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Der Wüstensohn. Der Beduine Kamel Najer ist die Hauptfigur in Ami Livnes Film "Sharqiy".

© Promo

Jüdisches Filmfestival Berlin & Potsdam: Fluchtpunkt Absurdistan

Genau zwanzig Jahre ist das Jüdische Filmfestival Berlin und Potsdam alt. Zum Jubiläum attestiert es sich selbst „20 Jahre Filme ohne Klischees“. In diesem Jahr triumphieren bitter-süße Dokumentationen und es wird mit Vorurteilen aufgeräumt.

Soeben gingen in Berlin das Arabische Filmfestival und das Israel Film Festival zu Ende. Ersteres fand zum fünften Mal statt, letzteres zum zweiten Mal, beide liefen parallel. Damit der Zuschauer eine klare, parteiliche Entscheidung treffen muss? Egal wie: Nun hat das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam eröffnet, zum ersten Mal nicht im frühesten Frühsommer. Vielleicht will es den Anschluss an die beiden anderen nicht verlieren. Das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam wird genau 20 Jahre alt. War es denn nicht immer auch ein Israel-Festival? Und auch ein arabisches Filmfestival, schon weil man über das Israel von heute gar nicht anders sprechen kann als auch arabisch?

„20 Jahre Filme ohne Klischees“ attestiert es sich selbstbewusst zum Jubiläum. Und es hat recht. Das ist vor allem das Verdienst von Festival-Direktorin Nicola Galliner: Je absurder, je abwegiger eine Geschichte, desto lieber ist sie ihr. Das ist auch dieses Mal nicht anders. Man hat es bisher selten so gesehen, aber vielleicht liegt im Absurden der einzige Fluchtpunkt der Versöhnung, wenn diese längst aussichtslos scheint – gleich ob im mörderischen Gestern oder im friedlosen Heute. Das Absurde ist freiwillig eingestandene Schwäche bei gleichzeitigem Triumph des Intellekts. Es lässt alle Masken fallen, nur um sie gleich wieder aufzusetzen, es ist die versöhnliche Unversöhnlichkeit.

Nehmen wir die Dokumentarfilme, leicht die Stiefkinder eines Festivals: „Mein Name ist Assi Dayan. Ich bin 65 Jahre alt, wiege 130 Kilo, habe 80 Filme als Schauspieler gedreht, 16 als Regisseur … und habe drei Selbstmordversuche hinter mir.“ Vor allem aber habe er einen Vater mit nur einem Auge. So beginnt „Life as a Rumor“ von Adi Arbel und Moish Goldberg, zu dem Dayan das Drehbuch schrieb: über seinen toten Vater und sich. Wer aus Israel kommt oder alt genug ist, weiß sofort, wer der Mann mit der Augenklappe ist: Moshe Dayan, General und Verteidigungsminister, einer der Gründerväter Israels.

Rückhaltlose Selbstpreisgaben

Es ist durchaus demütigend, selbst nach drei Selbstmordversuchen noch immer der ewige Sohn zu sein. Vielleicht hätte er damals in jenem italienischen Film über den Sechstagekrieg nicht die Rolle seines Vaters spielen sollen? „Dayan, der Held des Sinai“. Er wusste, dass er oft nicht zuletzt wegen seines Namens besetzt wurde. So kam Assi Dayan bis nach Hollywood. Doch dann begann er, auf seine Weise die Verantwortung für seinen Namen zu übernehmen, und forderte seinen Vater öffentlich zum Rücktritt auf. Oder er drehte Nonsens-Komödien, Militärparodien, mit denen er Zuschauerrekorde brach.

„Life as a Rumor“ ist geradezu rückhaltlos in seiner Selbstpreisgabe, wie viele Porträts dieses Festivals. Söhne sprechen über sich und ihre Väter, Enkelinnen über sich und ihre Großmütter (Yael Reuvenys „Schnee von gestern“), und sogar Ehefrauen porträtieren ihre Ehemänner. Das beginnt dann so: „Ich wollte nie einen Film über meinen Mann machen. Erstens hatte ich keinen, zweitens wollte ich nie einen haben …“ „André Gregory: Before and after Dinner“ von Cindy Kleine ist seiner Form nach der vielleicht gewagteste Dokumentarfilm dieses Festivals.

Von der Dok- zur Mockumentary.

Auch André Gregory, der zu porträtierende Ehemann, ist wie Dayan Schauspieler und Regisseur, stand neben Harrison Ford, Tom Hanks oder Willem Dafoe vor der Kamera. Auch er hat ein Vaterproblem. Auch sein Vater war wie der einstige israelische Verteidigungsminister entsetzt über die Berufswahl seines Sohnes. Auch Gregory probte mit allem, was er tat, den Aufstand gegen seinen Vater. Nur aus einem anderen Grund: Vater Gregory hatte glatt vergessen, seinen Kindern zu erzählen, dass sie Juden sind. War er – so der Verdacht, der seinen Sohn nicht loslässt – gar Spion im Dienst Hitlers?

Oder nehmen wir Felix Tikotin. Kein Mensch vermutet ausgerechnet in Haifa ein Museum für Japanische Kunst. Felix Tikotin ist schuld. Nachdem der junge jüdische Soldat aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrte, fasste er zwei Entschlüsse. Erstens würde er nie mehr über diesen Krieg sprechen, und zweitens würde er ab sofort japanische Kunst sammeln: etwas, wofür sich damals außer ihm kein Mensch interessierte. Was für eine Geschäftsidee! Die Niederländerin Santje Kramer zeichnet das Lebensbild eines Mannes, der ganz und gar zu seinen Bedingungen lebte. Selbst das Dritte Reich unterstützte den Mann mit der ostjüdischen Herkunft dabei: Es rührte die Räume seiner Galerie am Kurfürstendamm nicht an, denn kann man japanischer heißen als Tikotin?

Edan Zeiras Mockumentary "Loneley Planet"

Es ist ein geläufiges Vorurteil zu glauben, Dokumentarfilme handeln grundsätzlich von etwas, das wirklich ist oder es zumindest war. Der junge israelische Regisseur Edan Zeira hingegen drehte mit „Lonely Planet“ einen Dokumentarfilm über ein fiktives Thema, ein „Mockumentary“ also: Ein Filmteam sucht in Sibirien den legendären Holocaust-Überlebenden Moishe „Mishka“ Zilberstein. Ebenfalls hart an der Grenze des guten Geschmacks und sie vorsätzlich übertretend, bewegt sich die israelische Fernsehserie „Arab Labor“, mittlerweile ein Klassiker des Festivals.

Oder auch „Kidon“ von Emmanuel Naccache: Vier Agenten des Mossad sollen in Dubai einen Führer der Hamas getötet; nur die Undercover-Einsatzgruppe „Kidon“ kommt infrage. Verhaftet werden schließlich der Fälscher Levi, der Bordellbesitzer Eric, der Hacker Facebook und die schöne Einav. Der Gegenentwurf zu „Kidon“ ist „Under the Same Sun“ des palästinensischen Regisseurs Sameh Zoabi. Auch ein Mockumentary. Es berichtet streng dokumentarisch aus der Zukunft, wie zwei Geschäftsleute den Frieden in Nahost stifteten. Über Facebook!

Dabei ist der polnische Schwerpunkt des Festivals noch gar nicht berührt. Er reicht von Pawel Pawlikowskis wunderbarer „Ida“ bis zu Wladyslaw Pasikowskis „Aftermath“, einem Spielfilm über das authentische Pogrom von Jedwabne 1941, der in Polen die Wellen der öffentlichen Meinung hochschlagen ließ.

Bis 13. April; im Filmkunst 66, im Arsenal und im Potsdamer Thalia. www.jffb.de

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