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Kultur: Julian Nida-Rümelin: Das Recht auf Menschenwürde

Wenn eine Frage das Denken wirklich lohne, dann sei es die des rechten Lebens. So lautet Julian Nida-Rümelins philosophisches Motto.

Wenn eine Frage das Denken wirklich lohne, dann sei es die des rechten Lebens. So lautet Julian Nida-Rümelins philosophisches Motto. Es stammt aus Musils "Mann ohne Eigenschaften" und verweist auf die philosophische Heimat des neuen Kulturstaatsministers: Ethik, Rationalitätstheorie, politische Philosophie und Kulturtheorie bilden seine Schwerpunkte. Für Nida-Rümelin ist Ethik, ist Philosophie generell, ein Projekt der Aufklärung. Gerade in den brisanten Fragen angewandter Ethik - Wo beginnt menschliches Leben? Müssen wir denen zu sterben helfen, die ihr Leben alleine nicht mehr beenden können? - hat sich Nida-Rümelin stets am nüchternen Stil der anglo-amerikanischen Philosophie orientiert.

Im deutschsprachigen Raum tut sich eine öffentliche Diskussion um Fragen der praktischen Ethik dagegen schwer. Das zeigen nicht nur die Reaktionen auf Nida-Rümelins Äußerungen zum Klonen von Embryonen. Die historischen Gründe, die etwa eine Debatte um Sterbehilfe gerade in Deutschland mit seiner NS-Vergangenheit zu einer heiklen Angelegenheit machen, sind evident.

Die Ethik versucht, Antworten zu finden auf die Frage, welche Handlungen moralisch richtig sind. Sie bemüht sich, Kriterien zu ergründen, aufgrund derer wir unser Tun als gut oder schlecht, falsch oder richtig bewerten können. Nida-Rümelin verteidigt eine im Kern deontologische Ethik, in deren Mittelpunkt die Rechte von Individuen stehen. Dabei kommt es ihm auf zwei Dinge an: Zwar beginnen die brennenden Fragen der angewandten Ethik meist dort, wo unsere moralischen Intuitionen uns verlassen, doch müssen wir die Antworten aus den Fällen entwickeln, in denen wir aufgrund unserer Alltagsmoral klare Urteile geben können.

Moralphilosophen dürfen sich nicht zurücklehnen im philosophischen Lehnstuhl und dort allgemeine Prinzipien erdenken, aus denen sie moralische Handlungsanweisungen ableiten. Es gilt vielmehr zu verstehen, welche moralischen Intuitionen wir niemals aufgeben dürfen - "Du sollst nicht töten" zum Beispiel. Die unveräußerlichen Menschenrechte, wie sie die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen bestimmt, nennt Nida-Rümelin als Beispiel dafür, wie intuitive Zuschreibungen von Rechten systematisiert wurden.

Individuelle Rechte und persönliche Autonomie, die Freiheit, über sein Leben selbst zu bestimmen, sind das, worauf es uns bei der moralischen Bewertung von Handlungen ankommt. Das ist Nida-Rümelins zweite wichtige moralphilosophische These. Er argumentiert mit ihr gegen den Konsequenzialismus. Ein Konsequenzialist beurteilt eine Handlung allein nach ihren Folgen. Nida-Rümelin kritisiert dies mit einem moralphilosophischen Gedankenexperiment: Es ist moralisch unzulässig, vier in eine Klinik eingelieferte Personen, die auf eine Organspende warten, dadurch zu retten, dass man ein Unfallopfer, dessen Überleben ungewiss ist, sterben lässt. Die eine Person sterben zu lassen, verletzt deren Recht auf Leben, völlig unabhängig von den positiven Konsequenzen, die ihr Tod haben könnte.

Das Beispiel macht deutlich, wie die zwei Grundelemente von Nida-Rümelins Ethik ineinandergreifen: Wenn wir eine Handlung moralisch beurteilen, dann müssen wir uns die Rechte der Betroffenen ansehen. Unsere moralischen Intuitionen sagen uns, dass das Sterbenlassen eines Menschen das in unser Gesellschaft tief verankerte Tötungsverbot verletzt, und deshalb falsch ist.

Im Tagesspiegel (3. 1.) hat Nida-Rümelin argumentiert, das Klonen von Embryonen verletze nicht die Menschenwürde. Denn nur ein Wesen, dem man seine Selbstachtung nehmen kann, besitzt Würde. Ein Embryo hat keine Selbstachtung. Deshalb kann man auch seine Menschenwürde nicht verletzen. Dieses Argument ist anti-konsequentialistisch: Wenn es um die Frage geht, ob das Klonen von Embryonen verwerflich ist, dann müssen wir gucken, ob es individuelle Rechte verletzt. Wird sie bei Embryonen verletzt? Nein, so Nida-Rümelin, denn - wäre zu ergänzen - Embryonen sind nicht Träger individueller Rechte. Als Grund hat er angeführt, dass sie keine Selbstachtung haben. Dieses Argument impliziert keineswegs, dass man auch behinderte Menschen, Neugeborene, Koma-Patienten das Recht auf Menschenwürde absprechen müsste. Innerhalb einer Ethik, die die Autonomie von Menschen in den Mittelpunkt stellt, könnte man argumentieren, dass Embryonen - im Gegensatz zu behinderten Menschen, Neugeborenen, Koma-Patienten - keine genuinen Interessen haben. Sie verfügen weder über eine subjektive Empfindungswelt noch sind sie Träger von Wünschen.

Doch auch innerhalb einer an individuellen Rechten orientierten Ethik kann es moralische Argumente geben, die dagegen sprechen, Embryonen zu klonen. Danach ist das moralisch problematisch, was die Rechte von Individuen verletzt: Wenn das Klonen von Embryonen zum Menschenklonen führen sollte, dann - auch das hat Nida-Rümelin in seinem Artikel ausgeführt - wäre seine Legalisierung fragwürdig.

Mit seinem Argument, die Menschenwürde spreche nicht gegen das Klonen von Embryonen, bleibt Nida-Rümelin seinen philosophischen Wurzeln also treu. Sein Argument ist philosophisch angreifbar - eine Eigenschaft, die es wohl mit fast allen philosophischen Argumenten teilt. Abwegig oder offensichtlich unplausibel ist es keineswegs.

Sibylle Salewski

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