zum Hauptinhalt

Jubiläum: 20 Jahre Musical-Ausbildung an der UdK

Persönlichkeiten, keine Klone: Seit 20 Jahren werden in Berlin Musical-Darsteller ausgebildet. Aus theaterverrückten Jugendlichen werden authentische Darstellerpersönlichkeiten geformt.

So viel Energie. So viel Leidenschaft. Überschießend in alle Richtungen. Keine Spur von Schüchternheit, nur dieser unbezwingbare Drang auf die Bühne. Energie, die kanalisiert werden muss. Leidenschaft, die geregelte Bahnen braucht. Damit Kunst daraus werden kann.

Seit nunmehr 20 Jahren versuchen die Musical-Professoren der Universität der Künste, genau dies zu tun: aus theaterverrückten Jugendlichen authentische Darstellerpersönlichkeiten zu formen. Nicht mit dem unerbittlichen Drill des Londoner Westends oder des Broadway. Sondern indem die vielseitig Begabten gezielt gefördert, gefordert werden. Bei Dieter Bohlen kann man in drei Monaten Superstar werden. In Berlin dauert die Ausbildung vier Jahre. Dafür springt dann aber auch nicht nur ein Lebensabschnitt als C-Promi heraus.

Das Trauma selbst des erfolgreichsten Musical-Profis sind die drei Seelen in seiner Brust: Er ist Tänzer, aber nicht nur, er kann schauspielern und auch singen. Gerade darum – so scheint es ihm zumindest – nehmen ihn die reinen Zünfte nicht richtig ernst, weder das Sprech- noch das Musiktheater und schon gar nicht das Ballett. Weil er nichts ausschließlich kann. Dabei macht ihn seine Flexibilität eigentlich unschlagbar. Wer je erlebt hat, wie die Teilnehmer des Bundeswettbewerbs Gesang in den 15 Minuten, die ihnen zur Verfügung stehen, erst einen Monolog mit anschließendem Showstopper servieren, sich dann in Sekundenschnelle umziehen – und umstellen –, um eine heiße Step-Nummer hinzulegen, und am Ende noch bei einer Ballade ihre Herz aufreißen, wahlweise auf oder unter dem Flügel liegend, wer also je dabei war, wenn die angehenden Musical-Profis ihr stilistisches Portfolio aufblättern, der ist der Faszination dieses Berufsstands verfallen.

Man muss die reibungslos abschnurrenden Dauerbrennerproduktionen nicht mögen, mit denen der Quasi-Monopolist „Stage Entertainment“ das Land überzieht, von „Dirty Dancing“ über „König der Löwen“ bis „Mamma Mia“, um sich vor den Menschen zu verneigen, die hier darum kämpfen, selbst die 800. Vorstellung noch so frisch wirken zu lassen wie den Premierenabend. Unterhaltungskunst ist schön, darf man Karl Valentins Bonmot ruhig erweitern, macht aber noch mehr Arbeit als die sogenannte ernste Kunst. Das Schwere ergreift schneller, direkter als das Leichte. Wenn beim Entertainment das Timing nicht stimmt, fällt die ganze Chose in sich zusammen wie ein missratenes Salzburger Nockerl.

„Bitte noch mal auf Position!“, ruft Peter Kock ins Mikrofon auf dem Regietisch, „wir müssen die Bewegungen wirklich passgenau auf den Rhythmus kriegen. Und denkt dran, nicht in der Spannung nachzulassen.“ Im Theatersaal der UdK an der Fasanenstraße proben Nadine, André und Walesca, Angela, Nikolas, Rupert, Valerija, Christian, Andrea und Nicky für die szenische Collage, die jeweils am Ende des zweiten Studienjahrs steht. Der beigefarbene Sisal-Bodenbelag des Parketts ist mit dem Schweiß derer getränkt, die hier um Ausdruck ringen. Jedenfalls riecht es hier so. Drei Monate Probenzeit haben die Studierenden, um die Show auf die Beine zu stellen, die ihr Schauspiel-Prof ihnen auf die beweglichen Leiber geschrieben hat. „Die Herausforderung besteht darin, über 90 Minuten hinweg eine Persönlichkeit aus sich selbst heraus zu entwickeln“, erklärt Kock. Die zehn Nachwuchstalente schonen sich wahrlich nicht, um den Stücktitel „Cool Age“ zu rechtfertigen, zeigen weder Scheu, mit heruntergelassenen Hosen dazustehen, wenn sich der Vorhang hebt, noch Texte zu sprechen, deren Abdruck sich in der Zeitung verbietet. Schließlich gilt es auch, sich mit der hausinternen Konkurrenz zu messen – den Kommilitonen des Abschlussjahrgangs, die zeitgleich an der Neuköllner Oper in dem Peter-Lund-Musical „Leben ohne Chris“ über die Bühne wirbeln werden.

„Ja“, sagt Lund, der zusammen mit Peter Kock den Studiengang leitet, „Lena Meyer-Landrut ist genau der Typ, den wir uns bei den Aufnahmeprüfungen wünschen.“ Ob die Gesangskünste der deutschen Grand-Prix-Teilnehmerin in Oslo ausreichen werden, um die Schlagerkonkurrenz abzuhängen, ist fraglich – für eine Musical-Karriere aber bringt die 18-Jährige die ideale Mischung aus Talentvielfalt und Selbstdarstellungsdrang mit. Leider sind die Lenas bei den Bewerberrunden immer in der Minderheit. „Diesmal hatten wir 330 Anmeldungen statt der sonst üblichen 180“, seufzt Lund. „Die Bohlen-Welle ist jetzt auch bei uns angekommen.“

Den Sprung an die UdK haben schließlich zwölf Kandidaten geschafft. Die werden in acht Semestern unter der Anleitung von acht Professoren nicht nur praktisch wie theoretisch in die Musical-Geschichte eingeführt, sondern ebenso auch mit Tschechow-Dramen, Operette, Akrobatik, Chanson und Gesellschaftstanz traktiert. „Auf den Überbau legen wir deshalb so viel Wert, weil in Musicals meistens nur junge Rollen zu vergeben sind“, erklärt Peter Lund. „Wir wollen aber auch dafür sorgen, dass unsere Absolventen später im Charakterfach am Theater arbeiten oder eigene Solo-Programme präsentieren können.“ Und noch etwas ist wichtig: dass die Studierenden möglichst viel auf Deutsch singen. Das unterscheidet den Berliner Studiengang von den Hochschulen in München, Essen, Hamburg, Leipzig und Wien. „Was in der Muttersprache ausgedrückt wird, geht tiefer, beim Publikum wie bei den Interpreten“, findet Pianist Adam Benzwi, der musikalische Leiter des Studiengangs. „Da kann man sich nicht hinter dem Englischen verstecken, da muss mit barer Münze bezahlt werden.“

„Leben ohne Chris“ ab 6. Mai in der Neuköllner Oper, „Cool Age“ ab 7. Mai im Unit, Fasanenstraße. Am 28./29. Mai findet ein Symposium zu „Remigranten im unterhaltenden Musiktheater der fünfziger Jahre“ in der UdK statt. Weitere Infos: www.udk-berlin.de/musical-show

Zur Startseite