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Jüdischen Kulturtage: Kreislers olympischer Schmäh

Das Hadern ist ja sein Metier. "Wie war das nur? Ich weiß nicht mehr": Georg Kreisler ist Stargast der Jüdischen Kulturtage.

„Werden Sie Schriftsteller!“, behauptet er. „Am Anfang macht es Spaß“. Meint er’s ernst? So lustig, wie das Publikum ihn gern hätte, ist er nicht. Er bezweifelt, „dass ich mir sympathisch wäre, wenn ich mich auf einer Cocktailparty träfe“. In die New Yorker Keller-Bühnen-Szene sei er als Sänger am Piano nach dem Zweiten Weltkrieg nur für den Broterwerb gegangen, hat er gesagt: Er sieht sich als Schriftsteller. Mit dem Kabarettisten- und Satiriker- und Liedermachertum, das ihn berühmt machte, hadert er.

Das Hadern ist ja sein Metier. Er will geliebt werden – und hadert mit mies gelaunten Kritikern. Er hadert mit den Orten, an die es ihn verschlagen hat: von Wien, wo er 1922 geboren wurde, nach Hollywood, nach New York, Berlin, wo man ihn angeblich missachtete, dann Salzburg, Basel … Als Autor hat er alle Genres durchexerziert: Lied und Lyrik, Satire, Kurzgeschichte, Theater, Oper, Roman, er beherrscht sie und hadert. Dass nicht alles zum Erfolg gerät. Er hadert mit Helmut Qualtinger: dem viel zu populistischen Ex-Brettl-Gefährten. Mit Karl Kraus: dem Wiener Kulturpapst von anno dazumal („Modeerscheinung“). Mit Richard Wagner („rational, berechnend, langweilig“). Er kann sehr komisch sein, wenn er mit dem Universum hadert.

Am Anfang – vor der 1938 erzwungenen Emigration – stand für ihn Arbeit mit Musiktheorie, Geige, Klavier. Dieser Tage kehrt er nach Berlin zurück, als Star der 24. Jüdischen Kulturtage. Schriftsteller zu sein, genügt Georg Kreisler nicht, Jude ist er auch. Zwei Bücher, Nr. 24 und 25 seiner Druckerzeugnisse, hat der 88-Jährige heuer rausgebracht.

Am 30. August erscheint „Anfänge“: ein Sammelsurium demonstrativ zerplatzender Pointen. Kreisler, der seit 2001 seine Lieder nicht mehr vorträgt, präsentiert nun statt eines Konzertes diese lustige Material-Kollektion. Der Entertainer brilliert als bissiger Scherzartikel-Conferencier, mit schwankender Qualität, banal und tiefgründelnd, als gebe er an der Varieté-Rampe auf Teufel komm raus den Stimmungsmacher. Die Witzform des Abgeschlossenen Romans bedient er genüsslich; in den abbrechenden Kritiken und Briefen, die ihn betreffen, spießt er Ressentiments und Plattitüden auf. In „Zehn Autoren beginnen ihre Autobiografie“ werden die Klischees von sicher zur Neurose führenden Umständen („Mein Vater war arbeitslos“; „Mein Vater war stinkreich“; „Im Alter von vier Jahren musste ich Geige lernen“) aufgereiht, bis Autor Nr. 10 erkennt, dass an seinem Klaps die Juden schuld sind, „die unser Jesuskind ans Kreuz geschlagen haben“.

Auch „Der Anfang eines Gesprächs mit Erich Kästner“ findet sich in diesem Buch. „Kästner schweigt“, vermerkt Kreisler wiederholt, zuletzt begründet der Kollege sein Verstummen: „Weil ich tot bin.“ Der nichts-sagende Sketch ist eine Hommage an den Geistesverwandten. Kreislers im Frühjahr 2010 erschienener Band „Zufällig in San Francisco. Unbeabsichtigte Gedichte“ enthält zahlreiche vierzeilige Strophen, die im Ton, bisweilen auch mit ihrer trockenen Moral Kästners neusachlicher „Gebrauchslyrik“ ähneln. Vor- und Zwischen- und Nachbemerkungen erläutern unter anderem, wie das Reimwerk zur disharmonischen Weltsicht des Verseschmieds passt. Die abgründige Geschmeidigkeit klassischer Kreisler-Chansons wird von diesen angestrengten Poesien und Blödeleien nicht erreicht, mit zwei Ausnahmen: „Erinnerung“, ein lapidares Krimi-Stenogramm („Wie war das nur? Ich weiß nicht mehr. Auf Rädern fuhr man hin und her“). Und „Der Tausendsassa“, ein lakonisches Big Brother-Porträt („Es gibt den Mann, der alle kennt / Man nennt ihn Menschenpräsident“). Außerdem beeindruckt „Der Komponist“ als tragikomisches Selbstbildnis: „Und so hat man, was man hat / und so ist man, was man ist / und so liest man es vom Blatt / und so wird man Komponist“. Den massiven Schlussstein bildet die viermalige Beschwörung: „Und was bleibt, ist die Musik.“

Er ärgere sich , weil er mit Chopin und Beethoven aus der Übung und als Pianist nicht mehr gut anzuhören sei, seufzte Kreisler 2009 im Tagesspiegel-Interview. Ohne Musik ist er vor allem der kämpfende Grantler, den sein Missvergnügen am „Kapitalismus“, am „System“, am „Regietheater“ zum apokalyptischen Rundumschlag, zur Weltvereinfachungs-Floskel inspiriert. Als der „Übertreibungskünstler“ (Eva Menasse) voriges Jahr mit dem Bewunderer Daniel Kehlmann auf einem Salzburger Podium saß, musste seine Musik als Konserve eingespielt werden. Eine traurige Vorstellung für jeden, der die elegante Vollkommenheit seiner Couplets, Moritaten und Balladen aus den Fünfzigern und Sechzigern als wahren Kern des Kreisler-Oeuvres in Ehren hält.

Ohne Musik steht im Vordergrund der Hadernde, dem sein Welterfolg „Tauben vergiften“ peinlich wurde, weil er diese Sorte Schwarzhumor mittlerweile als oberflächlich empfindet. Während Fans gerade so einen Kreisler immer wieder verlangen, seine Kritiker aber just an jenem Super-Hit Plagiatsvorwürfe festmachen, die der Beschuldigte nie entkräften konnte. Mit Musik hat er sich als Sänger-Pianist verewigt, im Olymp des untergründigen Entertainments, als Personifikation des jüdischen Schmäh. Seine giftigen Walzer, Intonation gutböser alter Zeit, transportieren seine bürgerlichen Katastrophen-Gesänge samt zwinkerndem Entsetzen. Wer ihn so nicht kennt, sondern nur seine Bücher, muss sich die „Nichtarischen Arien“ (1966) erst mal anhören. Chansons wie die skurrile Freundschafts-Tragödie „Der Witz“, die federleichte Militär-Verjuxung „Der General“ und die selbstironische Migranten-Skizze „Ich fühl mich nicht zuhaus“ zeigen den Künstler, der sein Judentum nie zur Masche machte, gerade im explizit jüdischen Kontext als stimmigen Könner, als souveränen Handwerker der komischen Melancholie, des galligen Gelächters.

Man sei immer einsam als Künstler, hat Kreisler mal gesagt. In 30-jähriger Ehe mit Barbara Peters fand er eine Partnerin, die selbst auf der Bühne nicht von seiner Seite weicht. Seine Projekte mit dem Chansonnier Tim Fischer, der klassische Kreisleriana kongenial reanimiert, erfüllten den Gekränkten, der meinte, schon vergessen zu werden, mit Genugtuung. Dass Georg Kreisler jedoch im Rahmen Jüdischer Kulturtage nun auf Oliver Polak als Podiumspartner trifft, könnte überraschen. Der 34-jährige Komödiant macht aus seinem Judentum eine Schoah-Business-Masche, inszeniert sich mit obszönen Gaskammer-Kalauern als Befreier des jüdisch-deutschen Humors. Greiser Großmeister contra Comedy-Jude – zwei Bürgerschreck-Konzepte prallen aufeinander. Am Ende macht das Spaß.

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