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Jubiläum: Die Weltkinomacher

Produktion, Verleih und legendäre Heimat für Autorenfilmer: Die Frankfurter Pandora wird 30 Jahre alt. Ein Treffen mit den Gründern Reinhard Brundig und Karl Baumgartner

Pandora hat bekanntlich keinen guten Ruf, aus ihrer Büchse quillt alles Übel der Welt. Wer die aktuelle Projekteliste der Pandora Filmproduktion liest, kann sich zum Glück über das Gegenteil freuen. Da finden sich der neue Jim Jarmusch mit Tilda Swinton, Leos Carax’ „Holy Motors“, Ari Folmans („Waltz with Bashir“) Adaption von Stanislaw Lems „Futurologischem Kongress“ und „Cut“ von Fatih Akin, Drehstart voraussichtlich 2013.

„Wir dachten eher an den Film von G. W. Pabst, den mochten wir“, erinnert sich Reinhard Brundig, der Pandora vor 30 Jahren gemeinsam mit Karl Baumgartner in Frankfurt am Main gründete und bis heute mit ihm leitet. 30 Jahre Pandora, das sind 30 Jahre Filmverleih und -produktion, 30 Jahre Weltkino-Leidenschaft, 30 Jahre Wagemut und Überlebenskampf. Also der ganz normale Wahnsinn des unabhängigen Filmemachens, einschließlich enger Freundschaften mit Regisseuren wie Jim Jarmusch, Aki Kaurismäki und Emir Kusturica. Das Jubiläum wird am 4. Mai mit großem Fest und Retrospektive in Köln gefeiert, dem heutigen Sitz der Firma.

Angefangen hat es beim jährlichen Familientreffen des deutschen Films, auf den Hofer Filmtagen. Brundig und „Baumi“, wie alle ihn nennen, betreiben die Harmonie, das erste Frankfurter Programmkino, sehen in Hof Clemens Klopfensteins „Eine Nachtlang Feuerland“ und verleihen ihn kurzerhand, mit 10 000 Mark und zwei 16-Millimeter-Kopien. Man verdient Geld mit Jobs und dem Kino, das Büro kommt in der Harmonie unter. Es ist die goldene Zeit des Autorenfilms. 20 000 Zuschauer sehen den Klopfenstein-Film, der kleine Gewinn genügt, um Filme wie „Yol – Der Weg“ von Yilmaz Güney zu verleihen, der in Cannes die Goldene Palme gewinnt. Oder „Nostalghia“ von Andrej Tarkowskij.

„Wir Programmkinomacher fuhren selbst auf die Festivals und luden die Regisseure nach Frankfurt ein“, erläutert Baumgartner im Berliner Büro der Tochterfirma Pola Pandora in Prenzlauer Berg. „Es gab eine große Nähe zu ihnen.“ Zum Beispiel zu Jim Jarmusch. Für dessen No-Budget-Film „Stranger than Paradise“ spendiert Wim Wenders Filmmaterial, Baumgartner kümmert sich mit um die Finanzierung – der Anfang einer wunderbaren Freundschaft. „Down by Law“ (1986) bringt es dann schon auf 500 000 Zuschauer. „Damit hatten wir das Vertrauen der Kinos gewonnen“, so Baumgartner.

Auch mit Aki Kaurismäki, dessen „Schatten im Paradies“ sie in Cannes entdeckten, sind Baumgartner und Brundig befreundet. Für die Premierenfeier von „Le Havre“ in Cannes 2011 ließ Hobbywinzer Brundig (60) in seinem Languedoc-Weingut Domaine de Courbissac eigens einen Rotwein herstellen. „Unsere Arbeit ist wie die von Verlegern“, sagt Baumgartner, der sich mit seinen 63 Jahren einen jungenhaften, ansteckenden Enthusiasmus bewahrt hat. „Die Filmemacher wissen, dass Pandora sorgfältig mit ihren Werken umgeht, ordentlich abrechnet und selbst Fragen des Marketings mit ihnen abstimmt.“ Man bleibt seinen Autoren treu, die bleiben der Firma treu.

Der Augenblick des größten Erfolgs kommt mit dem zehnten Geburtstag, 1992 in Cannes. Die Goldene Palme geht ex aequo an zwei Pandora-Filme, Jane Campions „Piano“ und Chen Kaiges „Lebewohl, meine Konkubine“. Auch die Palme für den besten Kurzfilm können die Frankfurter mit Jarmuschs „Coffee and Cigarettes“ für sich verbuchen. Drei Palmes d’or in einem Jahr, das ist Rekord in der Festivalgeschichte. Und Pandora hat mit „Palmdora“ einen Spitznamen weg.

Dass die Firma Anfang der Neunziger in die Produktion einsteigt, ist nur die logische Konsequenz aus der Nähe zu den Filmemachern. Wobei gleich das erste große Projekt das größte Abenteuer wird: Die Arbeit an Emir Kusturicas „Underground“ dauert fünf Jahre. „Es waren meine Lehrjahre“, sagt Baumgartner. Das wilde Kriegsepos erforderte permanentes Katastrophenmanagement, vom Drehbuch über die Vielzahl der Darsteller bis zum Auftritt beißwütiger Tiere. Kusturica ist politisch umstritten – und Perfektionist: Das Budget schnellt von neun auf 16 Millionen Dollar. So weit die Hölle. Dann gibt es wieder die Goldene Palme in Cannes.

Was den Nationalisten Kusturica und dessen großserbische Träume betrifft, wehrt der 68er Baumgartner ab. Nein, Kusturica habe keine Partei nehmen wollen, die Lage sei verworren gewesen. Bei aller Kritik, auf den Künstler lässt er nichts kommen.

Mitte der Neunziger wird es eng. Viele mittelständische Verleiher können bei den überzogenen Preisen des Neuen Markts nicht mehr mitbieten. Dass Pandora überlebt, liegt an einer Kombination von Pragmatismus und Idealismus. Pragmatisch wird 1998 der Filmstock verkauft, weil auch die öffentlich-rechtlichen Sender immer weniger Filmkultur wollen. Kaum dass sich der Hype des Neuen Markts legt, nimmt der Verleih die Arbeit wieder auf, mit großem Idealismus – und Thomas Matlok als Ein-Mann-Betrieb. Es findet sich einfach kein anderer, der Kaurismäkis „Mann ohne Vergangenheit“ zu einem anständigen Preis erwerben will.

Heute verleiht Pandora nicht nur eigene Produktionen, von „Bella Martha“ über „Whale Rider“ bis „Le Havre“, sondern auch Autorenfilme von Andreas Dresen oder Hans-Christian Schmid. Weil die Zeiten vorbei sind, in denen sich kleinere Filme mit Geduld und Mundpropaganda an der Kinokasse durchsetzen ließen, und sich das Schicksal jedes Films am ersten Wochenende entscheidet, setzt auch Pandora mehr auf Marketing. Und ergänzt die Palette um ein DVD-Label.

Und die Produktion? Hat fünf bis sechs internationale Projekte gleichzeitig in der Pipeline. Was ohne Idealismus erst recht nicht denkbar ist, denn das Weltkino muss sich hierzulande mit einem Nischenplatz zwischen Hollywoodkino und deutschen Filmen bescheiden. Und natürlich blieb „Underground“ nicht die einzige Katastrophenproduktion. Zum Beispiel brach mitten im Dreh zur Tragikomödie „Luna Papa“ (1999) mit Moritz Bleibtreu in Tadschikistan ein Bürgerkrieg aus, später zerstörte auch noch ein Sturm das Set.

Zwar bricht der Markt für Koproduktionen gerade zusammen, in Asien genauso wie in Spanien oder Italien. Vorverkäufe gehen kaum noch, erläutern Brundig und Baumgartner. Die Laune lassen sie sich trotzdem nicht verderben, sie haben ja Übung im Meistern von Krisen. „Ich bin ungeduldiger geworden, gerate aber auch nicht mehr so schnell in Panik“, meint Baumgartner. Sei es bei den Drehs in Osteuropa, in Russland, Kolumbien, Peru, Chile, Indien, Japan oder Südafrika, sei es bei der internationalen Finanzierung in einer Zeit, in der alle ihr Geld lieber im eigenen Land ausgeben wollen.

Während Brundig eher den Innenminister der Firma verkörpert, fungiert der polyglotte, aus Tirol stammende Baumgartner als Außenminister. Zwei Drittel des Jahres ist er unterwegs. Die schönste Begegnung hatte er trotzdem zu Hause: „Tarkowskij im Palmengarten in Frankfurt, das war meine Sternstunde. Ich kann keine Tulpe von einer Rose unterscheiden, aber er kannte jede einzelne Pflanze beim Namen. Und er sagte zu mir: Baumi, du musst jeden Tag eine halbe Stunde ins Feuer oder ins Wasser schauen.“ Aber lieber reist Baumgartner durch die Welt und leistet sich den altmodischen Luxus des persönlichen Gesprächs mit „seinen“ Regisseuren. Wenn er erst Feuer gefangen hat, ist Pandora nicht mehr zu bremsen.

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