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Am Ufer der Spree. Auch die legendäre Bar 25 ist jetzt zum literarischen Objekt geworden.

© Anja Lehmann / VISUM

Ju Innerhofes Roman "Die Bar": Bar 25: Paradies hinterm Bretterzaun

Irgendwann muss jede Party mal ein Ende haben. Die Bar 25 wurde 2010 geschlossen. Jetzt hat Ju Innerhofer ihr Requiem auf den legendären Ort am Berliner Spreeufer vorgelegt.

Als im September 2010 die am Spreeufer in Berlin-Mitte gelegene Bar 25 ihre mitunter schwer zu passierende Tür endgültig schließen musste, zeigten sich darüber nicht nur Clubgänger und insbesondere das Stammpublikum zutiefst traurig. Die Bar 25 war längst ein wichtiger Wirtschafts- und Imagefaktor für die Hauptstadt geworden, neben dem Berghain ein in die ganze Welt strahlender Leuchtturm des Berliner Clublebens mit weit über hundert Angestellten und Stargästen wie Quentin Tarantino. Um das Grundstück hatte es zuvor ein über zwei Jahre dauerndes Gerangel zwischen der BSR, der es gehörte, den Betreibern der Bar, potenziellen Investoren und nicht zuletzt der Berliner Politik gegeben.

Die aus Südtirol stammende Journalistin und Medizinerin Judith Innerhofer konnte damals ihre Trauer immerhin in einem mit „Die Tränke der einsamen Herzen“ überschriebenen Nachruf in der „Welt am Sonntag“ kundtun. Was bewies, dass sie die Bar 25 mehr als nur flüchtig kannte: „Man wollte bleiben an diesem Ort, der einem so wunderbar vorgaukelte, dass alles gut ist und das Leben ein einziges Fest“, schrieb sie darin. Oder: „Maßlosigkeit war in der Bar nicht nur bei den Gästen, sondern auch bei der Dekoration das Maß aller Dinge.“

Das Buch erschien erst nach juristischer Prüfung

Abgeschlossen schien ihre Trauerarbeit damit nicht zu sein. Mit „Die Bar“ legt sie nun unter dem Namen Ju Innerhofer eine gut 200 Seiten fassende Erzählung vor, laut Cover „die Geschichte eines Sommers in einem berühmt-berüchtigten Club in Berlin“. Die Veröffentlichung muss sich hingezogen haben: „Nach langer juristischer Prüfung“ könne das Buch nun erscheinen, jubelte der Verlag, als er im Juni erste Exemplare verschickte. Das weist darauf hin, dass Innerhofer bei ihren zu einer Fiktion ausgebauten Erinnerungen zu nahe an der Wirklichkeit war, sich mancher Bar-25-Stammgast womöglich in den Schilderungen Innerhofers wiedererkennen kann.

Zur Sicherheit weist die Autorin eingangs auf die Fiktionalität ihrer Erzählung hin. „Insbesondere bei der Bar“ handele es sich explizit um keine Beschreibung eines real existierenden Ortes. So grenzt bei ihr die Bar an einen See, nun denn. Trotzdem gibt es hier alles, was sofort an den Technojahrmarkt Bar 25 denken lässt, was ihn so besonders und schön bunt und märchenwelthaft und leider auch hippiesk gemacht hat: neben Imbissbude, Schaukel und Wellnessbereich „ein Zirkuszelt mit Freiluftkino, einfache Holzhütten, in denen man übernachten kann, eine riesige Rutsche, eine Manege mit aufgefülltem Sand und ein übliches Clubaccessoire: einen Fotoautomaten, von dem wohl fast jeder Gast zwei oder drei Bildstreifen zu Hause liegen hat. Man fühlt sich so wohl hier, dass man die Momente, die Nächte, unbedingt festhalten will.“

Die eigentliche Hauptfigur ist die Bar

Am Ufer der Spree. Auch die legendäre Bar 25 ist jetzt zum literarischen Objekt geworden.
Am Ufer der Spree. Auch die legendäre Bar 25 ist jetzt zum literarischen Objekt geworden.

© Anja Lehmann / VISUM

Auch Innerhofer versucht in ihrer Erzählung, diese besonderen Momente festzuhalten: die Magie, die einen Ort wie diesen ausgemacht hat. Die letzten Sonntage geben die Kapitelunterteilungen und den Rhythmus vor. An diesen Sonntagen, da in allen anderen Clubs Schicht war, aber nicht in der Bar 25, wo es oft bis Montagmittag ging, muss Mia, Innerhofers Icherzählerin und Alter Ego, in der Bar arbeiten: an der sogenannten Backstagebar, Getränke ausgeben. Mia ist promovierte Medizinerin, aber noch nicht bereit fürs Ärztinnendasein: „Scheiß auf nine to five. Ich hatte mich entschlossen, mich noch ein Jahr treiben zu lassen.“ Sie ist neu in Berlin, zieht durchs Nachtleben und bleibt in „der Bar“ hängen – so wie der für das Booking der Bar verantwortliche Viktor, mit dem Mia zusammenwohnt und auf Facebook verheiratet ist. Und wie ihr bester Freund Jan, ein 40 Jahre alter Architekt, der als DJ arbeitet und, wie sich bald herausstellt, an einem Glioblastom erkrankt ist, einem unheilbaren Hirntumor. Zu diesem Hauptpersonal gesellen sich andere Bar-Besucher, all die Sebastians, Katharinas oder Georgs, die Innerhofer kurz porträtiert, ohne dass sie nun eine echte Geschichte erzählen würde: Die eigentliche Hauptfigur ist die Bar, deren Innenleben.

Die Bar ist die Parallelwelt, die zur Entgrenzung einlädt, auch zur sexuellen, wofür nicht zuletzt Drogen zuständig sind. Aber selbst diese Welt ist organisiert, Entgrenzung hin oder her. Innerhofer erzählt, wie die Abläufe in der Bar funktionieren, was Schichtleiter, Thekenpersonal, Runner, Selektoren, Türsteher und DJs alles so tun. Und wie sich im Lauf der Zeit eine Zweiklassengesellschaft herausbildet: hier die Bar-Stars, die DJs, das Personal, das mitfeiert, die Leute mit Bändchen, Clubmarken und Tralala. Und dort die Durchschnittsbesucher, die oft nicht an den Türstehern vorbeikommen.

Der Roman passt gut in die Reihe der vielen Berlin-Techno-Clubleben-Erinnerungsbücher

Immer wieder beschreibt Mia das „Drinnen“ im Gegensatz zu draußen, zur Realität, selbst wenn beide Welten zuweilen gar nicht so unterschiedlich sind: „Hier wird man manchmal von Leuten aufgefangen, von denen man es am wenigsten erwartet. Und genauso wird man von Leuten fallen gelassen, von denen man es am wenigsten erwartet. Etwas, das vor und hinter dem Bretterzaun exakt gleich ist.“ Und immer wieder liegt die Betonung in diesem Buch auf dem „Hier und Jetzt“, der Feier der Gegenwart, dem puren Dasein, dem Drogen- und Musiklebenzackzackzack. Das hat in seinen besten Momenten etwas von Rainald Goetz’ Erzählung „Rave“, erinnert passagenweise an Airens Berghain-Roman „Strobo“ und ist in schlechteren Momenten etwas staksig geraten. Gerade wenn Innerhofer die Medizinerin herauskehrt und Mia mal eben schnell besagtes Glioblastom diagnostizieren lässt. Oder sie sich zu sehr an die Realität hält und ins Allgemeine abdriftet: „Es gibt im Berliner Leben so einige, die nicht nur Alkohol konsumieren. Die meisten kombinieren ihn mit anderen Drogen. Es gibt Drogen, bei denen der zusätzliche Konsum von Alkohol extrem gefährlich ist. Wie zum Beispiel bei GHB, auch Liquid Ecstasy genannt.“ So passt „Die Bar“ nicht zuletzt gut in die Reihe der vielen Berlin-Techno-Clubleben-Erinnerungsbücher von Tobias Rapps „Lost and Sound“ (woraus Innerhofer einmal zitiert) über Felix Denks und Sven von Thülens „Der Klang der Familie“ bis hin zu Ulrich Gutmairs „Die ersten Tage von Berlin“: keine Atempause, Club-Geschichte wird geschrieben, es geht zurück!

Am Ende von „Die Bar“, das versteht sich, ist die Party vorbei und das gute alte Westbam-Motto „We’ll never stop living this way“ nur eine Illusion. Ob nun das Kater Holzig (der Nachfolger der Bar 25 gleich um die Ecke) oder das „urbane Dorf“, das die Betreiber demnächst an gleicher Stelle errichten wollen und dürfen: So schön wie in der Bar 25 wird es nie wieder. Es bleibt die Erinnerung – und dieses Buch.

Ju Innerhofer: Die Bar. Erzählung. Metrolit Verlag, Berlin 2013. 220 S., 16,99 €.

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