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Erzählsüchtig mit irakischen Wurzeln. Die Berlinerin Maha Alusi.

© Doris Klaas

Jüdische Kulturtage: How to be a Mensch

Die Jüdischen Kulturtage bringen die beiden Erzählerinnen Maha Alusi und Peninnah Schram zusammen.

In eine Familie von Geschichtenerzählern geboren zu werden, muss ein großes Glück sein. Sei es eine tiefgläubige jüdische Familie von Kantoren aus Connecticut, in die Peninnah Schram geboren wurde. Oder eine intellektuelle irakische Medizinerfamilie, die von einer auf der Insel Alus im Euphrat ansässigen Dynastie von spirituellen Heilern abstammt, wie es bei Maha Alusi der Fall war. Die beiden Frauen strahlen in ihren Erzählungen eine beneidenswerte Gelassenheit aus. Sie schöpfen aus einer in Generationen gewachsenen Fülle an Geschichten und Parabeln, die nicht nur an den begrenzten Erfahrungen und Erlebnissen des eigenen kurzen Menschenlebens hängt. Bei den am Donnerstag beginnenden Jüdischen Kulturtagen begegnen sich die beiden erstmals an einem Abend des jüdischen und arabischen Geschichtenerzählens.

„Storytelling“ ist einer der Schwerpunkte des Festivals, das auch in seiner 27. Ausgabe wieder Theater, Ausstellungen, Lesungen, die Lange Nacht der Synagogen und natürlich Konzerte vereint. Darunter – um nur ein paar zu nennen – die Aufführung des Oratoriums „Mose“ von Adolph Bernhard Marx durch die Sing-Akademie und den Staats- und Domchor (21. August), eine Paul-Celan-Hommage von Giora Feidman und Ben Becker (22. August) und das erste Deutschland-Konzert des Popstars Shlomo Artzi (25. August), der zu Hause in Israel ebenfalls ein die Generationen miteinander verbindender Geschichtenerzähler ist.

Der musikalisch untermalte Erzählabend „Back-to-Back and Face-to-Face“ von Schram und Alusi jedenfalls wird wohl eine ebenso anspruchsvolle wie unterhaltsame und vor allem wortreiche Angelegenheit. Peninnah Schram, die als Professorin des Stern College in New York lebt und „Speech and Drama“ unterrichtet, schickt als Antwort auf einige per Mail gestellte Fragen zur jüdischen Storytelling-Tradition ein Fuder Papier. Und der Deutsch-Irakerin Maha Alusi fließen die lebensklugen Sätze beim Treffen in Berlin nur so von den lächelnden Lippen.

Wortmächtig. Die New Yorkerin Peninnah Schram.
Wortmächtig. Die New Yorkerin Peninnah Schram.

© Clarence Thorne

Obwohl sie noch ein bisschen groggy von einer Reise ist, steht sie wild gestikulierend auf einem Hinterhof am Paul-Lincke-Ufer und zeigt ihr zukünftiges Atelier. Alusi kommt gerade aus Miami von einem Weltkongress. Oh, etwa dem der Geschichtenerzähler? Nein, schüttelt sie den Kopf, „vom Kongress der Kerzenmacher“. Alusi, die 1986 von Bagdad nach London zog, um dort Architektur zu studieren und seit 20 Jahren mit Familie in Berlin lebt, ist inzwischen im Hauptberuf Kerzendesignerin. Wobei Kerzenmachen für sie genauso Erzählen ist, wie für andere Menschen das Aneinanderreihen von Worten. „Alles was ich tue, ist eine Geschichte“, sagt sie. Oder auch: „Meine Obsession ist es, die Zeit abzubilden.“ Und: „Im Erzählen kann ich Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig malen.“

Das intoniert die rehäugige Erzählerin so salbungsvoll, dass man ob so viel morgenländischer Weisheit nur völlig geplättet nickt. Dabei will Alusi, die das Erzählen einfach lebt und sich selbst keinerlei theoretische Gedanken darüber macht, gar keine Scheherazade, keine Erzählerin von klassischen arabischen Volksmärchen sein. Natürlich stehe sie in der arabischen Erzähltradition, sagt sie, aber auf ihre Weise: „Ich erzähle meine eigene Geschichte.“ Das schließt ihren Großvater ein, von dem sie auf der Insel Alus das Erzählen lernte. Und die Großmutter, die im friedlichen Bagdad der sechziger und siebziger Jahre lebte. Aber keinerlei muslimische Positionen. „Religion ist wunderbar“, lächelt Alusi sibyllinisch, „und jede stimmt, eine falsche gibt es nicht.“

Peninnah Schram ist der Gegenentwurf zur intuitiven Erzählerin Alusi. Die Professorin lehrt Storytelling, reist damit um die ganze Welt, hat Tradition und Theorie jüdischen Erzählens bis tief in die Thora hinein erforscht und rund zehn Bücher darüber verfasst. Schram hält Gott für den ersten Geschichtenerzähler überhaupt. Und das Erzählen für die menschlichste Tätigkeit, die es gibt. „Die Stimme ist der Botschafter des Herzens“, sagt sie und erläutert in ihren Aufsätzen ausführlich, dass sich in der jüdischen Tradition alle wichtigen Menschheitsfragen im Erzählen stellen und durch das Erzählen beantworten lassen. „How to be a Mensch“, nennt sie diese Lektion in Herzenswissen, Werten und Moral, die sie selbst ab dem Alter von vier oder fünf Jahren in Connecticut von ihren noch ganz selbstverständlich Jiddisch sprechenden Eltern eingeimpft bekam.

Die Verbindung zwischen den mündlichen Erzähltraditionen von Juden und Arabern liegt schon geografisch auf der Hand, sagt Schram. Beide erzählen viele ähnliche Geschichten. Und so manche jüdische Erzählung hat es in die arabische Literatur geschafft. Auch in die „Geschichten aus 1001 Nacht“, in denen mündliche Überlieferungen aus der indischen, persischen und arabischen Kultur zusammengeflossen sind. Von den rund 400 Geschichten darin seien 45 jüdischen Ursprungs, weiß Schram. Ein schöner Beweis für das Wort als verbindende Kraft.

Peninnah Schram und Maha Alusi: Jüdisches Museum, 17. August, 21 Uhr. Tags darauf tritt Schram um 20 Uhr in der Synagoge Rykestraße mit einem Gitarristen auf. Die Jüdischen Kulturtage laufen vom 15. bis 25. August, das komplette Programm unter: www.juedische-kulturtage.org

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