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Kultur: Juan Uslé und Roxy Paine: Ein Bild in einem Atemzug

Der Vergleich mit dem Haiku trifft das Wesen der Bilder von Juan Uslé nicht ganz exakt. Dennoch könnte das japanische Kurzgedicht ein Schlüssel zum Werk des Spaniers sein.

Der Vergleich mit dem Haiku trifft das Wesen der Bilder von Juan Uslé nicht ganz exakt. Dennoch könnte das japanische Kurzgedicht ein Schlüssel zum Werk des Spaniers sein. Wie im Haiku, der in der Länge eines Atemzuges eine Art Bild in der Sprache wiederholt, so hält auch Uslé mit der Fotokamera Bilder fest, die den Sinn ignorieren, ohne ihn dabei zu verneinen. Ein Motiv ist für Uslé zunächst ein Bild, das sich anbot, fotografiert zu werden. Doch seltsamerweise ähnelt die bei Thomas Schulte gezeigte Auswahl auffällig den Malereien des Spaniers, die an gleicher Stelle vor drei Jahren zu sehen waren. Denn Uslé ist auch ein abstrakter Maler. Sein bevorzugtes Motiv sind Streifen, die manchmal wie Schraffuren, mal wie Gitter oder textile Gewebe wirken. Genau diese Formen finden sich nun auch in Uslés großformatigen Farbfotos (je 6000 Dollar) wieder, wobei man nicht immer genau sagen kann, was die Kamera eigentlich abgebildet hat. Sind es Stoffstreifen, Holzlamellen oder der prismatisch aufgesplitterte Blick auf eine Glasfassade? Auch das vom Streiflicht modellierte Rautenmuster scheint jene Referenz an ein reales Vorbild verloren zu haben und ganz im Abstrakten aufgehen zu wollen. Es geht also um Formen, nicht um Widerspiegelungen, auch dann, wenn man die fotografierte Szene als Abbildung eines Holzlamellenrollos mit dessen beschwingtem Schatten im aufgewühlten Sand beschreiben kann. Gleiches gilt für die sich zwischen Gelb, Grün und Weiß bewegenden Reflexionen einer Wasserfläche, dessen Aufnahmeformat Uslé um 90 Grad gedreht hat, so dass die amorphen Formen von ihrem natürlichen Ursprung noch weiter entfernt werden.

Trotzdem mag die Kategorisierung von Uslé als abstraktem Fotografen in die Irre führen, zumal Uslés "realistische" Fotos von Menschen und wie beiläufig aufgenommenen Alltagsszenen in der aktuellen Ausstellung ausgeblendet werden. Das ist schade, denn man würde Uslés fotografische Praktik besser verstehen. Fotografie ist für Uslé nicht die Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln, sondern die Aufzeichnung von Momenten, von Konstellationen, die ein Bild ergeben. Und hierin, in der Absehung von einem mimetischen Motiv, in der Überlassung an die Form, treffen Malerei und Fotografie bei Uslé zusammen. Es geht nicht um die Bedeutung der Formen, sondern um deren Wirkung als Bild, das einen trifft oder eben kalt lässt, ohne dass der Verstand wüsste, warum das so ist. Roland Barthes beschrieb diese Betroffenheit durch die Form als "punctum", und was Uslé im Foto vorstellt, ist das Zeugnis dieser "Punktierung". Nur ein Bild könnte man sagen, aber eines das wie im Haiku am Sinn vorbei etwas - ganz allgemein gesprochen - über das Verhältnis zwischen Mensch und Welt berichtet.

Auch bei Roxy Paine, dem zweiten Künstler in der Ausstellung, ist das Verhältnis zur Natur als der uns umgebenden Welt durch die besondere Form vermittelt. Auch hier gibt es die Vorstellung, die Welt könne in uns eindringen. Das kann man fast buchstäblich verstehen. Was wir wahrnehmen, dringt durch die Sinne in uns ein, und was wir essen, zeigt bestimmte Wirkungen auf den Organismus. Diese banale Feststellung wird besonders deutlich, wenn es um Gifte oder Drogen geht. Paine beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Schlafmohn, giftigem Efeu (Poison Ivy) und halluzinogenen Pilzen. Was der New Yorker im Kabinettraum der Galerie in täuschend echter Nachbildung aufgebaut hat, kommt in seiner Potenz einer Massenvernichtungswaffe gleich. Ein ganzes Feld der äußerst giftigen Fliegenpilze (55 000 Dollar) wächst hier auf dem Parkett. In niedriger Dosierung könne man mit solchen Pilzen wohl ganze Heerscharen high machen. Die potentielle Wirkungskraft der roten Kappen, wären sie nur echt, ist wohl der Grund dafür, warum Paine sich die Pilze für seine Installation ausgesucht hat. Sie sind nicht nur hübsch bunt anzusehen, sondern verkörpern das Versprechen auf eine natürliche Kraft, die andere Kunstwerke schwerlich erreichen könnten. Selbstverständlich handelt es sich bei dem toxischen Potential um eine eingebildete Wirkung - schließlich bestehen die Pilze aus Plastik. Dennoch spielt sie bei der Rezeption mit, liefert sie doch den ideellen Kontext, ohne den kein Kunstwerk als solches existiert.

Ronald Berg

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