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Anklage. Joachim Kelsch, Markus Riexinger in „Teddybären weinen nicht“.

© Bimah

Jüdisches Theater: Und der Rabbi schweigt

Zunächst hört es sich nach einer leicht forcierten Modifikation einer urkatholischen Skandalmaterie an. Tatsächlich orientiert sich das Stück aber an einem aktuellen Geschehen. Missbrauch an der Thora-Schule: eine Uraufführung im Jüdischen Theater Berlin.

Schon 1981 schrieben Schüler des von Jesuiten geleiteten Berliner Canisius-Kollegs an die Schulleitung, in dem sie die „Sexualpädagogik“ eines ihrer Lehrer kritisierten. Dass zwei der Priester über Jahre hinweg eine größere Anzahl der Gymnasiasten systematisch sexuell missbraucht hatten, kam jedoch erst Anfang dieses Jahres an die Öffentlichkeit. Anschließend häuften sich die Meldungen über ähnliche Fälle; fast im Wochenrhythmus erfuhr man von beschuldigten Gemeindepfarrern oder Pädagogen einer konfessionellen Erziehungsanstalt und von deren Oberen, welche sich damit begnügten, die hochgradig Verdächtigen allenfalls zu versetzen, anstatt sie zu suspendieren.

„In Europa redet man von nichts anderem mehr“, heißt es in Dan Lahavs Drama „Teddybären weinen nicht“, das im Jüdischen Theater Bimah in Neukölln Premiere feierte. Der Kuscheltierhändler Jochanan (Joachim Kelsch), brüllt diesen Satz seinem ungebetenen Gast entgegen. Geistliche als Täter: Auch Jochanan war einst ein Gottesmann. Bevor er sich in Tel Aviv als Geschäftsmann niederließ, lehrte er als Rabbi an einer Thora-Schule in Jerusalem und missbrauchte einige Schüler. Zu seinen Zöglingen gehörte David (Markus Riexinger), der seither den Glauben an Gott und sich selbst verloren hat, mittlerweile Jura studiert und im Ladenlokal seines ehemaligen Lehrers auftaucht, um ihn endlich zur Rechenschaft zu ziehen.

Zunächst hört sich das nach einer leicht forcierten Modifikation einer urkatholischen Skandalmaterie für den jüdischen Kontext an. Tatsächlich orientiert sich das Stück aber an einem aktuellen Geschehen: Fast zeitgleich mit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg wurde die politisch-religiöse Öffentlichkeit in Israel durch die Affäre um den Rabbiner Mordechai Elon erschüttert. Als Galionsfigur der nationalreligiösen Siedlerbewegung leitete er von 2002 bis 2007 die Jerusalemer „Jeshivat Ha-Kotel“, eine Talmudschule, an der sich heiliges Schriftstudium und Militärdienst verbinden ließen. Seit Jahren gab es Hinweise, dass Elon seine Schutzbefohlenen zu sexuellen Handlungen nötigte. 2006 wurden dem prominenten Rabbi vom „Tanaka“-Gremium – einer Vereinigung religiöser Würdenträger, die intern gegen Missstände der Glaubensgemeinschaft kämpft – bestimmte Auflagen erteilt.

Als Elon mehrfach gegen diese verstieß, sah man keine Möglichkeit mehr, den Fall weiter „diskret“ zu behandeln. Im Februar 2010 wurden die Vorwürfe publik gemacht. Die Vorgehensweise ähnelt der der katholischen Kirche, die die Schuldigen aus den eigenen Reihen zwar verurteilt und abstraft, zugleich aber so lange wie möglich vor der öffentlichen Meinung und der zivilen Gerichtsbarkeit abzuschirmen versucht.

Auch in „Teddybären weinen nicht“ sind interreligiöse Analogien angedeutet. Hauptsächlich konzentriert sich Lahav, der als Intendant des Jüdischen Theaters auch die Regie seines Stücks übernommen hat, auf Davids seelische Verletzungen und verzweifelte Bewältigungsversuche, die mit den sadistischen Selbstrechtfertigungsstrategien des Übeltäters konterkariert werden. Leider geht das nicht ohne stellenweise psychologisch unmotivierte Drastik ab. David wie Jochanan befinden sich gleich zu Beginn auf dem Höhepunkt ihrer charakterlichen Verstörtheit, die sie dann über anderthalb Stunden vergeblich zu steigern versuchen. Das Anliegen hinter dieser stereotypen Vehemenz ist erkennbar, aber der Zuschauer kann kaum Anteil daran nehmen.

Wieder am 4., 9. und 16. 12. im Jüdischen Theater Bimah (Neukölln, Jonasstr. 22).

Marianna Lieder

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