zum Hauptinhalt
Metallisches Timbre. Die Sopranistin Julian Banse.

© Elsa Okazaki

Juliane Banse im Boulez-Saal: Anmut und Erschütterung

Die Sopranistin Juliane Banse singt Schubert im Boulez-Saal, Wolfram Rieger begleitet sie auf dem Klavier. Gemeinsam gelingt ihnen ein großer Abend fernab aller Berieselung.

In der Nähe der Universitätsstadt Ilmenau thront über dem Thüringer Wald der Kickelhahn, eine malerische Anhöhe mit Aussichtsturm. Wer den Blick von hier aus über die Täler schweifen lässt und sich die Verse Johann Wolfgang Goethes zur Ruhe über den Gipfeln ins Gedächtnis ruft, bekommt eine eigentümliche Ahnung vom Lebensgefühl der Biedermeierzeit. Goethe schrieb diese Verse bei einer seiner Wanderungen, „um dem Wuste des Städtchens, den Klagen, den Verlangen, der unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen auszuweichen“.

Nicht umsonst wählt Juliane Banse die Vertonung des Gedichtchens aus Franz Schuberts Hand als Zugabe ihres Liederabends im Pierre-Boulez-Saal. Die kaum zweiminütige Miniatur repräsentiert in wenigen Takten die Sanftheit dieser Zeit, all jene symbolbeladene Naturlyrik, die bis auf den Grund der Seele reichende Verinnerlichung von Gefühl und Gedanke. Franz Schuberts Lieder sind ein eigenes musikalisches Universum; gerade in ihrer minimalistischen Form leuchten sie noch die kleinste Empfindung aus und sind getragen von Goethes tiefer Sehnsucht nach Ausgleich und innerem Frieden in der Nachwelt des Wiener Kongresses.

Schuberts Wunderwerke greifbar gespielt, erschütternd, offen

Ein ganzer Abend mit Schubert-Liedern, das ist nicht nur für die Solistin eine große Aufgabe, es verlangt auch Einiges vom Publikum. Die Auswahl bleibt schwierig, die dauerhafte Konzentration wird zur Herausforderung für beide Seiten – zumal in der unbarmherzig guten Akustik des neuen Saals. Fragen an Intonation und Textverständlichkeit der eher metallisch timbrierten Sopranistin müssen zumindest erlaubt bleiben.

Wie aber Juliane Banse und mehr noch ihr Klavierpartner Wolfram Rieger Schuberts Wunderwerke der Sensibilität ausdeuten, das beeindruckt außerordentlich. Nicht umsonst wurde die psychologische Tiefe in dieser Musik erst im 20. Jahrhundert wirklich erkannt, da sie dessen traumatische Ereignisse bereits vorauszuahnen schien. Das Duo spannt den Deutungshorizont weit auf, reißt manches an, lässt vieles im Ungewissen. Die Ambivalenz dieser anmutigen und gleichzeitig erschütternden Musik ist greifbar und lässt viel Raum für die eigene Nachinterpretation. Ein großer Abend fernab aller Berieselung.

Zur Startseite