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Stumme Schreie. Menashe Kadishmans Installation „Schalechet“ (Gefallenes Laub) im Erdgeschoss des Jüdischen Museums.

© JMB/Jens Ziehe

Jüdisches Museum: Labyrinth der Erinnerung

Das Jüdische Museum Berlin wird zehn Jahre alt. Über sieben Millionen Besucher haben die Dauerausstellung in Daniel Libeskinds Zickzack-Bau gesehen. Jetzt expandiert das Museum wie nie zuvor.

Künftige Zeichendeuter könnte das doppelte Omen dieser heute so überwältigend erfolgreichen, zweimal gegründeten Institution noch beschäftigen. Die erste Eröffnung des Berliner Jüdischen Museums hatte am 24. Januar 1933 in der Oranienburger Straße 31 stattgefunden. Im Schatten der Machtübernahme Hitlers entwickelte es sich, getragen von der Jüdischen Gemeinde, bis zu seiner Schließung am 10. November 1938. „Das erste Jüdische Museum der Moderne, konzipiert als Museum jüdischer Kunst und Kultur für die deutsche Reichshauptstadt“ sei diese Einrichtung gewesen: heißt es in der am 10. September eröffneten Ausstellung des Centrum Judaicum. Dieses Museum habe damals fünf Jahre lang „eine Art Scheinblüte“ gezeigt, doch der bedrängten jüdischen Gemeinschaft „gleichermaßen Liebe zur Kunst wie Zuflucht geboten“.

Die Eröffnung des neuen Jüdischen Museums an der Kreuzberger Lindenstraße war geplant für den 11. September 2001, wurde wegen der Anschläge in New York verschoben. Dem geplatzten Start vorausgegangen war ein zwanzigjähriger erinnerungspolitischer Kulturkampf um den Ort, die Anbindung, das Gewicht und Inhalte eines solchen Unternehmens. Das alte Museum hatte seinerzeit die Formulierung jüdischer Identitäten auch über die Präsentation zeitgenössischer Kunst erstrebt; an der Frage, ob nun das neue Museum eher ethnologisch-religiös, stadthistorisch oder global auf Reflexe aus der Welt der Künste ausgerichtet sein solle, verkeilten sich die Interessen.

Die städtischen Verwaltungspläne, das Museum als Souterrain-Abteilung im Stadtmuseum „integrativ“ unterzubuttern, hatte der 1997 entlassene Gründungsdirektor Amnon Barzel zu stören gesucht. Doch Daniel Libeskinds Zickzack-Bau geriet so Mahnmal-ähnlich, dass eine Gesamtnutzung des Neubaus nicht mehr zu verweigern war. Michael Blumenthal schließlich als Direktor, starker Strippenzieher und begnadeter Fundraiser verschaffte dem Jüdischen Museum Berlin (JMB) „Autonomie“, den Status einer Bundes-Institution – für den Libeskindbau samt angrenzendem barocken Collegienhaus, das bis dato zum Berliner Stadtmuseum gehörte.

Das zweite Omen, „9/11“, hat dem JMB äußerlich strenge Sicherheitsregeln eingebrockt. Bis heute bilden sie einen leidigen Kontrast zur Service-Nettigkeit des Betreuerteams, zur bunt-flockigen, jugendlichen Anmutung mancher Ausstellungsbereiche und Programmangebote. Das durch den Terrorismus mobilisierte Clash-of-cultures-Gespenst dürfte die Position des Hauses als Bollwerk jüdischer Geschichtsdarstellung und Selbstbehauptung gestärkt haben; zugleich wurde durch die neueren politischen Konfrontationen sein Einsatz für Toleranz und Menschenrechte – etwa in der Aktionswoche Darfur 2007 – angeregt.

Oft stehen stolze Zahlen im Vordergrund, wenn das Museum gelobt wird. Einen Blick auf die Inhalte lesen Sie auf Seite 2.

Doch wann immer die Leistungen des JMB gerühmt werden: Meistens stehen stolze Zahlen im Vordergrund. Über sieben Millionen Besucher haben die Dauerausstellung seit 2001 besichtigt; 2010 waren es über 760 000, ein Drittel davon unter 30 Jahre alt. Beim Blick auf die Inhalte und Themen beeindruckt indessen, dass es dem Jüdischen Museum und seiner Programmdirektorin Cilly Kugelmann gelungen ist, manche der vormals konträren Ansätze unter einen Hut zu bringen und die Karten des „Was ist jüdisch“-Spiels neu zu mischen. Die Dauerausstellung zeigt sakrale Judaica, neuerdings die interaktiven Inseln „Glaubenssachen“, aber auch viel deutsch-jüdisch-universale Kulturgeschichte. In Wechselausstellungen, die Sigmund Freud, der Kabbala oder, wie in der aktuellen Variante, „Heimatbildern“ gewidmet sein können, präsentiert man ebenso Reflexionen zeitgenössischer Kunst und klassischer Moderne.

Für Berlins Stadthistorie, die Wegweisendes über das Judentum in Deutschland enthält, fühlt man sich weniger zuständig. Von inspirierender Interaktion mit dem Stadtmuseum kann bislang keine Rede sein. Was nicht nur am JMB liegen muss: Die Wunden des Museumsstreits um „Autonomie“ oder „Integration“ sind noch immer nicht verheilt.

Wer an einem warmen Herbsttag durch das kühle Labyrinth flaniert, hat die lästige Security-Kontrolle bald vergessen. Im Untergeschoss Monitore, Leinwände, Hörstationen, das Learning Center. Ein Kellerkorridor heißt „Achse des Exils“: An der Wand Vitrinen mit Siebensachen aus dramatischen Fluchtgeschichten. Wieder hinauf. Runter. Rauf. Zick und zack geht der Parcours. Angrenzend: der „Holocaust-Turm“, der „Garten des Exils“. Im anderen Stock die „Leerstelle des Gedenkens“. So viel symbolische Markierung müssen die Besucher mit Assoziationen füllen. Zwei stattliche Fluchten für Wechselausstellungen kommen hinzu. Plaketten zu Ehren der Spender finden sich an zahlreichen Stellen des gewaltigen Hauses.

Ganz oben, am Ende der langen Treppe, befindet sich das Entrée zur 3000-Quadratmeter-Dauerausstellung, die stetig verbessert wird. Die kolorierte Schulbuch-Atmosphäre des Mittelalterbereichs, den grobe Blow-ups alter Illustrationen dominieren, befremdet. Der Marketing-Slogan „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte“, mit dem das JMB seine Stadtmuseums-Genesis abstreifen wollte, ist reell kaum einzulösen. Da bilden die unterschiedlichsten Dokumente und Objekte im großzügig neugestalteten Komplex zur Aufklärungs-Epoche und in den Räumen zum Integrations- und Assimilations-Abenteuer des 19./20. Jahrhunderts ästhetisch eine angenehmere Baustelle. Hier freilich führt das Zickzack mit seiner überbordenden Objektfülle zur Wusel-Gefahr. Zwischendurch werden Epochen und Prozesse durch Kurzporträts von Promis und weniger Bekannten personalisiert. Wer sucht, findet hier irgendwo seine bewegende Story; das JMB ist ein Entdeckungspark. Zurück im Collegienhaus gibt es noch das Restaurant Liebermanns, den Museumsshop, den Glashof, einen lauschigen Wandelgarten.

Wer vor dem Portal des barocken Hauses unter der zierlichen Schrift „Jüdisches Museum Berlin“ verschnauft – der schöne Altbau von 1735 hat heute vor allem Service-Funktionen –, mag den Verzicht des JMB auf die hautnahe Nachbarschaft mit dem Stadtmuseum der ExReichshauptstadt als verpasste Chance bedauern. Doch die nächste Expansion steht schon bevor. Auf der anderen Straßenseite entsteht nach Daniel Libeskinds Entwurf – unter dem grandiosen Betonskelett der vom Architekten des AmerikaHauses, Bruno Grimmek, 1965 gebauten Blumengroßmarkthalle – die Akademie des JMB als „Haus im Haus“.

Bildungsarbeit, Gruppenempfang und die wissenschaftliche Kooperation (mit einer Filiale des New Yorker Leo-BaeckInstituts sowie der Londoner Wiener Library für Holocaustforschung) waren längst räumlicher Einschränkung unterworfen. Nun sollen Libeskinds Kuben Schulungsräume aufnehmen; das LBI zur Erforschung deutsch-jüdischer Geschichte wird seine Präsenz ausbauen und nicht nur Dokumentkopien, sondern Originalsammlungen hier unterbringen. Die Themen Integration und Migration kommen bevorzugt zur Geltung, ein jüdisch-islamisches Forum findet Platz, und ein „Garten der Diaspora“. Neben dem Vortragssaal und der Bibliothek mit Freihandbereich werden Büros, Depots und Archivräume für Emigranten-Nachlässe eingerichtet. Vom Bund kommen 6,6 Millionen Euro, 4,3 Millionen von einen Spender aus den USA.

Mit den knapp budgetierten Jüdischen Regionalmuseen in Deutschland oder Österreich, deren Zukunftssicherung oft ungeklärt erscheint, hat dieser pädagogische Komplex auf beiden Seiten der Lindenstraße wenig gemein. Hier entsteht, raumgreifend und provokativ, das zentrale Quartier der Erinnerung: eine Chance für die Entdecker guten Willens.

Jubiläumsveranstaltungen:

24.10, 19 Uhr: Festkonzert mit Daniel Barenboim und der Staatskapelle Berlin in der Philharmonie zur Verleihung des »Preises für Verständigung und Toleranz« an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

29.10., ab 10.30 Uhr: Symposion „Visionen der Zugehörigkeit – Juden, Türken und andere Deutsche“.

Samstag, 29. Oktober, mit Harald Welzer (Wozu eigentlich Identität?) u.a.

Weiteres unter jmberlin.de

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