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Metropol Parasol. Neugestaltung der Plaza de la Encarnación in Sevilla.

© David Franck

Jürgen Mayer H. im Haus am Waldsee: Gebaute Musik

Lehrmeister Noah: Der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. bedient sich digitaler Technik für seine biomorphe Cyberbauten.

Eine Kläranlage würde er gern einmal bauen, sagt Jürgen Mayer H., aus Spaß an der banalen Bauaufgabe. Das klingt erstaunlich bei einem Architekten, dessen Formen sich aus hochkomplexen Strukturen ableiten, der eher Skulpturen als Gebäude entwirft. Aber wahrscheinlich würde Mayer H. auch eine Kläranlage als Wahrzeichen gestalten. Die spannende Ausstellung „Strukturalien – Architektur als urbane Plastik“ präsentiert das Werk von Jürgen Hermann Mayer als Kunst im öffentlichen Raum. Wegen der vielen Namensvetter stellte der Architekt das H ans Ende. Sein Büro, das er gemeinsam mit André Santer und Hans Schneider betreibt, setzt die beiden Punkte symmetrisch: J.MAYER.H und Partner

Im Haus am Waldsee veranschaulicht Kurator Ludwig Engel einleuchtend, wie die enigmatischen eyecatcher entstehen, nämlich aus Rastern der Diskretion. Mayer H. sammelt die Innenfutter von Briefumschlägen, die so dicht mit Firmenlogos oder Zahlenmustern bedruckt sind, dass man die Post von außen nicht lesen kann. Rechnungen oder Bankauszüge werden auf diese Weise vor fremden Blicken geschützt. Die Hüllen sind Überreste des Briefgeheimnisses, sie schützen innen vor außen. Am Computer überträgt der Architekt die labyrinthischen Linien in räumliche Dimensionen. Obwohl sie mithilfe digitaler Technik entstanden, wirken die verschlungenen Formen organisch gewachsen. Das Ergebnis ist eine biomorphe Cyberarchitektur. Die Solitäre von Mayer H. sehen zwar extraterrestrisch aus, wenn sie aber die Charakteristika der Umgebung aufnehmen, fügen sie sich überraschend geschmeidig in die Landschaft ein.

Sich im Netz der Lichtlinien fangen lassen

Im Gartensaal vom Haus am Waldsee wird die Elastizität der Architektur sinnlich erfahrbar. Zum Geräusch des Datenrauschens drehen sich Projektionen von Computermodellen in Zeitlupe. In dem verdunkelten Raum entsteht ein Tiefseegefühl. Langsam treiben durchsichtige Körper wie Medusen vorbei. Sie wandeln ihre Form, drehen sich schwerelos um die eigene Achse und entschweben wieder. Die Besucher können wie Taucher in Berührung mit den raumfüllenden Projektionen kommen, sich im Netz der Lichtlinien fangen lassen.

Das spektakulärste Projekt von Mayer H., der Metropol Parasol in Sevilla, kombiniert die Durchlässigkeit für das städtische Leben mit der Bündelung von sozialen Aktivitäten. Auf der Plaza de la Encarnación entstand ein urbanes Zentrum mit Markt, Archäologischem Museum und Restaurants. Ausgehend von der Notwendigkeit, für Schatten zu sorgen, schuf der Architekt ein Konglomerat aus Schirmen. Ihr Reiz besteht im Kontrast zwischen den fließenden Formen und den starren hölzernen Waffelstrukturen.

Die Schirme von Sevilla führten zu einer Reihe weiterer Aufträge im öffentlichen Raum. In Georgien gestaltete das Berliner Architektenbüro Zollstationen und Raststätten an der entstehenden Autobahn, die das Land von Aserbaidschan bis in die Türkei queren soll. Der Grenzposten direkt am Schwarzen Meer überblickt den Strand wie ein Sprungturm das Schwimmbad. Die tragenden Wände der Autobahnraststätten verkeilen sich wie angeschwemmtes Treibholz. Für Lazika, eine geplante Neugründung am Schwarzen Meer, setzte Jürgen Mayer H. eine 31 Meter hohe Skulptur aus Stahl ans Ende des Piers. Von Weitem sieht der Turm aus wie ein Stapel Kiesel. Weil die Reißbrettstadt nach der Ablösung von Staatspräsident Micheil Saakaschwili auf Eis gelegt wurde, steht der Wachturm nun einsam am Ende der Seebrücke und wirkt leicht megaloman.

In Berlin ist die Handschrift des Architekturbüros, das inzwischen über zwanzig Mitarbeiter beschäftigt, am Wohnhaus in der Johannisstraße neben der Kalkscheune zu erkennen. Da übernimmt eine Art Reißverschlussmuster die Doppelfunktion der Gebäudehülle, Öffnung und Verschluss gegenüber der Außenwelt.

Alles nimmt seinen Anfang in der Musik

In der Ausstellung sind auch die minimalistischen Anfänge der Baukunst des gebürtigen Stuttgarters zu sehen, dem es um nichts Geringeres geht als die Rettung der Welt. Der Fünfzigjährige beschäftigte sich während des Studiums am Cooper-Union College in New York mit der Konstruktion der Arche Noah. Drei Stockwerke – dreißig Ellen hoch, fünfzig Ellen breit – soll Noahs Rettungsschiff gewesen sein.

Diese Proportionen löste der damalige Student nach den Gesetzen der Zwölf-Ton-Musik in schwankende Muster auf. Er isolierte einzelne Abschnitte und faltete nach der Zeichnung elegante Flugkörper aus Papier. Auch die späteren Entwürfe entwickeln ihre Umrisse aus einem Kern schwingender Linien von innen nach außen. Der intellektuelle Purismus verleiht manchen Entwürfen von Mayer H. zwar einen etwas autoritären Charakter. An den winzigen Keimzellen aber kann man erkennen, wo die fließenden Formen ihren Anfang nehmen – in der Musik.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 26.6.; Di bis So 11 – 18 Uhr

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