zum Hauptinhalt
Illustration aus dem Buch "Der Schweizerische Robinson" von Johann David Wyss.

© dpa

Jugendbuch „Der Schweizerische Robinson“: In Utopia

Gestrandet auf einer fantastischen Insel: „Der Schweizerische Robinson“ ist eines der bekanntesten Jugendbücher des Landes. Jetzt ist eine neue, wunderschön illustrierte Auflage erschienen.

Seit Daniel Defoe 1719 seinen „Robinson Crusoe“ veröffentlichte und das Genre der „Robinsonade“ erfand, begeistert sich die Welt für Abenteurer, die auf einsamen Inseln stranden und dort ums Überleben kämpfen. Unzählige Buch- und später Filmtitel greifen Defoes Geschichte auf, die tatsächlich auf wahren Begebenheiten basiert.

Der von Arno Schmidt viel gepriesene Johann-Gottfried-Schnabel-Roman „Insel Felsenburg“ ist so ein Beispiel, William Goldings Kultbuch „Herr der Fliegen“ natürlich, die Mystery-Serie „Lost“ oder auch der Blockbuster „Cast Away“ mit Tom Hanks in der Rolle des unfreiwilligen Einsiedlers. Selbst in einer „Simpsons“-Folge finden sich Bart und Lisa samt ihren Schulklassen in einem ozeanischen Zwangsexil wieder – die Situation eskaliert heftig.

Anders verhält es sich im eher idyllischen „Schweizerischen Robinson“ von Johann David Wyss, der wunderschön illustriert und in originaler Fassung in der Anderen Bibliothek neu aufgelegt wurde. Hier strandet eine Familie für Jahre auf einer fiktiven, ja fantastischen Insel, auf der australische Kängurus und Schnabeltiere genauso umherstreifen wie asiatische Tiger, afrikanische Hyänen oder nordamerikanische Kragenhühner. Das voluminöse Werk aus den Jahren 1812 und 1826 – neben Johanna Spyris „Heidi“ wohl das bekannteste Jugendbuch der Schweiz – ist eine der erfolgreichsten Adaptionen des Stoffes, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurde und einen Jules Vernes dazu inspirierte, eine Fortsetzung zu schreiben.

Neu-Schweizerland als eigene, besondere Utopie

Johan David Wyss, ein Berner Stadtpfarrer, der 1743 geboren wurde und 1818 starb, trug seine „Robinsonade“ zunächst seinen Kindern vor. Ihm ging es darum, ein dezidiert junges Lesepublikum einerseits naturkundlich zu bilden und zwar im Geiste der Aufklärung – Einflüsse Rousseaus oder auch Georg Forsters sind deutlich –, andererseits aber auch auf spannende Weise zu unterhalten. Den durchaus atemberaubenden Ereignissen – Kämpfen mit wilden Tieren oder Schiffswracks-Erkundungen – aber steht ein frömmelnd-pädagogischer Ton entgegen, der den Lesefluss gelegentlich bremst.

Dennoch lohnt sich die Lektüre, auch vor dem Hintergrund der Frage, wie Zusammenleben idealerweise funktionieren kann. Bei Wyss intensivieren und stärken Abgeschiedenheit und Auf-sich-gestellt-Sein die Gemeinschaft. Einem „verderbten Europa“ stellt der Humanist sein „Neu-Schweizerland“ gegenüber, was nicht weniger ist als eine ganz eigene, besondere Utopie.

Johann David Wyss: Der Schweizerische Robinson. Andere Bibliothek, Berlin 2016, 1176 Seiten, 68 €.

Tobias Schwartz

Zur Startseite