir, existiert eine homosexuelle Subkultur. In den Szeneclubs warten immer dieselben Boys. In den Kontaktanzeigen der Zeitungen suchen "angenehme und sensible Jungen, einsam und nach einer tiefen Beziehung hungernd", nach einem Liebhaber und machen sich "sogar die Mühe, Größen und Zentimeter anzugeben, um die Tiefe zu betonen". Schließlich gibt es noch den Park am Meer, den "Garten der toten Bäume" als Jagdrevier.

Doch dieselben jungen Männer, die Nacht für Nacht die schwule Szene von Tel Aviv durchstreifen, fahren zum Schabbat jeden Freitagabend brav heim zur "Mamme", werden dort mit kulinarischen Köstlichkeiten vollgestopft und mit der obligatorischen Frage nach der baldigen Heirat konfrontiert. Jossi muss erleben, wie einige seiner Liebhaber diesen Spagat zwischen Familienwerten und postmodernem Lebensstil nicht durchhalten und sich in eine Ehe flüchten.

Avnis Buch spannt einen Bogen von Kindheitserinnerungen an das Leben auf dem Land bis zur urbanen Melancholie der Singles in Tel Aviv oder Berlin. Es verleiht der klassischen Geschichte der homosexuellen Identitätsfindung durch seinen spezifisch israelischen Lokalkolorit eine exotische Note, erzählt von Männerfreundschaften unter sengender Wüstensonne, verführt den Leser mit allen Wohlgerüchen des Orients und lässt ihn die atemberaubende Schönheit der männlichen Jugend des Landes erahnen. Nur dort, wo Avni den Bereich der eigenen Erfahrung verlässt und etwa die Perspektive einer Palästinenserin einnimmt oder einen jungen Israeli auf Spurensuche ins Polen seiner Vorfahren schickt, vermag er nicht recht zu überzeugen.

Der Himmel trauert

Sonst aber verbindet sich in seinen Geschichten ein humoristisch-distanzierter Erzählton mit lyrischen Stimmungsbildern, die an den Jugendstil von George, Hofmannsthal oder Maeterlinck erinnern. Sätze wie "Anfang September kam plötzlich der Herbst, vertiefte die Trauer des Himmels und biss mit blutzerfressenen Zähnen in die Blätter der Baumwipfel" oder "Hinter den Plätzen, den Tauben und Springbrunnen gibt es ein Haus, es hat ein Fenster, und an dieses Fenster presst gerade ein schöner, trauriger Junge seine Wange, und er wartet auf mich" überziehen Avnis Texte trotz all ihres Realismus mit einer Schicht des Unwirklichen. Eine "gesunde und vernebelte Fantasie auf dem Papier" sei oft besser "als zwei erbärmliche Begegnungen zwischen Bettlaken", bekennt denn auch der Erzähler. Stefan Georges "totgesagter Park" und Jossi Avnis "Garten der toten Bäume" liegen auf der Landkarte der Poesie gar nicht so weit auseinander.

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